HbA1c ≥ 6,5%: Diagnose? Keine!

Dass nicht wenige Menschen an Typ-2-Diabetes leiden, ohne davon zu wissen, liegt nicht immer an mangelnder Diagnostik. Laut einer Studie des US-amerikanischen Gesundheitsdienstleisters Kaiser Permanente kommt es gar nicht selten vor, dass in den elektronischen Patientenakten Laborwerte dokumentiert sind, die einen Diabetes definieren, ohne dass in der Folgezeit die Diagnose Diabetes gestellt wird oder geeignete therapeutische Maßnahmen ergriffen werden. Fast jeder Dritte mit einem HbA1c ≥ 6,5% hatte selbst ein Jahr nach der Messung noch keine entsprechende Diagnose in seiner Akte. Die Wissenschaftler haben die Daten von 18.356 erwachsenen Versicherten aus Nordkalifornien ausgewertet, bei denen 2014 oder 2015 erstmalig ein HbA1c ≥ 6,5% in der Akte festgehalten worden war. Bei 30,2% war die Diabetesdiagnose in den nachfolgenden zwölf Monaten ausgeblieben. Bei 59,5% war nicht einmal eine weitere HbA1c-Messung vorgenommen worden. Ältere häufiger betroffen Die Wahrscheinlichkeit, undiagnostiziert zu bleiben, war in der Altersgruppe der über 70-Jährigen am größten (Odds Ratio, OR 1,40 mit 50- bis 59-Jährigen als Referenz). Afroamerikaner waren eher betroffen als weiße Amerikaner (OR 1,26). Besonders häufig unterblieb die Diagnose, wenn der dokumentierte HbA1c noch unter 7,0% gelegen hatte (OR 5,95). Das Risiko war zudem erhöht bei einem zuvor bekannten Prädiabetes (OR 1,35) oder einer Kortikosteroidtherapie (OR 1,27). Umgekehrt stieg die Chance auf eine zeitnahe Diagnose, wenn die Patienten adipös waren oder eine Hyperlipidämie oder Hypertonie hatten. Verwechslung der Grenzwerte für Diagnose und Therapie? Wegen der hohen Prävalenz undiagnostizierter Patienten vermuten die Studienautoren, dass es Erklärungen jenseits von verpassten oder nicht ausgewerteten Laborergebnissen geben muss. Möglicherweise würden manche Ärzte erst dann eine Diabetesdiagnose eintragen, wenn sie eine medikamentöse Therapie einleiteten. Die Wissenschaftler halten auch eine Fehlinterpretation der Leitlinien für denkbar: Ärzte könnten das Therapieziel, einen HbA1c < 7%, fälschlich mit der Grenze für einen Diabetes gleichsetzen. Da die frühe Therapie eines Typ-2-Diabetes wichtig ist, um vaskuläre Langzeitkomplikationen möglichst effektiv zu verhindern – Stichwort: glykämisches Gedächtnis –, plädieren die Forscher für weitere Maßnahmen, die eine zügige Diagnose sichern. Eine Möglichkeit seien z. B. Anpassungen in den elektronischen Patientenakten, sodass einschlägige Laborwerte automatisch mit einer Diabetesdiagnose verknüpft würden.

Springer Medizin

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