Akute Blutungen im Neonatal- und frühen Kindesalter können lange kompensiert bleiben, bis es zu einem Blutdruckabfall und einem manifesten Schock kommt.
Fragestellung
Besonderheiten der Pathophysiologie und der kindlichen Kreislaufregulation bei akutem Blutverlust sowie Erkennen einer kritischen Situation.
Material und Methode
Pathophysiologie und Diskussion der derzeitigen Literatur.
Ergebnisse
Ein Schock kann beim Kind bereits lange vor einem Blutdruckabfall bestehen und sich insbesondere durch Tachykardie, Tachy(dys)pnoe, verlängerte Rekapillarisierungszeit, Bewusstseinsstörung (Apathie), Temperaturregulationsstörung und verringerte Diurese äußern. Laborchemisch finden sich eine metabolische Acidose und ein Lactatkonzentrationsanstieg sowie früher als beim Erwachsenen eine normozytäre Anämie.
Schlussfolgerungen
Im Gegensatz zum Erwachsenen ist der Blutdruckabfall im frühen Kindesalter eher ein spätes Zeichen des Schocks, während die normozytäre Anämie früher als beim Erwachsenen auftritt.
Hinweise
Redaktion
S. Burdach, München
Blutungen sind nicht immer evident oder einfach zu erkennen. An einen akuten Blutverlust ist bei entsprechender Anamnese des Neugeborenen, bei kindlichen Traumen, aber auch bei chronisch kranken Kindern zu denken; dieser bedarf der raschen Erkennung und der unverzüglichen Therapie. Für die Prognose der Kinder ist es wichtig, einen hämorrhagischen Schock bereits im Anfangsstadium zu erkennen (Abb. 1). Neben dem Personal in Notaufnahme und Klinik kommt den Erstbehandlern und „first responders“ wie Haus‑, Kinder‑, Notärzten und Sanitätern eine wichtige Rolle zu.
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Definitionen
Arterielle Hypotonie
Folgende systolische Blutdruckwerte definieren eine arterielle Hypotonie [16]:
Patientenalter <1 Jahr: systolischer Blutdruckwert <60 mm Hg,
Patientenalter ein bis 10 Jahre: systolischer Blutdruckwert <70 mm Hg + (Alter ⋅ 2) mm Hg,
Patientenalter >10 Jahre: systolischer Blutdruck <90 mm Hg.
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Schock
Schock ist definiert als das Versagen, ausreichend Energie oder Sauerstoff zur Gewebeversorgung bereitzustellen und Stoffwechselprodukte zu entfernen. Er führt zu einer anaeroben Stoffwechsellage und metabolischen Acidose (Infobox 1; [22]).
Infobox 1 Laborchemische Zeichen des hämorrhagischen Schocks
Metabolische Acidose
Lactatkonzentrationserhöhung
Hypo‑/Hyperglykämie
Thrombopenie
Gerinnungsstörung (Quick-Wert und aktivierte partielle Thromboplastinzeit, Fibrinogen)
Sinkender Hämoglobinspiegel/Hämatokrit, normozytäre Anämie früher als beim Erwachsenen
Manifestation
Kind
Bei Kindern kann lange Zeit eine kompensierte Form des akuten Blutungsschocks vorliegen (Tab. 1, Stadien I und II).
Die normozytäre Anämie tritt bei Kindern früher auf als bei Erwachsenen
Auffallend sind kühle Extremitäten bei warmem Stamm. Die verminderte Urinproduktion kann evtl. zunächst nicht auffallen und ist deshalb gezielt zu erheben. Der Blutdruck wird bei bereits sinkendem Herzzeitvolumen (HZV) noch im Normbereich gehalten. Die Perfusion von Haut, Darm und Nieren ist eingeschränkt, um die lebenswichtigen Organe Gehirn und Herz ausreichend zu perfundieren [25].
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Erst im dekompensierten Schock kommt es zu einer arteriellen Hypotension mit Ischämie, die eine Dysfunktion aller Organsysteme nach sich ziehen kann (Abb. 2).
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Cave.
Der Schock kann beim Kind bereits ab einem 15 %igen Blutverlust symptomatisch werden, während dies beim Erwachsenen erst ab 30 % der Fall ist. Ab einem 30 %igen Verlust kann der kindliche Körper den Schock nicht mehr kompensieren. Ein 30 %iger Blutverlust entspricht beim Neugeborenen einem Blutvolumen von 90 ml vs. beim Erwachsenen von 1500 ml.
Erwachsener
Beim Erwachsenen tritt ein Schock, abhängig von der Kompensationskapazität des Individuums meist erst ab einem Blutverlust von mehr als 25 % des Blutvolumens auf [17], ab einem Blutverlust >30 % sind die Kompensationsmechanismen auch bei kardiopulmonal gesunden Patienten nicht mehr ausreichend [18]. Es resultiert ein sofortiger Blutdruckabfall, der von den Barorezeptoren im Aortenbogen, im linken Vorhof und in den Pulmonalgefäßen registriert und an den Hirnstamm weitergeleitet wird. Innerhalb von Sekunden kommt es zu einer sympathischen Aktivierung und Reaktion: Blässe, periphere Vasokonstriktion, weite Pupillen, Schweißausbruch, Tachykardie, Blutdruckabfall, Vigilanzstörung (Abb. 2).
Dabei sind die sympathikusbedingte Tachykardie und damit die Erhöhung des Schlagvolumens die entscheidenden Mechanismen für die Tolerierung einer akuten Hämorrhagie [18]. Die sympathikusbedingte Tachykardie tritt zusammen mit einem Blutdruckabfall auf.
Ursachen
Die Ursachen des hämorrhagischen Schocks sind in Tab. 2 zusammengefasst.
Tab. 2
Ursachen des hämorrhagischen Schocks
Neugeborenes (prä-/peri-/postnatal)
Fetomaternale Transfusion
Gefäßanastomosen z. B. fetofetale Transfusion (FFTS) bei Zwillingen
Eine Schwangere stellt sich mit abnehmenden Kindsbewegungen beim Frauenarzt vor. Kardiotokogramm und fetale Dopplersonographie der A. cerebri media weisen auf eine fetale Anämie hin. Nach Einweisung in die Klinik und Sectio 1 h später wird ein männliches Kind in 37 + 3 SSW geboren, Körpergewicht 2600 g, Apgar-Werte 2/5/7, Nabelarterien-pH 7,32. Das Neugeborene ist blass und lethargisch, hat eine ausgeprägte Mikrozirkulationsstörung und ist tachykard (Herzfrequenz [HF] 160/min). Es benötigt eine Atemhilfe in Form der „continuous positive airway pressure“ (CPAP); der Blutdruck ist normal. Nach zügiger Anlage eines peripheren Venenzugangs und laborchemischer Untersuchung einer abgenommenen Blutprobe wird ein Hämoglobin(Hb)-Wert von 5,2 g/dl bei altersentsprechendem mittlerem Volumen des einzelnen Erythrozyten („mean corpuscular volume“, MCV) bestimmt. Die Lactatkonzentration beträgt 9 mmol/l. Sofort werden 15 ml Erythrozytenkonzentrat der Blutgruppe 0 Rh-negativ aus der Hand transfundiert, die weitere Transfusion erfolgt über einen Perfusor bis zu einem Ziel-Hb-Wert von 11 g/dl. Das Kind erholt sich rasch; es bleibt kreislaufstabil; die Lactatkonzentration sinkt innerhalb von 24 h in den Normbereich. In der ersten Blutabnahme vor Transfusion wurde ein Retikulozytenwert von 120 ‰ bestimmt, im mütterlichen Blut konnten 5 % Hämoglobin F (HbF) gemessen werden.
Diagnose.
Fetomaternale Transfusion.
Fallbeispiel 2
Ein 7 Jahre alter Junge wird in der Notaufnahme 3 h nach Sturz vom Fahrrad mit einer Prellmarke am rechten Mittelbauch, diffusem Druckschmerz im Abdomen und Blässe vorgestellt. Herzfrequenz 150/min, Blutdruckwert 90/48 mm Hg, pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung (SpO2) 92 %. In der anschließenden Abdomensonographie und im CT des Abdomens finden sich 2 große echoarme Areale in der Leber; die Leberkapsel ist nicht rupturiert. Hämoglobinwert 11,5 mg/dl bei altersentsprechendem MCV. Es erfolgen eine intensive Volumentherapie mit Kristalloiden und ein Monitoring auf der Intensivstation. Der Patient stabilisiert sich zügig; eine Transfusion oder eine Operation wird nicht erforderlich.
Diagnose.
Posttraumatische subkapsuläre Leberhämatome.
Fallbeispiel 3
Ein 2‑jähriges Mädchen hat eine Knochenmarktransplantation erhalten. Sie entwickelt eine intestinale „graft-versus-host disease“ mit ausgeprägten Durchfällen. Einige Tage, nachdem die Durchfälle gestoppt werden können, fällt sie durch Unwohlsein, Blässe und Bauchschmerzen auf. In der unmittelbar durchgeführten Untersuchung (innerhalb 1 h nach Auftreten der Symptome) werden eine HF von 140/min, ein Blutdruckwert 100/46 mm Hg, eine SpO2 93 % und ein Hb-Wert 6,5 g/dl bei altersentsprechendem MCV bestimmt. Am Tag zuvor betrug der Hb-Wert noch 12,5 g/dl. Unter dem V. a. eine akute Blutung wird das Mädchen auf die Intensivstation übernommen und erhält notfallmäßig Erythrozytenkonzentrat transfundiert. Im Laufe der Therapie bessert sich ihr Zustand zunehmend. In der durchgeführten Koloskopie werden multiple Einblutungen in den Darmwänden gefunden. Die Untersuchungsergebnisse der entnommenen Biopsieproben weisen auf eine thrombotische Mikroangiopathie in der Darmwand hin [28].
Diagnose.
Transplantatassoziierte gastrointestinale thrombotische Mikroangiopathie mit gastrointestinaler Blutung.
Pathophysiologie
Ein hämorrhagischer Schock führt sowohl zu einer Hypovolämie als auch Anämie und somit zur Verminderung der Sauerstoffversorgung des Körpers.
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Hämodynamik
Das zirkulierende Blutvolumen ist bei Kindern deutlich kleiner als bei Erwachsenen (5–6 l beim Erwachsener vs. ca. 300 ml beim Neugeborenen), sodass sich schon geringe Blutverluste hämodynamisch relativ stark auswirken können (Abb. 2). Es liegen eine verringerte Vorlast und damit ein geringeres HZV vor [18].
Ansteigender Gesamtgefäßwiderstand hält Blutdruck des Kindes bei verringertem HZV zunächst aufrecht
Dies bewirkt einen Anstieg des Sympathikotonus, damit eine Widerstandserhöhung in den Gefäßen und führt zu einer Umverteilung des Blutflusses: In den lebenswichtigen Organen wie Gehirn und Herz kommt es zu einer relativen Vasodilatation, in den Organen wie Haut, Darm, Leber und Nieren, die kurzzeitig auch mit weniger Sauerstoff auskommen, kommt es zu einer Vasokonstriktion [22]. Bedingt durch den Anstieg des Gesamtgefäßwiderstands kann damit bei verringertem HZV der Blutdruck aufrechterhalten werden:
Die Blutflussmenge pro Zeiteinheit über die Nieren ist, nach dem Zentralnervensystem, die zweitgrößte aller Körperorgane. Eine verringerte Diurese (Normwert 2–5 ml/kgKG und h) ist daher ein sehr guter Indikator für ein verringertes HZV, aber im klinischen Alltag auch ein schlecht zu objektivierender Parameter der Verschlechterung der Nierenperfusion [22] und damit für ein Fortschreiten des Schockstadiums. Die Dauerkatheterisierung von kritisch kranken Kindern ist deshalb essenziell, um die Körperperfusion klinisch beurteilen zu können.
Anämie
Durch den Blutverlust entwickelt sich zunächst keine Anämie, da Vollblut verloren geht (Abb. 2). Erst der Einstrom interstitieller Flüssigkeit zur Kompensation des Volumenverlustes in das Plasma führt zu einem Abfall der Erythrozytenzahl/ml Blut. Diese Redistrubution wird erst nach 8–12 h beim Erwachsenen signifikant und ist nach 48 h abgeschlossen. In diesem Zeitraum nehmen die Anämie zu und die Hypotension ab. Bei fehlender Volumensubstitution können Hb- und Hämatokritwert lange konstant bleiben [9]. Bei Früh- und Neugeborenen ist ferner zu berücksichtigen, dass die Kapillaren durchlässiger sind als bei Erwachsenen und sich Flüssigkeitsverschiebungen zwischen den Blutgefäßen und dem interstitiellen Gewebe schneller vollziehen können. Damit ist es wahrscheinlich, dass die Anämie bei Neugeborenen aufgrund eines rascheren Flüssigkeitseinstroms früher auftreten kann als bei Erwachsenen. Bei Neugeborenen stellt ein Hb von 12 mg/dl eine schwere Anämie dar.
Merke.
Bei Kindern ist im Vergleich zu Erwachsenen die Hypotension ein spätes und die normozytäre Anämie ein frühes Zeichen der Blutung. Im Einzelfall kann auch beim Kind die Hypotension vor der Anämie auftreten; beim Erwachsenen ist dies aber die Regel.
Nach dem Fick-Prinzip zur Ermittlung des HZV ist nachvollziehbar, dass bei Hypovolämie und Anämie die Sauerstoffversorgung des Gewebes stärker reduziert ist als bei isolierter Hypovolämie durch Flüssigkeitsverlust, z. B. bei Dehydratation im Rahmen einer Gastroenteritis.
Sauerstoffversorgung bei Anämie:
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Die Gewebeversorgung lässt sich durch folgende Gleichung darstellen:
Der Sauerstoffgehalt des Blutes ist abhängig von HZV, Hb-Gehalt des Blutes, arterieller oder venöser Sauerstoffsättigung des Blutes und Sauerstofftransportkapazität des Hämoglobins (1,39 g O2/g Hb; Fick-Prinzip).
Vermindertes Schlagvolumen und verminderter Sauerstoffgehalt des Blutes bei sinkendem Hb-Gehalt führen zum geringeren Sauerstoffangebot an das Gewebe. Wird der Sauerstoffverbrauch bei sinkendem Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes gleichgehalten, kann dies eine Zeitlang durch eine erhöhte Sauerstoffextraktion kompensiert werden. So wird die Sauerstoffbindungskurve nach rechts verschoben, d. h., die Bindung zwischen Sauerstoff und Hämoglobin ist schwächer und Sauerstoff kann leichter an die peripheren Gewebe abgegeben werden. Ab einem kritischen Punkt ist eine Steigerung oder Beibehaltung einer hohen Sauerstoffextraktionsrate nicht mehr möglich. Es resultieren eine verringerte Adenosintriphosphat(ATP)-Synthese und eine anaerobe Stoffwechsellage [22].
Endothelschaden
Hypoperfusion und Anämie können eine Kaskade in Gang setzen, die eine akute traumatische Koagulopathie hervorrufen [4]. Die Ischämie bewirkt einen Reperfusionsschaden des Endotheliums, durch den sowohl eine systemische Fibrinolyse als auch eine Antikoagulation hervorgerufen werden. Letztere wird durch den Protein-C-Signalweg initiiert. Die Endotheliopathie im Schock führt zu verstärkter Permeabilität, Gerinnungsstörung und inflammatorischer Aktivierung [18, 30], die sich klinisch mit einem „capillary leak syndrome“, einschließlich generalisierten Ödemen, Blutungen, Multiorganversagen und letztlich dem Tod, manifestieren.
Kardiale Reserve bei Kind vs. Erwachsenem
Die kardiale Perfusion findet fast ausschließlich in der Diastole statt. Die koronare Perfusion ist abhängig von HF [29], intramuralem Druck und Perfusionsdruck. Die Perfusionszeit dagegen ist direkt abhängig von HF und Dauer der Diastole. Da der Erwachsene eine durchschnittliche Ruhe-HF von 70/min hat, kann er bedarfsweise diese problemlos verdoppeln, um sein HZV zu erhöhen, da dabei die Perfusionszeit nicht kritisch verkürzt wird (kardiale Reserve). Würde das Neugeborene bzw. junge Kind seine HF von 100–120/min auf 200–240/min verdoppeln, würden sich die Diastole und damit die Perfusionszeit so stark verkürzen, dass eine ausreichende Koronarperfusion dauerhaft nicht mehr gewährleistet werden kann [2, 29].
Dem Kind steht im Gegensatz zum Erwachsenen eine eingeschränkte kardiale Reserve zur Verfügung
In klinischen Fällen ist dieses Phänomen sehr deutlich bei länger andauernden supraventrikulären Tachykardien der Säuglinge zu sehen. Sie entwickeln im Verlauf aufgrund der unphysiologischen Steigerung der Frequenz eine zunächst klinisch latente kardiale Minderperfusion und werden erst bei zunehmend verminderter kardialer Funktion im kardiogenen Schock in die Klinik eingeliefert (Infobox 2).
Infobox 2 Klinische Zeichen des Schocks beim Kind
Tachykardie (kann bei Hypothermie fehlen)
Tachypnoe
Schwach tastbare periphere Pulse
Kapilläre Füllungszeit >2 s
Kühle marmorierte Extremitäten
Hypo‑/Hyperthermie
Oligurie
Teilnahmslosigkeit/Bewusstseinsstörung
Dem Kind steht damit im Gegensatz zum Erwachsenen eine eingeschränkte kardiale Reserve (Erhöhung von HF und Schlagvolumen) zur Verfügung. Um diese Einschränkung im Fall eines Schocks ausgleichen und ausreichend Sauerstoff für die lebenswichtigen Organfunktionen zur Verfügung stellen zu können, bleibt dem kindlichen Organismus nichts anderes übrig, als seinen peripheren Systemwiderstand in einem stärkeren Maß als der Erwachsene hochzuregulieren. Durch diesen Mechanismus kann der Blutdruck auch im Schock lange aufrechterhalten bleiben ([5]; Abb. 2).
Diagnostik/Monitoring
Kinder mit akuter Blutung oder V. a. akute Blutung sind kontinuierlich zu überwachen. Folgende Parameter sollten erhoben werden: HF, SpO2, Pulsqualität, Hautkolorit, Rekapillarisierungszeit, Blutdruck, Urinausscheidung (beachte: Dauerkatheter, Bilanz), Vigilanz (Glasgow-Coma-Scale; Abb. 3).
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Die Rekapillarisierungszeit wird zentral nach Druck auf das Sternum über 5 s und peripher an einer auf Herzniveau liegenden Extremität gemessen [19]. In den Guidelines 2015 des European Resuscitation Council wird beim Neugeborenen empfohlen, die Farbe der Schleimhäute zu erheben [31], auch wenn dieser Parameter subjektiv ist und eine geringe Sensitivität aufweist [7].
Als Folge der reduzierten Hautdurchblutung, der peripheren Widerstandserhöhung und der schwachen Pulse können folgende Probleme auftreten:
ungenaue transkutane Messung des Sauerstoffpartialdrucks (pO2) und des Kohlendioxidpartialdrucks (pCO2),
ungenaue nichtinvasive Blutdruckmessung an den Extremitäten,
Temperaturdiskrepanz zwischen zentral und peripher möglich.
Benötigt werden bei Patienten im hämorrhagischen Schock neben Pulsoxymetrie und EKG:
Nabelvenenkatheter beim Neugeborenen,
großlumiger zentraler Venenkatheter beim Kind (zentralvenöse Sättigung),
arterieller Katheter zur invasiven Blutdruckmessung (kontinuierlich, Pulskonturanalyse; Abb. 4),
Blasenkatheter zur Bestimmung der Diurese (Bilanzierung, Ausfuhrprotokoll).
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Zum Ausschluss von inneren Blutungen sollte stets eine sonographische Untersuchung von Kopf, Thorax und Abdomen erfolgen, bei größeren Kindern nach Trauma auch eine CT. Die fakultative Echokardiographie kann Auskunft über den Volumenstatus (untere Hohlvene, Vorhof- und Ventrikelfüllung) und das HZV (Dopplerkurve im Ausflusstrakt sowie Truncus coeliacus/Nierenarterien) geben sowie damit ein Low-output-Syndrom im hypovolämischen Schock identifizieren [10]. Eine reduzierte zentralvenöse Sauerstoffsättigung (Normwert 70–80 %) gibt Anhalt für ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -verbrauch.
Therapie
Die Therapie erfolgt entsprechend den ABCD-Regeln (Infobox 3; Abb. 3).
Infobox 3 ABCD-Regeln
A.
Die Atemwege werden durch entsprechende Positionierung des Patienten freigehalten (Esmarch-Handgriff, Unterpolsterung der Schultern, Intubation ab Glasgow Coma Scale ≤8)
B.
Sauerstoff sollte im Schock großzügig verabreicht werden, über Nasenbrille bzw. über „High-Flow-CPAP“, CPAP oder Tubus (CPAP: „continuous positive airway pressure“). Damit werden der inspiratorische Sauerstoffpartialdruck erhöht [1] und eine verbesserte Oxygenierung der Erythrozyten gewährleistet. Eine Intubation sollte großzügig erfolgen, da sie neben der verbesserten Oxygenierung die Atemarbeit (Sauerstoffverbrauch) und die Herzarbeit (geringerer Widerstand) entlastet
C.
Ein aggressives Volumenmanagement ist erforderlich. Dazu sollte innerhalb der ersten Minute ein großlumiger i. v.-Zugang etabliert werden können; ist dies nicht möglich, muss ein i. o.-Zugang gelegt werden. Gängige Zugangswege sind die proximale Tibia (1–2 cm unterhalb und medial der Tuberositas tibiae) bzw. die distale Tibia (2 cm oberhalb des Malleolus medialis; [14]). Die Volumengabe erfolgt entsprechend dem internationalen Standard mit einer kristalloiden Lösung; favorisiert wird eine Vollelektrolyt- oder 0,9 %ige NaCl-Lösung [3, 8, 21]. Die Volumentherapie kann über einen Dreiwegehahn zügig (innerhalb von 1 min) aus der Hand bzw. über einen Perfusor erfolgen (2-mal 20 ml/kgKG).
Nach der zweiten Volumengabe mit kristalloider Lösung sollte Erythrozytenkonzentrat initial mit 10–20 ml/kgKG verabreicht werden [10, 19]. Auch hier ist die rasche Transfusion im manifesten Schock entscheidend für Prognose und Outcome. Eine mögliche Nebenwirkung ist eine „transfusion related acute lung injury“ (TRALI), insbesondere bei sehr schneller Transfusion. Eine Transfusion mit blutgruppenkompatiblem Blut ist wünschenswert, jedoch im manifesten Schock zeitlich häufig nicht praktikabel. Hier muss eine eilige Transfusion mit 0Rh-negativem Blut erfolgen. Entsprechend den Daten der PROPPR(Pragmatic Randomized Optimal Platelet and Plasma Ratios Trial)-Studie an Erwachsenen ist eine balancierte Transfusion mit Erythrozytenkonzentrat, gefrorenem Frischplasma und Thrombozytenkonzentrat bei Transfusion großer Volumina von Vorteil [13, 18].
D.
Bei manifestem Schock und arterieller Hypotonie sind nach initialer Volumentherapie Katecholamine einzusetzen (Adrenalin und Noradrenalin). Damit kann der Blutdruck zusätzlich zur Volumentherapie gesteuert werden [18]. Um eine Verzögerung der Kreislauftherapie zu vermeiden, können Katecholamine passager auch über einen peripheren Venen- oder i. o.-Zugang verabreicht werden [15]. Beim pädiatrischen Schock werden bevorzugt Adrenalin 0,1–0,2 µg/kgKG und min eingesetzt [20]. Bei guter kardialer Funktion und Tachykardie ist Norepinephrin in derselben Dosierung der Vorzug zu geben.
Das Ansprechen auf die in Infobox 3 und Abb. 3 ausgeführte Therapie spiegelt sich in der HF-Normalisierung (Cave: Bradykardie bei Dekompensation, anhaltende Tachykardie unter Adrenalin), einer rosigeren Hautfarbe und verbesserten Rekapillarisierungszeit, peripher warmen Extremitäten, stärker tastbaren Pulsen, dem Wiedereinsetzen der Diurese und der Normalisierung der Vigilanz wider.
Bei einem blutungsgefährdetem Kind gilt es, auf eine eilige Transfusion vorbereitet zu sein
Innere Blutungen sind u. U. schwer zu erkennen. Blutungen in die großen Körperhöhlen manifestieren sich häufig erst sekundär. Es gilt daher, ein Kind, das blutungsgefährdet ist, engmaschig auf Blutungszeichen zu überwachen sowie auf einen hämorrhagischen Schock und eine eilige Transfusion vorbereitet zu sein. Dasselbe gilt bei Neugeborenen mit entsprechender Geburtsanamnese (Tab. 2). Hier sollten bereits vor der Geburt entsprechende Notfallkonserven für eine Notfalltransfusion angefordert werden.
Eine zügige Transfusion kann lebensrettend sein. Je länger der Zustand des hämorrhagischen Schocks anhält, desto schlechter ist die Prognose des Patienten, und es muss mit Spätschäden bzw. irreversibler Progredienz des Schocks zum Multiorganversagen bis hin zum Tod gerechnet werden. Essenziell erscheint daher das regelmäßige Training von Ärzten und Pflegekräften [23].
Fazit für die Praxis
Akute Blutungen im Neonatal- und frühen Kindesalter können lange kompensiert bleiben, bis es zu einem manifesten Schock kommt.
Beim Erwachsenen sind die sympathikusbedingte Tachykardie und damit die Erhöhung des Schlagvolumens entscheidende Mechanismen für die Tolerierung einer akuten Hämorrhagie (kardiale Reserve); beim Kind ist dies die Erhöhung des peripheren Systemwiderstands.
Bei Blutung oder V. a. Blutung müssen die Vitalparameter HF, Pulsstatus, Blutdruck, Rekapillarisierungszeit, Hautkolorit, Temperatur, Diurese und Vigilanz kontinuierlich erhoben werden.
Ein Abfall des Blutdrucks ist beim Kind ein Spätzeichen des hämorrhagischen Schocks, während die normozytäre Anämie früher auftritt als beim Erwachsenen.
Die wichtigsten Therapieelemente sind die sofortige adäquate Volumensubstitution und die Bereithaltung bzw. der Einsatz von Notfallblutkonserven.
Danksagung
Die Autoren danken Prof. Dr. Marcus Krüger für die kompetente fachliche Diskussion.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
E. Rieger-Fackeldey, I. Aslan und S. Burdach geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Fall von nichtmündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigen oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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