Vierter Fall einer Heilung von HIV bekannt

Per Stammzelltransplantation von einer HIV-Infektion zu heilen: Das ist Ärzten nun zum vierten Mal gelungen. Doch der Fall der „New York Patientin“ ist aus einem Grund besonders. Bei einer HIV-positiven Patientin aus den USA ist es gelungen, ihre Infektion mittels einer Stammzelltransplantation zu heilen. Damit reiht sich die „New York Patientin“ als vierter erfolgreicher Fall ein in die Gruppe um den „Berlin Patienten“ (den im September 2020 gestorbenen Timothy Ray Brown), den „London Patienten“ (den aus Venezuela stammenden Adam Castillejo) und den namentlich nicht bekannten „Düsseldorf Patient“. Welche Behandlung hat die Patientin erhalten? Der noch nicht publizierte Fallbericht der „New York Patientin“ wurde am Dienstag bei der Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI) in Denver vorgestellt. Bei der Patientin handelt es sich um eine US-amerikanische Frau, die aufgrund ihrer Leukämie eine Stammzelltransplantation benötigte. Bei der Auswahl der Spender-Stammzellen für die Transplantation wählte man solche aus, die infolge einer genetischen Mutation mit einer Immunität gegen HIV einhergehen. Genauer gesagt: Das in den Stammzellen enthaltene Gen, das für den CCR5-Rezeptor an der Zelloberfläche kodiert, war deletiert, also nicht vorhanden. In der Folge konnte dieser für das HI-Virus wichtige Chemokin-Rezeptor nicht gebildet werden, den das Virus neben dem CD4-Rezeptor benötigt, um die Immunzellen des Wirts zu infizieren. Das Immunsystem der „New York Patientin“ dürfte nach der Stammzelltransplantation in der Lage gewesen sein, die HIV-Infektion ohne antiretrovirale Therapie zu kontrollieren – das legen die Erfahrungen ihrer drei Vorgänger nahe. Und tatsächlich gilt die Patientin dem Fallbericht zufolge seit 14 Monaten als virenfrei. Stammzellen aus der Nabelschnur Was macht die „New York Patientin“ besonders? Neben der Tatsache, dass sie die erste Frau mit einer solchen erfolgreichen Behandlung ist, wurde beim aktuellen Fall anders als bei den Patienten aus Berlin, London und Düsseldorf nicht auf eine Transplantation allogener hämatopoetischer Stammzellen per Knochenmarkstransplantation gesetzt. Stattdessen wurden die transplantierten Stammzellen aus Nabelschnurblut gewonnen. Das ist einfacher verfügbar und es ist eine weniger genaue Übereinstimmung zwischen Spender und Rezipient erforderlich im Vergleich zu Knochenmarkszellen. Die „New York Patientin“ erhielt die Behandlung als Teil einer größeren Patientenkohorte, die ebenfalls HIV-positiv und an Krebs erkrankt sind. Studienergebnisse weiterer Patienten mit Transplantation dürften also folgen. Empfehlung der Redaktion 28.01.2021 | HIV | Panorama Wie es zu einer vollständigen HIV-Spontanheilung kommt Es gibt Berichte von HIV(Humane Immundefizienz-Virus)-Infizierten, denen es ganz ohne Therapie gelingt, die Viruslast unter der Nachweisgrenze zu halten: die Elite Controller. Bei ihnen ist es offenbar das Immunsystem selbst, welches das Virus in Schach hält. Bietet sich diese Behandlung womöglich als breite Therapieoption für HIV-Positive an? Nein, dafür ist das mit dieser Behandlung verbundene Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko schlicht zu hoch, ordnet Dr. Markus Bickel, niedergelassener Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie in Frankfurt, den Fall im Gespräch mit der Ärzte Zeitung ein: „Bislang sind solche gentherapeutischen Studien für ansonsten gesunde Menschen mit HIV aufgrund noch unbekannter Langzeitrisiken einer Gentherapie ethisch einfach nicht zu vertreten.“ Bickel ist im Feld der Infektiologie seit über 20 Jahren tätig und Vorstandsmitglied der dagnä, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter. Für ihn gibt es für den breiten Einsatz bessere Alternativen: „Mit modernen HIV-Therapieoptionen wird ohne wesentliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen eine funktionelle Heilung in über 95 Prozent der Fälle problemlos erreicht. Deshalb ist dieser Fall zwar spannend und erfreulich, aber für die tägliche Behandlung zunächst ohne Auswirkungen.“ Heilung grundsätzlich möglich Der Fall aus New York unterstreicht jedoch, dass das Ziel der Heilung von HIV grundsätzlich möglich ist und dass Gentherapien einen wichtigen Faktor dafür darstellen. Bickel hebt hervor: „Interessant ist eben, dass diese selten vorkommende natürliche HIV-Resistenz durch eine einzige winzige Änderung im Erbgut auch gentechnisch erzeugt werden könnte.“ Bei der Behandlung der „New York Patientin“ konnten die Ärzte sich auf Erfahrungen aus den Fällen der drei früheren Patienten stützen. Der „Berlin Patient“ Brown, der sich 1995 mit HIV infizierte und als Student in Berlin lebte, hatte 2007 eine Stammzelltransplantation gegen akute myeloische Leukämie erhalten, an der Brown seit 2006 außerdem litt. Er galt seit 2008 als virenfrei und benötigte seit dem Eingriff keine antiretrovirale Therapie. Brown blieb virenfrei bis zu seinem Tod im September 2020. Er starb im Alter von 54 Jahren an den Folgen der Leukämie, die einige Monate zuvor zurückgekehrt war und in Wirbelsäule und Hirn metastasiert hatte. Auf Berlin folgte London: Adam Castillejo erhielt wegen eines therapierefraktären Hodgkin-Lymphoms eine Knochenmarkstransplantation. Er ist der zweite Patient, bei dem diese spezielle Behandlung erfolgreich verlief und gilt seit März 2020 als von HIV geheilt. Der „Düsseldorf Patient“ wird als dritter erfolgreicher Fall oft übersehen: Er erhielt wie Brown eine Stammzelltransplantation wegen akuter myeloischer Leukämie. Der Patient ist seit Anfang 2019 bis heute ohne antiretrovirale Therapie virenfrei und ist bei guter Gesundheit, wie eine Sprecherin des Universitätsklinikums Düsseldorf der Ärzte Zeitung bestätigte. Selten geht es auch ohne Transplantation Eine funktionelle Heilung von HIV mittels Stammzelltransplantation wurde neben den bekannten Fällen noch mehrere Male erfolglos probiert. So sind einige HIV-Patienten bekannt, bei denen nach einer Stammzelltransplantation das Virus zwar mehrere Monate nicht nachweisbar war, später aber wieder zurückkehrte. Andere Patienten starben früh an Rezidiven ihrer Krebserkrankung oder Komplikationen. Mediziner mahnen zur Vorsicht: Auch wenn ein Patient mehrere Monate nach einer solchen Behandlung virenfrei sei, könne man erst nach mehreren Jahren ohne Virennachweis von einer Heilung sprechen. In seltenen Fällen geht es auch ganz ohne Transplantation von Stammzellen: So etwa bei Loreen Willenberg, die ebenfalls als von HIV geheilt gilt. Willenberg lebt seit 1992 ohne antiretrovirale Therapie mit dem Virus. Als sogenannte „Elite Controller“ ist ihr Immunsystem von sich aus (also ohne Transplantation oder Medikation) in der Lage, die HIV-Infektion unter Kontrolle zu halten, da es das Virus-Genom früh mutieren konnte. Ein Wissenschaftler-Team aus Cambridge betreut neben Willenberg 63 weitere HIV-positive Patienten, deren Immunsystem durch seltene, glückliche Umstände in der Lage ist, das Virus eigenständig in Schach zu halten. Quelle: Ärzte Zeitung

Springer Medizin

Vierter Fall einer Heilung von HIV bekannt

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Innere Medizin

Ovarialkrebs: Erhaltungstherapie mit Taxanen ist wenig erfolgreich

COVID-19 ist eine der Haupttodesursachen in den USA

Akutes Koronarsyndrom: Welche Risiken birgt eine Anämie?

Mit einer Corona-Impfung Schutz für zwei

Newsletter

Fallbeispiele zur Gastroenterologie