Reizdarm: Somatische oder psychosomatische Ursache?

Die Entstehung des Reizdarm-Syndroms ist nach wie vor rätselhaft, doch scheint es sich um eine Kombination aus Infekt, Stressintoleranz, Angst- und Somatisierungsstörung zu handeln. Hintergrund Das Reizdarmsyndrom (IBS) gehört mit einer Prävalenz von etwa 11% in der Allgemeinbevölkerung zu den häufigsten funktionellen Beschwerden. Über seine Entstehung gibt es nach wie vor zahlreiche Hypothesen, die biologische, soziale, psychologische und iatrogene Faktoren zugrunde legen. Für praktizierende Ärzte ist das Syndrom eine therapeutische Crux. Unter den Wissenschaftlern tobt ein Streit, ob es sich dabei um eine „organische“ Erkrankung oder eine Somatisierungsstörung im Sinne einer Fehlverarbeitung physiologischer Körpersignale handelt. Welchen Anteil gastrointestinale Infekte an dem Geschehen haben, wurde nun in einer eleganten prospektiven Studie aus dem Hamburger Institut für Tropenmedizin untersucht. Patienten und Methoden Zwischen Januar 2011 und September 2012 registrierte man in einer prospektiven Kohortenstudie alle Personen, die sich dort zu Impfungen vor einer geplanten Tropenreise vorstellten und befragte sie im Warteraum zu gastrointestinalen Symptomen entsprechend der ROM-III-Kriterien. Rein statistisch dürfte man annehmen, dass etwa 50% dieser Personen eine Reisediarrhö entwickeln würden. Eine Woche und sieben Monate nach Rückkehr von der Reise kontaktierte man diese Personen und bat sie, die Online-Version eines Fragebogens auszufüllen und per E-Mail zurückzuschicken. Ergebnisse Von 1964 in die Studie aufgenommenen Tropenreisenden antworteten 1464 direkt nach Rückkehr von der Reise und 1190 füllten den Fragebogen auch sieben Monate später aus. 53 % der Studienteilnehmer waren Frauen im mittleren Alter von 39,9 ± 15,7 Jahren. Die durchschnittliche Reisedauer betrug 40,8 ± 52,8 Tage. 43,3% hatten während der Reise mindestens einmal mäßige Symptome einer Diarrhoe entwickelt. Im Vergleich zum Ausgangswert vor der Reise betrug die Inzidenz eines neu aufgetretenen Reizdarmsyndroms entsprechend der ROM-III- Kriterien sieben Monate nach Beendigung der Reise 7,2%. In einer multivariaten Analyse waren weibliches Geschlecht, vorbestehende Durchfallneigung unter Stress, eine Neigung zu Somatisierung, Ängstlichkeit und eine Diarrhö-Episode während der Reise statistisch signifikante prädiktive Faktoren für das Auftreten eines Reizdarmsyndroms. Die Analyse ergab, dass biologische Umstände wie weibliches Geschlecht, vorbestehende Diarrhö-Neigung und eine gastrointestinale Infektion das Risiko für das Auftreten eines IBS jeweils verdoppelten. Unter den psychologischen Faktoren spielt eine Ängstlichkeit gegenüber körperlichen Symptomen die größte Rolle, während Neurotizismus oder Depression keinen Beitrag zum prädiktiven Wert leisteten. Kommentar von Dr. Füeßl: Füeßl × "Reizdarm ist nicht selten ein 'Souvenir' einer Tropenreise" Durch das Studiendesign, das ausschließlich auf persönlichen Aussagen der Betroffenen basiert, ist es natürlich nicht möglich, zugrunde liegende biologische Pathomechanismen herauszufinden. Der Einfluss einer durchgemachten gastrointestinalen Infektion stützt aber die Hypothese, wonach es sich beim Reizdarmsyndrom um Veränderungen der Immunantwort der Mukosa, des Darmmikrobioms oder des enterischen Nervensystems handeln könnte. Dennoch ist es bemerkenswert, dass sieben Monate nach einer Reise in die Tropen 7% der Reisenden ein neu aufgetretenes IBS entwickelt hatten. Somit müssen Tropenreisen an sich als wesentlicher Risikofaktor für diese Erkrankung angesehen werden. Einschränkend ist allerdings festzustellen, dass nur 75% der Studienteilnehmer direkt nach der Reise und 81% sieben Monate danach befragt werden konnten. Dies lässt Möglichkeiten für eine schiefe Selektion offen. Nachdem die Studienteilnehmer auch nicht diagnostisch abgeklärt wurden, ist die Diagnose eines IBS nur aufgrund eines Fragebogens nicht vollständig gesichert. So werfen die Studienergebnisse erneut mehr Fragen auf als sie beantworten und die jeweiligen Protagonisten können sich das heraussuchen, was Ihnen am besten ins Konzept passt. Die Vertreter eines somatischen Konzepts bekommen Wasser auf die Mühlen durch den Einfluss von Infektionen, die Psychosomatiker werden durch die allgemeine Ängstlichkeit gegenüber somatischen Symptomen bestätigt. Aus der Sicht der Praxis kann man die Aufforderung der Autoren, dass Personen mit IBS frühzeitig in beide Richtungen untersucht und behandelt werden sollten, allerdings nur unterstützen. Take-home-message Unabhängig von allen anderen Risikofaktoren wird das Risiko für ein IBS durch gastrointestinale Infektionen verdoppelt.

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