Unklarer Herzstillstand: Rasche Koronarangiografie ist ohne Vorteil

Wenn von einem Herzstillstand unklarer Ursache betroffene Menschen in die Klinik gelangen, ist eine eilig initiierte Koronarangiografie nicht unbedingt die beste Maßnahme. Vorteile resultieren daraus nicht, wie die Ein-Jahres-Ergebnisse der TOMAHAWK-Studie jetzt zeigen. Bei fast der Hälfte aller rund 75.000 Menschen, die pro Jahr in Deutschland von einem Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses betroffen sind, ist ursächlich ein akuter Myokardinfarkt im Spiel. Bei eindeutigen EKG-Zeichen in Form von ST-Streckenhebungen ist diese Ursache rasch erkannt. Nach Eintreffen der reanimierten Patienten in der Klinik kann dann sofort eine Koronarangiografie, gegebenenfalls mit früher Revaskularisation, in die Wege geleitet werden. Bei vielen reanimierten Patienten ohne ST-Streckenhebung im EKG bleibt die Ursache für den Herzstillstand aber zunächst unklar. Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit einer kardialen Ursache könnte es auch in diesen Fällen von Vorteil sein, sofort nach Einlieferung in die Klinik eine Herzkatheter-Untersuchung einzuleiten. Klären sollte das die vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) finanzierte und an Zentren in Deutschland und Dänemark durchgeführte randomisierte TOMAHAWK-Studie. Schon das Hauptergebnis sprach gegen eine sofortigen Herzkatheter-Untersuchung Darin ist primär untersucht worden, ob die 30-Tage-Überlebensrate von reanimierten Patienten mit unklarem Herz-Kreislauf-Stillstand höher ist, wenn sie routinemäßig einer sofortigen statt einer verzögert bzw. selektiv vorgenommenen Koronarangiografie unterzogen werden. Das Hauptergebnis der simultan im „New England Journal of Medicine“ publizierten Studie hat Studienleiter Prof. Studienleiter Prof. Steffen Desch, Herzzentrum Leipzig, bereits vor zwei Jahren beim ESC-Kongress 2021 vorgestellt. Danach hat TOMAHAWK die Erwartungen nicht erfüllt: Mit 54,0% (sofortige Koronarangiografie) versus 46,0% (verzögerte Angiografie) unterschieden sich die Raten für die Mortalität nach 30 Tagen (primärer Endpunkt) nicht signifikant (Hazard Ratio: 1,28; 95%-Konfidenzintervall: 1,00–1,63; p = 0,06). Auch die Rate für den kombinierten Endpunkt aus Tod oder schwerer neurologischer Beeinträchtigung war mit 64,3% versus 55,6% in der Gruppe mit rasch eingeleiteter Angiografie tendenziell höher als in der Kontrollgruppe mit abwartender, selektiver Nutzung der Herzkatheter-Untersuchung (Relatives Risiko: 1,16; 95%-KI: 1,00–1,34). Zumindest theoretisch könnte die frühe Revaskularisation günstige Effekte auf die Myokardfunktion gehabt haben, deren Auswirkungen erst nach einiger Zeit klinisch manifest werden. Um darüber Aufschluss zu gewinnen, hat die Gruppe um Desch in einer sekundären Analyse die Ein-Jahres-Daten der Studie ausgewertet. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachblatt „JAMA Cardiology“ veröffentlicht worden. Auch nach einem Jahr war kein Vorteil zu entdecken An der Tatsache, dass die Routinestrategie einer sofortigen Koronarangiografie bei reanimierten Personen mit unklarem Herz-Kreislauf-Stillstand ohne Vorteil war, ändert allerdings auch die auf Daten von 530 Patienten basierende Langzeitanalyse nichts. Nach einem Jahr waren die Raten für die Gesamtmortalität mit 60,8% (sofortige Angiografie) versus 54,3% (verzögerte bzw. selektive Angiografie) nicht signifikant unterschiedlich – bei einem Trend zu Ungunsten der Strategie einer eilig initiierten Koronarangiografie (Hazard Ratio: 1,25; 95%-KI: 0,99–1,57; p = 0,05). Und auch bezüglich der Endpunkte schwere neurologische Beeinträchtigung (relatives Risiko: 1,47; 95%-KI: 0,66–3,26), Myokardinfarkt (relatives Risiko: 0,00; 95%-KI: 0,00–1,47) sowie Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz (relatives Risiko: 0,92; 95%-KI: 0,27–3,08) war bei den überlebenden Patientinnen und Patienten nach einem Jahr kein für eine sofortige Koronarangiografie sprechender Benefit feststellbar. An der an 31 Zentren in Deutschland und Dänemark durchgeführten TOMAHAWK-Studie waren 554 nach Herzstillstand reanimierte Patienten ohne ST-Streckenhebung im EKG beteiligt. Davon waren 281 der Gruppe mit sofortiger Angiografie und 273 der Kontrollgruppe zugeteilt worden. Daten von 530 Teilnehmern gingen in die primäre Analyse ein. In der Gruppe mit früh initiierter Herzkatheter-Untersuchung erfolgte diese im Schnitt drei Stunden nach Herzstillstand (bei 95,5% der Patienten), in der Kontrollgruppe im Schnitt 47 Stunden nach Herzstillstand (bei 62,2% der Patienten). Die TOMAHAWK-Ergebnisse gehen mit denen der 2019 publizierten COACT-Studie konform. Auch in COACT konnte – gemessen an der Mortalität nach 90 Tagen – kein Vorteil einer sofortigen Koronarangiografie bei reanimierten Patienten ohne ST-Hebung nachgewiesen werden. Während das COACT-Studienkollektiv ausschließlich aus Patienten mit schockbarem Rhythmus bestand, repräsentiert TOMAHAWK ein breiteres Spektrum von Patienten mit schockbarem und nicht schockbarem Rhythmus. Im Einklang mit diesen beiden bislang größten Studien stehen auch die Ergebnisse kleinerer randomisierter Studien wie DISCO, PEARL und EMERGE. In einer DZHK-Pressemitteilung anlässlich der Präsentation der TOMAHAWK-Hauptergebnisse im Jahr 2021 zog Studienleiter Desch folgende an seine Kolleginnen und Kollegen gerichtete Schlussfolgerung: „Bei der Mehrheit der Patienten gibt es keinen Grund, gerade auch in angespannten Situationen wie Nachtdiensten überhastete Koronarangiografien durchzuführen. Nehmen Sie sich Zeit und verfolgen Sie den klinischen Verlauf. Sollten sich nach ein bis zwei Tagen keine weiteren Ursachen für den Herz-Kreislauf-Stillstand gefunden haben, kann eine Herzkatheter-Untersuchung Klarheit bringen.“ An dieser Empfehlung dürfte sich auch nach den jetzt vorgelegten Ein-Jahres-Ergebnisse der Studie nichts geändert haben. Basierend auf: Steffen Desch et al.: Coronary Angiography After Out-of-Hospital Cardiac Arrest Without ST-Segment ElevationOne-Year Outcomes of a Randomized Clinical Trial. JAMA Cardiology 2023, doi:10.1001/jamacardio.2023.2264

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