Bei einem fehlenden Therapieerfolg nach ggf. wiederholter Benzodiazepin-Gabe kommen gemäß der aktuellen Leitlinie intravenöse Antikonvulsiva zum Einsatz (Tab.
1; [
24]). Aufgrund der fehlenden Interaktion mit anderen Medikamenten, der guten Verträglichkeit sowie einer fehlenden hepatischen Verstoffwechselung hat sich in den letzten Jahren der SV2A-Ligand Levetiracetam in der Eskalationstherapie des SE etabliert. Wegen der kreislaufdepressorischen Effekte von Phenytoin und Phenobarbital, für deren Verabreichung zudem ein zentraler Zugang notwendig ist, rücken diese in der Behandlung des SE generell, aber auch im höheren Alter als therapeutische Optionen zunehmend in den Hintergrund. Zudem schmälert die Induktion des hepatischen Cytochrom-C450-Systems mit relevanten Auswirkungen auf potenzielle andere Medikamente den Einsatz dieser Substanzen bei Patienten mit vorbestehender Polypharmazie. Valproat weist insbesondere bei Polypharmazie ein hohes Interaktionspotenzial auf, auch hier aufgrund einer ausgeprägten Interaktion mit dem hepatischen Cytochrom-System, insbesondere der P450-Enzyme, CYP4B1, CYP2C9, CYP2A6, CYP2B6, CYP2C19 sowie der UDP-Glucuronyltransferase. Unter Therapie mit Carbapenemen wie Meropenem oder Ertapenem, in geringerem Ausmaß aber auch bei Anwendung von Imipenem oder Doripenem, kommt es aufgrund von unterschiedliche pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Mechanismen zu einem drastischen Abfall bzw. fehlendem Anstieg des Valproat-Serumspiegels. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass diese Interaktion auf eine vermehrte hepatische Metabolisierung von Valproat durch P450-Enzyme zurückzuführen ist, ist die Ursache des Abfalls des Valproat-Spiegels multifaktoriell und keineswegs nur durch das hepatische Cytochrom-System zu erklären. Ursächlich sind neben einer intestinalen Absorptionshemmung von Valproat, einer reduzierten bakteriellen Hydrolysierung von glucuronidiertem Valproat aufgrund einer Carbapenem-induzierten Reduktion des intestinalen Mikrobioms und einer Inhibition des erythrozytären Multidrug-Resistance-Rezeptors 1 (MDR-1) mit konsekutiv erhöhter intrazellulärer Speicherung von Valproat auch eine direkte Hemmung der Glucuronyl-Hydrolase sowie eine vermehrte Umwandlung der glucuronidierten Form in freies Valproat [
18,
34]. Levetiracetam kann als Kurzinfusion rasch infundiert werden, eine Anpassung der Dosis an die Nierenfunktion ist ab einer Kreatinin-Clearance von unterhalb 80 ml/min/1,73 m
2 notwendig (s. Fachinformation). Aktuell untersucht die multizentrisch in Deutschland durchgeführte ToSEE-Studie die Effektivität und Sicherheit von Valproat und Levetiracetam bei Patienten in höheren Lebensalter im direkten Vergleich [
19]. Der SV2A-Ligand Brivaracetam, welcher als Bolus applizierbar ist, scheint in der SE-Therapie ebenfalls sicher und effektiv zu sein [
1,
30,
31,
39]. Lacosamid wird als weiterer Natriumkanalblocker in der aktuellen Status-epilepticus-Leitlinie als Alternative erwähnt, insbesondere bei Patienten mit höhergradigem AV-Block oder schwerer Herzerkrankung besteht jedoch auch hier eine relative Kontraindikation [
24]. Nichtdestotrotz findet Lacosamid aufgrund der raschen Titrierbarkeit im Vergleich mit Phenytoin und Phenobarbital deutlich einfacheren Handhabung zunehmend Anwendung in der modernen Statustherapie [
3,
32,
33].
Auch beim etablierten SE kann im Rahmen eines palliativen Therapiekonzeptes oder einer Limitation der gewünschten Therapien eine sonstige enterale oder parenterale Applikation von Antikonvulsiva erfolgen. Für Levetiracetam gibt es Evidenz aus Einzelfallberichten für eine s.c.-Applikation [
6,
21], Levetiracetam, Lacosamid, Valproat und Perampanel sind zudem als Saft verfügbar und über eine nasogastrale bzw. über eine perkutane gastrale Sonde applizierbar [
38]. Insbesondere bei Patienten, die keine Behandlung im intensivmedizinischen Setting wünschen oder bei denen aus medizinisch-ethischer Sicht eine solche nicht vertretbar ist, sollte zudem eine Off-label-Behandlung mit anderen oralen Antikonvulsiva bedacht werden, auch wenn hierdurch ein rasches Durchbrechen des SE kaum zu erreichen ist. Die Evidenz für orale Therapien im Status epilepticus wurde rezent in einem systematischen Review untersucht, die Evidenzlevel, Applikationsformen sowie die jeweiligen Start- und Erhaltungsdosierungen sind in Tab.
3 dargestellt [
38]. Hierbei kann zum einen auf das bereits angesprochene Brivaracetam zurückgegriffen werden, welches ebenfalls am präsynaptischen SV2A-Rezeptor bindet und in Studien ein Therapieansprechen in 27–54 % der untersuchten Patienten gezeigt hat. Auch für Perampanel konnte ein vergleichbar gutes Ansprechen in 16–100 % der Fälle in Fallberichten bzw. retrospektiven Analysen gezeigt werden [
38,
39]. Für den Einsatz des GABA
A-Rezeptor-Modulators Stiripentol, welcher nur für die Add-on-Behandlung bei Dravet-Syndrom zugelassen ist, gibt es weniger Evidenz; in den bisher veröffentlichten 3 Studien konnte ein therapeutisches Ansprechen in 60–100 % der Erkrankten beobachtet werden [
38]. Der therapeutische Nutzen von Topiramat, welches seinen Effekt über die Modulation von Natriumkanälen sowie AMPA- und GABA
A-Rezeptoren vermittelt, konnte in retrospektiven und prospektiven Studien belegt werden, wobei die Rate des Ansprechens zwischen 16 und 100 % lag. Zu Zonisamid liegen Daten aus einer retrospektiven Studie vor, die einen therapeutischen Effekt in 16 % der Fälle zeigte [
38]. Die Evidenzlage für einen Steroidpuls, die Gabe von Magnesium oder der Einsatz einer ketogenen Diät kann aufgrund der jeweiligen Evidenzlage nicht generell empfohlen werden, sollte jedoch individuell abgewogen und evaluiert werden [
24,
38].
Tab. 3
Alternativen zur medikamentösen Eskalation bei refraktärem oder superrefraktärem Status epilepticus
Brivaracetama | SV2A-Ligand | 100–200 mg | 200 mg/Tag | 1‑0-1‑0 | i.v., p.o. (Tablette, Saft) |
Perampanela | Antagonist am AMPA-Rezeptor | 8–12 mg | 12 mg/Tag | 0‑0-0‑1 | p.o. (Tablette, Suspension) |
Stiripentola | Modulator am GABAA-Rezeptor | 2000–3000 mg | 4000 mg/Tag | 1‑0-1‑0 | p.o. (Tablette, Suspension) |
Topiramata | Na-Kanalblocker, Antagonist am AMPA-Rezeptor, Modulator am GABAA-Rezeptor | 400 mg | 400 mg/Tag | 1‑0-1‑0 | p.o. (Tablette, suspendierbar) |
Zonisamida | Na-Kanalblocker, Ca-Kanalblocker | 300 mg | 600 mg/Tag | 1‑0-1‑0 | p.o. (Tablette, Suspension) |