Zusammenfassung
Da Alkohol- und Tabakkonsum häufig miteinander vorkommen, hat sich das wissenschaftliche Interesse an beiden Suchtmitteln in den letzten Jahren deutlich erhöht. Das Schädigungspotenzial beim gemeinsamen Gebrauch ist wesentlich höher als das von Alkohol oder Tabak allein. In der Praxis schildern Patienten häufig, dass sie eine der Abhängigkeiten problemlos beenden konnten, aber seit dieser Zeit sich das Einnahmeverhalten gegenüber anderen Substanz deutlich verschlechtert hätte (z. B. gelingt es Patienten, problemlos mit dem Rauchen aufzuhören, aber anschließend wurde der Alkoholmissbrauch deutlich problematischer). Nachdem wir immer mehr über die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen wissen, und die Basisforschung immer besser erklären kann, wie die einzelnen Regelkreise des Gehirns funktionieren, ist es uns ein Anliegen, auch den klinisch Tätigen die Unterlagen zu liefern, die sie in der Therapie oder auch Beratung von Tabak- und Alkoholabhängigen benötigen. Die Differenzierung zwischen Phänomenen wie Belohnungssystem, Suchtgedächtnis, Entzugserscheinungen oder auch dem Verlangen (Craving) nach Tabak und Alkohol ist heute unbedingt notwendig, um eine rationale Therapie und Beratung durchzuführen. In der Literatur (Bleuler 1983; Forel 1930, 1935; Haller 2007; Konsensus-Statement: Substanzbezogene Störungen und psychiatrische Erkrankungen 2007) werden noch immer sehr alte Konzepte vertreten, die dann in allgemeine Regeln zur Therapie von Abhängigen münden, wobei man häufig bemerkt, dass von den Autoren Wertvorstellungen vertreten werden, die heute nicht mehr akzeptiert werden können. Rückfall wird immer als etwas Negatives gesehen, und auch das negative Stigma der Diagnose Abhängigkeit stellt noch immer ein großes Problem dar. Dieses Buch will versuchen, sachliche Informationen zu liefern, die bewusst machen, dass der Verlauf von Abhängigkeitserkrankungen nichts mit Schuld oder persönlicher Schwäche zu tun hat. Die praktisch Tätigen haben sich von diesen allgemeinen Therapierichtlinien meist gelöst und vertreten ein Konzept der „individuellen Therapie“ für jeden Patienten. Diese Therapien heißen dann Therapie nach Dimensionen oder ressourcenorientierte Therapie oder auch Therapie, die nicht veränderbare Variable akzeptiert und veränderbare Variable zu beeinflussen versucht. Prinzipiell ist diesen modernen Ansätzen aus meiner Sicht zuzustimmen, in diesem Buch werden Faktoren dargestellt werden, die allgemeine Gültigkeit haben und in der Therapie von Abhängigkeitserkrankungen bei den meisten Patienten hilfreich sind. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zu Untergruppen nach der Typologie nach Lesch stellen Grundlagen für die Therapie dar, die individuell oft noch modifiziert werden müssen. Der Veränderungswunsch sollte verstärkt werden und die Verbesserung der Veränderungskompetenz stellt den Anfang jeder Therapie dar. Gerade zur Motivationsarbeit nach den Untergruppen und zur Anticraving Medikation gibt es neue Daten, die eine 2. Auflage notwendig machten. Henriette Walter und ich haben in der 2. Auflage noch andere Experten um Hilfe gebeten, die sich vor allem aus psychologischer und neurophysiologischer Sicht mit dem Thema Motivation beschäftigen.