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Erschienen in: Ethik in der Medizin 1/2005

01.03.2005 | Aktuelles

Patientenverfügungen

Zwischenbericht der Enquetekommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestages

verfasst von: Ulrike Riedel

Erschienen in: Ethik in der Medizin | Ausgabe 1/2005

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Auszug

Die ethische und rechtliche Bewertung der Patientenverfügung (PV) ist umstritten.1 Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, inwieweit eine PV verbindlich ist und daher vom Arzt und denjenigen, die anstelle des nichteinwilligungsfähigen Patienten handeln müssen, umgesetzt werden muss, und welche Anforderungen an Form und Inhalt einer verbindlichen PV zu stellen sind. Im Juni 2004 legte die vom Bundesministerium der Justiz einberufene Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ ihren Bericht mit Gesetzgebungsvorschlägen zur PV vor.2 Die Vorschläge wurden—mit Ausnahme derjenigen zur Änderung des Strafrechtes—in einem ersten Gesetzesvorschlag des Bundesministeriums der Justiz übernommen3 (vgl. zu diesem Gesetzentwurf ausführlich [5]). Bereits vorher hatte die Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz in ihrem Bericht zu Sterbehilfe und Sterbebegleitung vom April 2004 Vorschläge zum Umgang mit PVen vorgelegt4 (vgl. [3]). Im September 2004 legte schließlich die Enquetekommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestages (EK) ihren Bericht zu den medizinischen, ethischen und rechtlichen Fragen der PV mit Gesetzgebungsvorschlägen vor.5
Fußnoten
1
Unter einer PV wird die Willensäußerung einer einwilligungsfähigen Person darüber verstanden, welche medizinischen Maßnahmen sie für den Fall des Verlustes der Entscheidungsfähigkeit wünscht oder ablehnt.
 
2
Bericht der Arbeitsgruppe vom 10.06.2004 unter http://www.bmj.bund.de.
 
3
Im folgenden „Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechtes“, Stand 01.11.2004, unter http://www.bmj.bund.de.
 
4
Bericht unter http://www.justiz.rlp.de
 
5
Bundestags-Drucksache 15/3700 vom 13.9.2004 und Kurzfassung unter http://www.bundestag.de/parlament/kommissionen/ethik_med/berichte.
 
6
Im Folgenden wird nur das Mehrheitsvotum, das mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde, dargestellt.
 
7
Rechtlicher Vertreter ist entweder der vormundschaftsgerichtlich bestellte Betreuer eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten oder der von einem einwilligungsfähigen Patienten selbst privatschriftlich für den Fall späterer Nichteinwilligungsfähigkeit benannte Bevollmächtigte.
 
8
Ebenso wie die Vorschläge der Arbeitsgruppe des BMJ und von Rheinland-Pfalz.
 
9
Auch hier im Einklang mit den Vorschlägen der Arbeitsgruppe des BMJ und von Rheinland-Pfalz.
 
10
§ 1901a des Gesetzentwurfes des BMJ lautet: „Der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten und die darin vom Betreuten getroffenen Entscheidungen durchzusetzen, soweit ihm dies zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn eine Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat.“ Die Regelung gilt auch für die Umsetzung des mutmaßlichen Willens (Begründung S. 19). Die Regelung „soweit ihm dies zumutbar ist“ soll die Umsetzung einer PV ausschließen, die auf ein strafrechtlich oder arztrechtlich verbotenes Tun gerichtet ist. Das Unterlassen einer medizinischen Maßnahme ist nach dem Gesetzentwurf gesetzlich oder arztrechtlich nicht verboten, wenn dies dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten entspricht. Es kann daher niemals unzumutbar sein. Wenn ein Arzt oder Vertreter des Patienten aus persönlichen oder ethischen Gründen es ablehnt, medizinische Maßnahmen zu unterlassen, hat dies nach dem Gesetzentwurf nur die Auswechselung des Arztes oder Vertreters zur Folge.
 
11
Der Gesetzentwurf des BMJ setzt dagegen den in einer Vorausverfügung geäußerten Willen normativ gleich mit dem aktuellen Willen eines einwilligungsfähigen Patienten, der in einer aktuellen Behandlungssituation jeden ärztlichen Eingriff ablehnen kann. Die Gleichsetzung wird im Ergebnis sogar auf den mutmaßlichen Willen, der vom Vertreter des Patienten anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln ist, wenn keine PV vorliegt, erstreckt. In der Rechtslehre ist die Anwendung der zivilrechtlichen Grundsätze und Folgen von Willenserklärungen auf PVen umstritten und wird bisher überwiegend abgelehnt (Nachweise im Bericht der EK, Bundestags-Drucksache 15/3700 vom 13.9.2004 und Kurzfassung unter http://www.bundestag.de/parlament/kommissionen/ethik_med/berichte).
 
12
In der Informationsbroschüre „Patientenverfügung“ des BMJ (unter http://www.bmj.bund.de) wird der Leser jedoch, wie folgt, belehrt (S. 7): „Wenn Sie Festlegungen für oder gegen bestimmte Behandlungen treffen wollen, sollten Sie sich bewusst sein, dass Sie durch einen Behandlungsverzicht unter Umständen auf ein Weiterleben verzichten. Umgekehrt sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass Sie für die Chance, weiterleben zu können, möglicherweise Abhängigkeit und Fremdbestimmung in Kauf nehmen...“ Als Hilfestellung für die Abfassung von Wertvorstellungen in einer PV wird in der Broschüre u. a. folgender Beispielfall eines Patienten abgedruckt (S. 31): „Mir ist es sehr wichtig, dass ich mich mit meinen Freunden und meiner Familie unterhalten kann. Wenn ich einmal so verwirrt bin, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin, wo ich bin und Familie und Freunde nicht mehr erkenne, soll es dann auch nicht mehr lange dauern, bis ich sterbe...“
 
13
Die künstliche Ernährung mithilfe einer Sonde ist eine medizinische Behandlung und gehört nicht zur Basisversorgung. Dies scheint nunmehr Konsens zu sein; s. die novellierten Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung [2].
 
14
Beschluss vom 17.03.2003, XII ZB 2/03, NJW 2003, 1588 ff; s. dazu [6].
 
15
Der BGH hatte es allerdings, anders als die EK, unterlassen, festzustellen, ob die Prognose der Irreversibilität mit oder ohne Berücksichtigung einer noch sinnvollen medizinischen Behandlung zu bestimmen ist; dies hatte zu Unklarheiten bei der Interpretation des Beschlusses geführt.
 
16
Ebenso die „Eckpunkte zur Stärkung der Patientenautonomie“ des BMJ vom 04.11.2004 (unter http://​www.​bmj.​de). Dort wird die straflose passive Sterbehilfe, wie folgt, definiert (S. 5): „Hat das Leiden einen unumkehrbaren tödlichen Verlauf angenommen und wird der Tod in kurzer Zeit eintreten, kann der Arzt von lebensverlängernden Maßnahmen absehen oder bereits eingeleitete Maßnahmen beenden, sofern dies dem Willen des Patienten entspricht. Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, wie z. B. Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung, ist dann für den Arzt straffrei...“.
 
17
Ärzte, Angehörige und andere für den Patienten verantwortliche Personen haben z. B. bei einem Suizidversuch eine Garantenpflicht zur Abwendung des Todes, obwohl die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich straflos ist, und machen sich bei unterlassener Hilfe strafbar, auch wenn der Patient den Tod wollte.
 
18
Die „aktive Sterbehilfe“ ist kein gesetzlich definierter Begriff. Strafbar sind der Totschlag (nach § 212), der durch aktives Tun oder Unterlassen begangen werden kann, und die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), wenn sie auf ausdrückliches Verlangen des Getöteten erfolgt.
 
19
So die grundlegende Entscheidung des BGHSt 37, 376: „Auch bei aussichtsloser Prognose darf Sterbehilfe nicht durch gezieltes Töten, sondern nur entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen geleistet werden, um dem Sterben, ggf. unter wirksamer Schmerzmedikation, seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen Verlauf zu lassen.“
 
20
1 StR 357/94: NJW 1995, 204 ff.
 
21
Der BGH geht ausdrücklich von einem Ausnahmefall aus.
 
22
Der Sterbevorgang hat nach dieser Richtlinie [1] begonnen, wenn das Grundleiden des Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar—irreversibel—ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird.
 
23
Die Notwendigkeit einer für jedermann geltenden strafrechtlichen Regelung darüber, wann das Unterlassen von medizinischer Hilfe zulässig ist, folgt auch daraus, dass das Betreuungsrecht nur die Pflichten des Betreuers und Bevollmächtigten regelt. Was für Ärzte und Angehörige gilt, die nicht die Rolle des Betreuers oder Bevollmächtigten haben, ist im Gesetzentwurf des BMJ nicht geregelt. Die Arbeitsgruppe des BMJ hatte strafrechtliche Regelungen vorgeschlagen. Danach soll das Unterlassen oder Beenden einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme für jedermann immer dann straflos sein, „wenn dies dem Willen des Patienten entspricht“. Das würde auch Ärzte und Angehörige, die nicht rechtliche Vertreter des Patienten sind, einbeziehen. Der Gesetzentwurf des BMJ greift dies nicht auf. Dem liegt offenbar die Hoffnung zugrunde, dass durch Beschränkung des Gesetzentwurfes auf betreuungsrechtliche Regelungen eine ethische Debatte um die Grenzen der Sterbehilfe vermieden werden könne.
 
24
Ebenso die Vorschläge der Arbeitsgruppe des BMJ und von Rheinland-Pfalz.
 
25
Der Bevollmächtigte soll jedoch in keinem Falle einer Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes bedürfen.
 
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Bundesärztekammer (1979) Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbehilfe. Dtsch Arztebl 76:A 957–958 Bundesärztekammer (1979) Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbehilfe. Dtsch Arztebl 76:A 957–958
2.
Zurück zum Zitat Bundesärztekammer (2004) Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Dtsch Arztebl 101:A 1298–1299 Bundesärztekammer (2004) Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Dtsch Arztebl 101:A 1298–1299
3.
Zurück zum Zitat Kreß H (2004) Selbstbestimmung am Lebensende—Die Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz zur Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Ethik Med 16:291–297CrossRef Kreß H (2004) Selbstbestimmung am Lebensende—Die Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz zur Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Ethik Med 16:291–297CrossRef
4.
Zurück zum Zitat Merkel R (2004) Zur Frage der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Eine notwendige Ergänzung der bisher in Deutschland geläufigen Argumente. Ethik Med 16:298–306CrossRef Merkel R (2004) Zur Frage der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Eine notwendige Ergänzung der bisher in Deutschland geläufigen Argumente. Ethik Med 16:298–306CrossRef
5.
Zurück zum Zitat Riedel U (2004) Selbstbestimmung am Lebensende durch Patientenverfügungen. Entwicklungen in der politischen Diskussion. Z Biopolit 13:211–218 Riedel U (2004) Selbstbestimmung am Lebensende durch Patientenverfügungen. Entwicklungen in der politischen Diskussion. Z Biopolit 13:211–218
6.
Zurück zum Zitat Sahm S (2004) Selbstbestimmung am Lebensende im Spannungsfeld zwischen Medizin, Ethik und Recht. Eine medizinethische Analyse der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung und ihrer akademischen Kritik. Ethik Med 16:133CrossRef Sahm S (2004) Selbstbestimmung am Lebensende im Spannungsfeld zwischen Medizin, Ethik und Recht. Eine medizinethische Analyse der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung und ihrer akademischen Kritik. Ethik Med 16:133CrossRef
Metadaten
Titel
Patientenverfügungen
Zwischenbericht der Enquetekommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestages
verfasst von
Ulrike Riedel
Publikationsdatum
01.03.2005
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Ethik in der Medizin / Ausgabe 1/2005
Print ISSN: 0935-7335
Elektronische ISSN: 1437-1618
DOI
https://doi.org/10.1007/s00481-005-0355-0

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