Erschienen in:
01.05.2004 | Leitthema
Wie neuropathisch ist die Lumboischialgie?
Das Mixed-pain-Konzept
verfasst von:
Prof. Dr. med. R. Baron, A. Binder
Erschienen in:
Die Orthopädie
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Ausgabe 5/2004
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Zusammenfassung
Bei der chronischen Lumboischialgie kommen verschiedene Schmerzkomponenten mit unterschiedlichen pathophysiologischen Entstehungsmechanismen vor. Man kann eine rein nozizeptive Komponente, den nozizeptiven lokalisierten Rückenschmerz, von mehreren neuropathischen Schmerzkomponenten abgrenzen. Bei den neuropathischen Formen können neu in die Bandscheibe eingesprossene Nozizeptoren durch degenerative Veränderungen geschädigt werden (neuropatisch-lokal). Weiterhin kann die Nervenwurzel einerseits durch eine mechanische Bedrängung verletzt werden (mechanisch-neuropathischer Nervenwurzelschmerz), andererseits können entzündliche Mediatoren aus der degenerierten Bandscheibe die Nervenwurzel chemisch schädigen, ohne dass eine eigentliche mechanische Kompression vorliegt (entzündlich-neuropathischer Nervenwurzelschmerz).
Das Ausmaß der verschiedenen Komponenten ist wahrscheinlich individuell sehr verschieden. Aufgrund dieser Mechanismenvielfalt hat sich heute zur Beschreibung einer Mischung aus nozizeptiven, entzündlichen und neuropathischen Schmerzkomponenten der Begriff Mixed-pain-Syndrom durchgesetzt, ein Konzept, dass besonders bei der Lumboischialgie valide zu sein scheint.
Genaue epidemiologische Daten, z. B. zur Häufigkeit der neuropathischen Komponenten, zu den pathophysiologischen Entstehungsmechanismen der verschiedenen Schmerzformen und zu diagnostischen Möglichkeiten zur Identifikation der Komponenten gibt es bislang nicht. Eine solche differenzierte Charakterisierung ist wesentlich, da die neuropathischen Schmerzkomponenten im Gegensatz zu den nozizeptiven Schmerzen einer völlig anderen Therapie bedürfen.
Die medikamentöse Therapie der chronischen Rückenschmerzen wird heutzutage nahezu ausschließlich gegen die nozizeptive Komponente gerichtet. Als First-line-Medikation werden nichtsteroidale Antiphlogistika und in schweren Fällen Opioide eingesetzt. Die durch die mechanische Kompression bedingte neuropathische Schmerzkomponente, wie auch Teile der entzündlich-neuropathischen Komponente der Lumboischialgie, können jedoch insbesondere durch die nichtsteroidalen Antiphlogistika nicht entscheidend beeinflusst werden. Für diese Schmerzkomponenten stellen die sog. Koanalgetika, zu denen die Antiepileptika und die Antidepressiva gezählt werden, das wesentliche Indikationsgebiet dar. In Kombination mit nichtsteroidalen Antiphlogistika können insbesondere bei bislang therapierefraktären Patienten Carbamazepin, Gabapentin oder Pregabalin bzw. alternativ Amitriptylin eingesetzt werden.