06.05.2022 | Porphyrien | Kurzbeiträge
Schnell progrediente Neuropathie, diffuse Schmerzen und Pseudohalluzinationen bei einer jungen Patientin
Erschienen in: Der Nervenarzt | Ausgabe 12/2022
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Eine 20-jährige gebürtige Rumänin (163 cm, 36 kg, BMI 13,5) stellt sich in unserer Zentralen Notaufnahme mit seit Monaten bestehenden Oberbauch- und Flankenschmerzen vor. Bereits Jahre zuvor befand sich die Patientin aufgrund ähnlicher Symptome in externer stationärer Behandlung ohne erklärende Diagnose. Mehrfache Gastroskopien waren unauffällig gewesen. Eine Woche vor der aktuellen Vorstellung wurde durch den Hausarzt bei unauffälliger Labor- und Urindiagnostik dennoch der Verdacht auf einen Harnwegsinfekt geäußert und eine orale Antibiose mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol begonnen. Die Patientin wurde bei bekannter Niereninsuffizienz (Kreatinin 194,7 µmol/L, eGFR 31 ml/min) und unauffälliger Oberbauchsonographie zunächst aus der Klinik entlassen. Im Verlauf kam es zu einer weiteren Verschlechterung mit progredienten Ganzkörperschmerzen und einer zunehmenden allgemeinen Schwäche, welche erstmals auch mit Halluzinationen und vermehrten Ängsten einherging. Eine stationäre Vorstellung in einem externen Krankenhaus erfolgte, wo erstmals der Verdacht auf eine akute Porphyrie gestellt wurde. Bevor die Laborergebnisse vorlagen entließ sich die Patientin auf eigenen Wunsch und gegen ärztlichen Rat. Innerhalb von 2 Wochen kam es dann zu einer weiteren Verschlechterung. Durch den Hausarzt erfolgte die Einweisung in die Psychiatrie unseres Hauses mit der Verdachtsdiagnose „somatisierte Depression“. Dort zeigten sich Pseudohalluzinationen (Schatten und Personen) ohne Hinweise auf ein psychotisch-halluzinatorisches Erleben. Es kam zusätzlich zu einer Verschlechterung mit Tachykardie, progredienten Schmerzen und einer zunehmenden Tetraparese, erstmals auch mit Dysphagie und Dysarthrie. Die Patientin wurde in unsere Abteilung für Innere Medizin verlegt. Im Rahmen der neurologischen Mitbeurteilung zeigte sich eine mittel- bis hochgradige proximal betonte Tetraparese mit erloschenen Muskeleigenreflexen ohne sensible Defizite. Die Elektroneurographie ergab eine rechtsbetonte axonale motorische Neuropathie der Arme und eine axonale sensomotorische Polyneuropathie der Beine (Abb. 1). Der Liquor zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung eines Guillain-Barre-Syndroms und die MRT der Neuroachse verblieben unauffällig. Als Zeichen einer möglicherweise zunehmenden autonomen Mitbeteiligung fanden sich eine Ruhetachykardie und eine eingeschränkte kardiale Ejektionsfraktion (Tab. 1). Nachdem die akute intermittierende Porphyrie (AIP) laborchemisch gesichert wurde (Tab. 2), erfolgte eine Therapie mit Hämin (humanes Hämin, Hämarginat) 125 mg/täglich für 7 Tage. Die Patientin berichtete später, dass auch im Vorfeld schon Familienangehörige (Onkel und Tante) an einer genetischen Erkrankung gelitten hätten, wobei die Symptome unklar blieben.
Diagnostik
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Kalenderwoche 7
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Kalenderwoche 11
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Elektroneurographie
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Unauffällige sensible Neurographie der untersuchten Armnerven (N. medianus bds., N. ulnaris bds.). Axonale motorische Neuropathie der Arme (N. medianus, N. ulnaris re.) bei erhaltenen F‑Wellen. Axonale sensomotorische Polyneuropathie der Beine (N. peroneus; Abb. 1a, c)
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Aktuell weitere F‑Wellen im Vergleich zur Voruntersuchung erloschen. Reduktion der NLGs bei normalen Amplituden der Beinnerven (N. peroneus; Abb. 1b, d)
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MRT Schädel und Rückenmark
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Normalbefund
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–
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Abdomensonographie
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Cholezystolithiasis, Magen-Darm-Trakt: ausgeprägte Peristaltik
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–
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Transthorakale Echokardiographie
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Globale LV-Hypokinesie, EF ca. 45 % bei Sinustachykardie (157/min)
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Global leicht reduzierte LV-Hypokinesie EF biplan 50 % (HF 110/min)
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Porphyrine im Urin (Referenzwerte)
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1. Schub
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2. Schub 4 Wochen nach 1. Schub
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5‑Aminolävulinsäure (< 49 µmol/Tag)
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209
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123
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Porphobilinogen (< 7,5 µmol/Tag)
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194
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143
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Porphyrine gesamt (< 209 µg/g Krea)
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3512
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3612
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