In der Notaufnahme wurde ein 14 Monate alter Säugling mit einer lividen Schwellung des Penis vorgestellt, die wie ein Hämatom imponierte. Da die anamnestischen Angaben keine plausible Erklärung für einen möglichen Unfallhergang lieferten, bestand zunächst der Verdacht auf eine nichtakzidentelle Verletzung. Auch die Sozialanamnese bot Hinweise in diese Richtung.
Als Ursache der Schwellung und Verfärbung stellte sich dann eine Penisphlegmone heraus, die mittels i.v.-antibiotischer Therapie rasch erfolgreich behandelt werden konnte.
Hinweise
Redaktion
Berthold Koletzko, München
Thomas Lücke, Bochum
Ertan Mayatepek, Düsseldorf
Norbert Wagner, Aachen
Stefan Wirth, Wuppertal
Fred Zepp, Mainz
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Anamnese
Der 14 Monate alte Junge wurde vom Kinderarzt mit der Diagnose Penisverletzung eingewiesen. Die Mutter berichtete, dass der Penis blau verfärbt sei. Der Junge sei vor 2 Tagen von einem Plüschschaukelpferd mit Holzkufen auf die linke Seite gefallen, habe eine Prellmarke am Kopf links. Am unteren Bereich der Wippe sei ein Holzstück gewesen, vielleicht sei dieses auf den Penis gefallen. Die Mutter habe den Jungen noch am gleichen Tag beim kinderärztlichen Notdienst vorgestellt. Der Kinderarzt habe bis auf eine Schädelprellung nichts festgestellt, habe aber auch nicht in die Hose geschaut. Am Tag des Unfallereignisses und am Vortag der Aufnahme habe sie mehrmals die Windel gewechselt und keine Auffälligkeiten bemerkt.
Das Kind sei durchgehend in Aufsicht der Mutter gewesen. Die einzige Zeit, in der sie nicht beim Kind gewesen sei, sei am Tag der Vorstellung morgens um 4:00 Uhr gewesen, als die Großmutter mütterlicherseits die Windel gewechselt habe. Dabei sei der Penis noch unauffällig gewesen. Am Vormittag habe die Mutter beim Windelwechseln einen Pickel an der Penisspitze bemerkt. In der Folge habe sich am Penisschaft eine Blauverfärbung entwickelt, der Penisschaft sehe abgeknickt aus. Der Junge habe Schmerzen bei der Miktion; der Urin komme nur noch tröpfchenweise.
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Sozialanamnese mit möglichen Risikofaktoren für eine Kindsmisshandlung
Die Kindesmutter habe das alleinige Sorgerecht, da sie zur Zeit der Geburt mit einem anderen Mann in einer Zwangsehe leben musste. Mit dem Vater des Jungen sei sie schon 6 Jahre zusammen. Sie würden aber in getrennten Wohnungen leben.
Sie habe sich von Anfang an mit dem Jungen überfordert gefühlt. Sie sei schon seit seiner Geburt von ihrer Mutter unterstützt worden. Vor 3 bis 4 Tagen habe sie jedoch bemerkt, dass sie noch mehr Unterstützung bei der Versorgung brauche. Deswegen seien sowohl ihr Bruder als auch ihre Mutter zu ihr gezogen. Sie könne sich schließlich nicht 24 h am Tag um den Jungen kümmern und brauche auch mal Zeit für sich, um z. B. eine Zigarette zu rauchen.
Die Mutter erklärte ungefragt, dass weder sie noch ihr Freund ihrem Kind etwas antun würden. Sie sei zwar beim Jugendamt bekannt, jedoch nur, weil eine Freundin sie dort aus Rache angezeigt habe. Anlass für diese Racheaktion sei gewesen, dass die Mutter zuvor ihrerseits diese Freundin beim Jugendamt angezeigt habe.
Der Vater erklärte während des stationären Verlaufes, dass er die Coronaschutzmaßnahmen nicht einhalten könne, da er sich so eingesperrt fühle. Er sei lange genug im Gefängnis gewesen.
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Befunde
Klinische Untersuchung
Bei der Untersuchung zeigte sich ein 14 Monate alter Junge in gutem Allgemein‑, Ernährungs- und Pflegezustand mit adäquatem Kontaktverhalten. Der Penis zeigte eine livide, wie ein Hämatom imponierende, vom Penisschaft bis zur Symphyse reichende Schwellung (Abb. 1 und 2). Das Skrotum war gerötet. Übriger Körper ohne Anzeichen von Verletzungen.
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Labor
Leukozyten i.B. 14.300/µl, CRP i.S. 3,23 mg/dl. Unauffällige Werte für das übrige große Blutbild sowie Glucose, Elektrolyte, Kreatinin, GOT sowie GGT.
Sekretabstrich: Vereinzelt coliforme Keime. PCR auf N. gonorrhoeae und C. trachomatis negativ.
Sonographie des Abdomens
Bis auf etwas freie Flüssigkeit retrovesikal unauffälliger Befund.
Therapie und Verlauf
Der aufnehmende Arzt ging in der Ambulanz initial von einer nichtakzidentellen Penisverletzung als Ursache der lividen Verfärbung aus und zog ein Mitglied der Kinderschutzgruppe hinzu. Der Befund wurde fotografiert und die Bilder wurden an das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen übermittelt. Dieses Institut bietet in Nordrheinwestfalen für solche Fragen eine umgehende Mitbeurteilung an. Die Kolleginnen des Zentrums äußerten den Verdacht auf eine Balanitis mit möglicher Ausbreitung zur Penisphlegmone. Die erhöhten Entzündungsparameter erhärteten diesen Verdacht. Die Diagnose wurde gesichert, als sich 2 h später bei erneuter Erhebung des Befundes durch die Kinderchirurgen Eiter aus der Vorhautöffnung entleerte. Leicht erhöhte Temperaturen (bis 38,0 °C) entwickelte der Junge erst im Verlauf. Wir begannen eine i.v.-antibiotische Therapie mit Cefuroxim 3‑mal täglich sowie eine analgetische und antiphlogistische Therapie mit Ibuprofen.
Bei den täglichen Verbandswechseln zeigte sich eine Rückbildung der entzündlichen Schwellung und Rötung.
Am 4. stationären Tag brachen die Eltern bei deutlich gebessertem Lokalbefund (Abb. 3) die stationäre Behandlung gegen ärztlichen Rat ab, da sie sich im Krankenhaus wegen der Coronaschutzmaßnahmen zu sehr eingesperrt fühlten. Die Therapie wurde auf eine orale antibiotische Therapie umgestellt. Bei Kontrollvorstellungen beim Kinderarzt blieb der Befund unauffällig.
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Diagnose
Penisphlegmone
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Diskussion
Hautveränderungen und Schwellungen am Penis müssen immer auch an Kindesmisshandlungen denken lassen [1]. Im vorliegenden Fall wurde die initiale Einschätzung des Lokalbefundes als Folge einer nichtakzidentellen Verletzung auch durch Anhaltspunkte aus der Sozialanamnese unterstützt. Die letztlich als gesichert anzunehmende Diagnose einer bakteriellen Entzündung passt aber bestens zu den von uns anfangs angezweifelten Angaben der Mutter, wonach sie einige Stunden, bevor der dramatische Lokalbefund am Penis auffiel, lediglich ein kleines Pickelchen am Penis gesehen habe.
Die Verkennung der Weichteilinfektion als Kindsmisshandlung hätte fatale Folgen haben können. Die Ausbreitung zur nekrotisierenden Fasziitis (Fournier-Gangrän) ist beschrieben [2]. Die Möglichkeit, dass es sich bei einem Lokalbefund um die Folge eine Kindsmisshandlung handeln kann, belastet die beteiligten Mitarbeiter und erschwert die objektive Beurteilung. Daher ist es erfreulich, dass es in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit gibt, in Fällen von fraglicher Kindsmisshandlung rund um die Uhr niederschwellig das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen (www.kkg-nrw.de) hinzuzuziehen.
Ursache für eine Balanitis im Kindesalter ist meist eine Vorhautverengung [3]. Weitere Risikofaktoren für die Entstehung einer Balanitis sind der Literatur nach: 1. Vorhandensein einer Vorhaut und 2. Adipositas per magna und an 3. Stelle eine schlechte Genitalhygiene [4]. Keiner dieser Risikofaktoren lag bei unserem Patienten vor.
Fazit für die Praxis
Livide Hautveränderungen sind meist Hämatome, können aber auch durch eine Entzündung bedingt sein.
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Es wird zu Recht immer wieder darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichsten Symptome Hinweise auf eine Kindsmisshandlung sein können. Genauso wichtig ist aber auch, in Konstellationen, die deutlich auf Kindsmisshandlung hindeuten, die Möglichkeit anderer Ursachen nicht außer Acht zu lassen.
Förderung
Die Arbeit im Kinderschutz am Evangelischen Krankenhaus Oberhausen wird gefördert vom GBA-Projekt MeKidS.best. Weitere Interessenkonflikte bestehen nicht.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Opp, T. Brüning, S. Banaschak und U. Brokmeier geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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