Erschienen in:
14.06.2017 | In der Diskussion
Der Schatten der Transparenz
Über die Entwertung der Chirurgie durch das Transparenzdiktat
verfasst von:
Prof. Dr. med. G. Maio, M.A. phil.
Erschienen in:
Die Chirurgie
|
Ausgabe 7/2017
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Auszug
Transparenz ist ein Anästhetikum unserer Zeit. Sobald es formuliert wird, werden jedes Aber, jede denkbare Kritik auf der Stelle betäubt, denn wer gegen Transparenz ist, gerät sofort in Verdacht. Und so fungiert allein das Wort als zuverlässiger Diskussionsstopper, als Bollwerk gegen jegliche gedankliche Vertiefung, weil allein das Wort schon als Lösung aller Probleme in Erscheinung tritt. Transparenz wird allenthalben als Losung verwendet und gilt unausgesprochen als Synonym für eine Medizin mit modernem Anstrich. Das hat zunächst auch etwas Plausibles. Wer will schon im Zeitalter der Autonomie des Patienten eine intransparente Medizin? Eine Medizin, in der die Undurchschaubarkeit herrscht, das Dunkle, das Geheimnisvolle? Das Gegenteil von Transparenz erscheint geradezu als Synonym für das Antiquierte, das Angestaubte, das Antiaufklärerische. Und so hat das Wort Transparenz einen Siegeszug angetreten, durch den man blind geworden ist für den Schatten, den das Transparenzpostulat wirft. Der Schatten der Transparenz – das klingt schon vom Begriff her wie ein Widerspruch, aber genau das ist ja das Übertölpelnde dieser Metapher, dass es umso wichtiger erscheint, hinter die Metapher zu blicken, um zu begreifen, was es auf sich hat mit der Transparenz als Losung und warum die selbstverständlich vorausgesetzte Schattenlosigkeit des Durchsichtigen einem Denkfehler entspringt. …