Erschienen in:
14.08.2019 | Pathologie | Geschichte der Pathologie
Ein Karrierestart im „Dritten Reich“
Der Pathologe und Rudolf-Virchow-Preisträger Walter Müller (1907–1983)
verfasst von:
S. Lang, M. Schmidt, C. Graef, D. Gross
Erschienen in:
Die Pathologie
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Ausgabe 6/2019
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Zusammenfassung
Der Pathologe Walter Müller gehört zweifellos zu den bekanntesten Nachkriegsvertretern seines Fachs. Er arrivierte zum Ordinarius und Gründungsdekan in Essen, und die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP) verlieh ihm 1983 für seine Verdienste um das Fach die Rudolf-Virchow-Medaille – die höchste Auszeichnung der Fachgesellschaft.
Doch war diese ruhmreiche Laufbahn keineswegs vorgezeichnet. Vielmehr deutete sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst ein Karrierebruch an, der weithin unbekannt geblieben ist. Nach der Flucht vor der heranrückenden Roten Armee aus Königsberg musste Müller um seine berufliche Existenz und sein wissenschaftliches Fortkommen bangen, da ihm in Zusammenhang mit der Entnazifizierung ein Berufsverbot drohte. Als junger Assistenzarzt war Müller bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten der Berliner SA beigetreten und hatte zudem 1937 die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt.
Der Beitrag beschäftigt sich mit den politischen Einflüssen und Auswirkungen des Nationalsozialismus auf Nachwuchswissenschaftler und deren Karrierebildung am Beispiel Müllers. Er stellt die Frage nach typischen politischen Barrieren und übergreifend gültigen Mustern der Anpassung.
Auf Grundlage des persönlichen schriftlichen Nachlasses, personenbezogener Archivquellen und einer Reanalyse der verfügbaren Sekundärliteratur werden bestehende Selbstdarstellungen und Narrative Müllers kritisch überprüft und ergänzt. Dabei lässt sich an mehreren Beispielen herausarbeiten, dass Müllers Karrierebildung durch die Bereitschaft zur politischen Anpassung gekennzeichnet war. Nach einem passageren Karriereknick in den Jahren 1946/47 gelang ihm dank eines glimpflich verlaufenden Entnazifizierungsverfahrens die berufliche Konsolidierung und der nachfolgende Aufstieg zu einem der führenden deutschsprachigen Fachvertreter.