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Die Urologie
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Publiziert am: 31.03.2022

Operative Anatomie: Hoden

Verfasst von: Raimund Stein und Joachim Wilhelm Thüroff
Der Hoden (Testis) liegt primär intraabdominal und deszendiert zwischen der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) und der Geburt bzw. bis zum 3. Lebensmonat ins Skrotum. Über die Embryologie und die Mitnahme der peritonealen Falte sowie der Gefäße während des Deszensus lassen sich die anatomischen Verhältnisse herleiten. Eine Reihe von Pathologien erklärt sich aus der Embryologie (Hodendystopie, Hodenektopie, offener Processus vaginalis, Hydrozele, Funikolozele etc.). Im Hoden werden Geschlechtshormone und mit Eintritt der Geschlechtsreife, die Samenzellen gebildet.

Embryologie

Aus den primär undifferenzierten Gonadenanlagen wird in der 7. Schwangerschaftswoche (SSW) unter dem Einfluss des SRY-Gens die Entwicklung der Hoden eingeleitet. Das Anti-Müller-Hormon (AMH, „Müllarian inhibitoring substance“) bewirkt ab der 8. SSW eine Regression der Strukturen des Müller-Ganges.
Der Deszensus des Hoden s verläuft in 2 Schritten und stellt ein relativ komplexen Prozess dar, der von einer Reihe anatomischer Voraussetzungen und einem entsprechenden hormonellen Milieu (intakte Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse) abhängig ist (Kap. „Maldescensus testis und Leistenhernie“).
Das kraniale Ligament (Urnieren-Zwerchfell Band) fixiert die indifferente Gonade an der hinteren Bauchwand, während das Gubernaculum den Hoden über den Nebenhoden im Bereich des späteren Eingangs zum inneren Leistenring fixiert (Abb. 1a). Die 1. Phase des Deszensus findet in der 10.–23. SSW statt. In dieser Zeit fixiert das Gubernaculum den Hoden im Bereich des inneren Leistenringes, während die Niere nach kranial aszendiert und sich das kraniale Ligament zurückbildet (Abb. 1b). Das Gubernaculum nimmt an Größe zu. Der Leistenkanal formt sich teilweise um das Gubernaculum herum. Bevor der Hoden durch den Leistenkanal deszendiert, beinhaltet der Kanal den offenen Processus vaginalis, den M. cremaster und das Gubernaculum (Abb. 1c).
In der 2. Phase des Deszensus wandert der Hoden vom Eingang des inneren Leistenringes in das Skrotum (Abb. 1d). Die 2. androgenabhängige Phase beginnt in der 26. SSW und ist meist zur Geburt beendet, wobei das Gubernaculum den Deszensus des Hodens durch den Leistenkanal in das Skrotum erleichtert. In den beiden folgenden Abbildungen (Abb. 2 und 3) wird die Beziehung des Hodens zum Peritoneum und der daraus ableitbaren Pathologien verdeutlicht. Der offene Processus vaginalis verschließt sich normalerweise in den ersten Lebensmonaten. Persistiert er als angeborene indirekte Leistenhernie, bedarf er unter Umständen der operativen Versorgung. Gleiches gilt für Frühgeborene, die einen größere symptomatische Hernie haben können, welcher der operativen Versorgung bedarf (Kap. „Maldescensus testis und Leistenhernie“, Kap. „Hydrozele, Varikozele und andere skrotale Erkrankungen“).

Operative Anatomie

Das Skrotum entsteht embryologisch aus den paarigen Geschlechtswülsten. Als embryogener Rest ist äußerlich die Raphe sichtbar, die sich vom Meatus urethrae bis hin zum Anus zieht (Kap. „Embryologie des Urogenitalsystems“). Der Hodensack beinhaltet den Hoden, Nebenhoden (Epididymis) und Samenstrang (Funiculus spermaticus) mit dem Samenleiter (Ductus deferens). Beide Hoden werden durch das Septum scroti getrennt. Der Hoden beim Erwachsenen hat ein Volumen von 17–25 ml. Die Temperatur im Hoden liegt ca. 3–4 °C unterhalb der Köperkerntemperatur, was für die Spermatogenese wesentlich ist. Bei einer höheren Temperatur kommt es zur Beeinträchtigung der Spermatogenese. Auf seinem Deszensus nimmt der Hoden neben dem Peritoneum und den Gefäßen die Muskulatur der Bauchwand mit (M. cremaster).

Hodenhüllen

Die Skrotalhaut ist häufig stark pigmentiert und besitzt fast kein Fettgewebe. Sie enthält eine Vielzahl von Talg- und Schweißdrüsen, die sich entzünden bzw. auch abszedieren können (z. B. infiziertes Atherom). Sie liegt direkt auf der Tunica dartos, einer Gewebsschicht die vorwiegend glatte Muskelzellen (M. dartos) enthält und eine Fortleitung der Scarpa’schen/Colle’schen Faszie bzw. der Fascia penis superficialis (Kap. „Operative Anatomie: Penis“) darstellt. Die vordere Skrotalhaut erhält ihre Blutversorgung von der A. pudenda externa und wird von den Nn. ilioinguinalis und genitofemoralis innerviert. Sie verlaufen parallel zu den Skrotalfalten.
Cave
Bei der Schnittführung im Rahmen skrotaler Eingriffe sollte der Verlauf der Nerven beachtet werden.
Im Gegensatz dazu wird die dorsale Seite des Skrotums durch perineale Gefäße aus der A. pudenda interna und N. perinealis des N. pudendus versorgt. Da die Versorgungsgebiete vom Skrotum und vom Hoden bzw. Samenstrang komplett unterschiedlich sind, werden z. B. bei der Fournier’schen Gangrän Hoden und Samenstrang verschont und können erhalten werden, während die Skrotalhaut meist exzidiert werden muss.
Die Fascia spermatica externa stellt eine die Verlängerung der Faszie des M. obliquus externus abdominis dar und ist am äußeren Leistenring fixiert. Die Fascia cremasterica ist eine dünne Bindegewebsschicht über den Fasern des M. cremaster. Seine Muskelfasern kommen aus dem M. obliquus internus abdominis und dem M. transversus abdominis. Der M. cremaster wird vom Ramus genitalis des N. genitofemoralis innerviert. Bei einer Kontraktion verkürzt sich der Samenstrang und zieht den Hoden nach oben (Kremasterreflex; L1/L2). Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, Gefäße und Nerven werden von der Fascia spermatica interna (Ausstülpung der Fascia transversalis der Bauchwand) umgeben. Die Tunica vaginalis testis besteht aus dem äußeren parietalen Blatt (Lamina parietalis) und dem inneren, viszeralen Blatt (Lamina visceralis, Abb. 4). Die spiegelnde Tunica vaginalis testis bedeckt die Tunica albuginea des Hoden bis auf die Stelle, wo Hoden und Nebenhoden miteinander verbunden sind. Im Mediastinum testis treten Gefäße und Nerven in den Hoden ein und die Ductuli efferentes testis verlassen hier den Hoden.
Am Oberpol des Hodens findet sich häufig eine gestielte Zyste – eine sog. Hydatide testis. Es handelt sich um einen embryonalen Rest des Müller-Ganges (Appendix testis). Am Caput epididymidis können sich ebensolche embryonale Reste des Wolff-Ganges (Appendix epididymidis) befinden (Abb. 5). Diese können auch multipel auftreten. Eine Hydatidentorsion stellt eine der Ursachen des akuten Skrotums dar (Kap. „Kinderurologische Notfälle/Traumatologie“).
Der Hoden ist von der 1 mm dicken, straffen Tunica albuginea umgeben. Von dieser ziehen Bindegewebssepten (Septula testis) zum Rete testis (Hodengeflecht) und teilen den Hoden in ca. 250–400 Läppchen (Lobuli testis), welche 2–4 Tubuli seminiferi (Hodenkanälchen) enthalten. Die Hodenkanälchen ziehen zum Rete testis, aus welchem anschließend ca. 10 Ductuli efferentes testis zum Nebenhoden ziehen, um dort den Nebenhodenkopf zu bilden (Abb. 6). Bei der TESE (testikuläre Spermienextraktion) werden die Spermien aus den Tubuli seminiferi gewonnen, während bei der MESA (mikrochirurgische epididymale Spermienaspiration) die konzentrierten Spermien aus dem Ductuli efferentes testis gewonnen werden (Kap. „Assistierte Reproduktion – andrologische Aspekte“).
Der Nebenhoden (Epididymis) wird in 3 Abschnitte unterteilt. Der Nebenhodenkopf (Caput epididymidis) liegt dem oberen Pol des Hodens an. In ihm befinden sich aufgeknäult die Ductuli efferentes testis. Der Nebenhodenkörper (Corpus epididymidis) liegt lang gestreckt dem hinteren Rand des Hodens an. Er enthält den aufgeknäulten Nebenhodengang (Ductus epididymidis). Der Nebenhodenschwanz (Cauda epididymidis) geht dann in den Ductus deferens über. Der Nebenhoden wird ebenfalls von der Tunica vaginalis testis überzogen. Zwischen Corpus epididymidis und dem Hinterrand des Hodens kommt von lateral eine Serosatasche (Sinus epididymidis). Blutgefäße und Nerven ziehen dorsal des Nebenhodenkopfes zum Hoden und Nebenhoden.

Samenstrang (Funiculus spermaticus)

Der Samenstrang verläuft zwischen dem Hoden und dem Leistenkanal. Der beim Erwachsenen kleinfingerdicke Funiculus enthält in den Samenstranghüllen (Fascia spermatica interna, Fascia cremasterica und Fascia spermatica externa) den Ductus deferens, den Ramus genitalis des N. genitofemoralis, Lymphgefäße, den venösen Plexus pampiniformis sowie 3 Arterien aus 3 unterschiedlichen Stromgebieten: die A. testicularis aus der Aorta abdominalis, die A. ductus deferentis aus der A. umbilicalis (Ast der A. iliaca interna) und die A. cremasterica, ein Ast der A. epgigastrica inferior aus der A. iliaca externa (Abb. 4 und 7).

Samenleiter (Ductus deferens)

Der Ductus deferens ist gestreckt ein ca. 50–60 cm langer sehr muskelkräftiger Schlauch, der den Nebenhoden mit der prostatischen Urethra verbindet. Er tastet sich als fester, glatter und rundlicher Strang im Funiculus spermaticus. Er wird in 3 Abschnitte unterteilt. Der längste Anteil dient dem Transport der Samenzellen. Der an der Hinterseite der Harnblase verlaufende Anteil erweitert sich zur Ampulla ductus deferentis und hat Drüsencharakter. Der Ductus ejaculatorius ist das gemeinsame Endstück von Vesiculae seminales (Samenblasen) und Ductus deferens.

Gefäßversorgung

Hoden und Nebenhoden nehmen beim Deszensus ihre Gefäß- und Lymphversorgung mit, sodass diese aufgrund ihrer ursprünglichen Nähe zu den Nieren ihren Ursprung nahe der Nierengefäße haben. Die A. testicularis entspringt direkt unterhalb der Nierenarterie aus der Aorta, als Variante auch aus der A. renalis. Sie überkreuzt den Ureter unterhalb des Nabels und zieht dann lateral der A. und V. iliaca communis/externa zum Leistenkanal und verläuft anschließend durch den Leistenkanal. Im Samenstrang (Funiculus spermaticus) wird sie von einem Venengeflecht (Plexus pampiniformis) umgeben. Im Bereich des Nebenhodenkopfes bzw. teilweise auch schon vorher bestehen Anastomosen zwischen der A. testicularis aus der Aorta und der A. ductus deferentis aus der A. umbilicalis. Diese Anastomosen der Stromgebiete macht man sich bei dem Fowler-Stephens-Manöver zunutze (Kap. „Hodendystopie: Korrekturstrategien“).
Aus dem Plexus pampiniformis gehen dann die Vv. testiculares hervor. Die linke mündet in die linke V. renalis, die rechte direkt in die V. cava. Aufgrund von ungünstigeren Druckverhältnissen auf der linken Seite kommt es linksseitig häufiger zu einer Varikozele (Kap. „Hydrozele, Varikozele und andere skrotale Erkrankungen“).

Lymphabflussverhältnisse

Der Lymphabfluss geht parallel mit der Gefäßversorgung der Hoden, wobei die Lymphe zuerst in die Nn. lymphatici lumbales dräniert wird (Abb. 8a, b). Diese anatomische Beziehung ist für die Lokalisation der Lymphknotenmetastasen bei Hodentumoren von Bedeutung und hat hier zu den Templates (Resektionsgebieten) bei der modifizierten, eingeschränkten retroperitonealen Lymphadenektomie geführt (Kap. „Hodentumor: Therapie des Primärtumors“).
Lymphbahnen, die entlang des Ductus deferens gehen, dränieren in die Nn. lymphatici iliaci externae. Die Lymphbahnen der Hodenhüllen und der Skrotalhaut dränieren in die lokoregionären Lymphknoten der Nn. lymphatici inguinales in der Leistenbeuge (Abb. 8c). Eine skrotale Freilegung des Hodentumors führt damit zu einer möglichen Veränderung des lymphogenen Metastasierungsbereiches.

Nerven

Der Plexus testicularis kommt aus dem Plexus aorticus abdominalis. Er verläuft mit der A testicularis. Die afferenten Nervenfasern haben ihren ihre Zellkörper im Grenzstang (T10).

Zusammenfassung

  • Hoden: primär intraabdominell gelegen, deszendiert zwischen der 10. SSW und Geburt bzw. bis zum 3. Lebensmonat ins Skrotum.
  • Anatomische Verhältnisse: erklärt durch embryologische Entwicklung, Mitnahme der peritonealen Umschlagsfalte sowie Gefäße.
  • Embryologie: erklärt Vielzahl der Pathologien (Hodendystopie, Hodenektopie, offener Processus vaginalis, Hydrozele, Funikolozele etc.).
  • Hodenhüllen: setzen sich zusammen aus: Skrotalhaut, Tunica dartos, Fascia spermatica externa, Fascia cremasterica, M. cremaster, Fascia spermatica interna sowie Tunica vaginalis testis, bestehend aus dem äußeren parietalen Blatt (Lamina parietalis) und dem inneren, viszeralen Blatt (Lamina visceralis).
  • Hoden: umgeben von Tunica albuginea, unterteilt durch Septula testis in ca. 250–400 Lobuli testis mit 2–4 Tubuli seminiferi; die ziehen zum Rete testis, münden in ca. 10 Ductuli efferentes testis.
  • Nebenhoden: unterteilt in (Caput epididymidis, Corpus epididymidis, Cauda epididymidis, geht über in Ductus deferens).
  • Funiculus spermaticus: besteht aus Hodenhüllen (Fascia spermatica interna, Fascia cremasterica, Fascia spermatica externa), Ductus deferens, R. genitalis des N. genitofemoralis, Lymphgefäßen, venösen Plexus pampiniformis, 3 Arterien (A. testicularis, A. ductus deferentis und A. cremasterica) aus 3 unterschiedlichen Stromgebieten.
  • Lymphabfluss: Skrotum über Nn lymphatici inguinalis superficiales, Hoden: Nn. lymphatici lumbales.
Weiterführende Literatur
Brooks JD (2007) Anatomy of the lower urinary tract and male genitalia. In: Wein AJ, Kavoussi LR, Novick AC et al (Hrsg) Campbell-Walsh urology, 9. Aufl. Saunders, Philadelphia, S 38–78
Frick H, Leonhardt H, Strack D (1980) Spezielle Anatomie II. Thieme, Stuttgart
Hinman F (1993) Atlas of urosurgical anatomy. Saunders, Philadelphia
Lippert H (2003) Lehrbuch Anatomie, 6. Aufl. Elsevier, München
Meinhardt A (2011) Skrotum, Hodenhüllen und Samenstrang. In: Krause W, Weidner W, Sperling H et al (Hrsg) Andrologie. Thieme, Stuttgart, S 25–26
Netter FH, Hansen JT, Olah AJ, Müller O (2003) Atlas der Anatomie des Menschen – dritte überarbeitete und erweiterte Aufl.. Thieme, Stuttgart
Platzer W (1994) Pernkopf Anatomie – Atlas der topographischen und angewandten Anatomie des Menschen. Urban & Schwarzenberg, München/Wien/Baltimore
Schünke M, Schulte E, Schumacher U (2005) Prometheus Lernatlas der Anatomie Hals und Innere Organe. Thieme, Stuttgart