Der Kompetenzerwerb in praktischen Fertigkeiten ist ein zentrales Ziel des Medizinstudiums und steht auch in der Neufassung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM) besonders im Fokus. Die Vermittlung der speziellen Untersuchungstechniken der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und die erfolgreiche „Messung“ von Kompetenzerwerb bleiben große Herausforderungen an den medizinischen Fakultäten.
Hintergrund
Die praxisorientierte Ausbildung und das frühzeitige Erlernen klinisch-praktischer Fähigkeiten zum ärztlichen Kompetenzerwerb haben in den letzten Jahrzehnten einen immer größeren Stellenwert im klinischen Studienabschnitt des Medizinstudiums bekommen [
1]. Auch in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde nimmt der Praxisunterricht einen sehr wichtigen Platz in der studentischen Lehre ein. Dennoch zeigten mehrere Studien unter Medizinern kurz nach Studienabschluss, dass sie sich in wichtigen Bereichen, die den Einsatz praktischer Fertigkeiten verlangen, nicht ausreichend auf den Berufsalltag vorbereitet fühlen [
2,
3]. Dies konnte unabhängig vom individuellen theoretischen Wissen festgestellt werden. Das Erlernen praktischer Fähigkeiten sowie das entsprechende Selbstvertrauen, diese einzusetzen, sind jedoch eine wichtige Grundlage für die klinische Tätigkeit. Auf der anderen Seite sollte die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten möglichst realitätsnah sein. Ein Unterschätzen könnte ebenso zu einer Fehldiagnose führen wie ein Überschätzen der Kompetenzen patientengefährdend sein könnte. Auf ein gefährliches Überschätzen ohne das Bewusstsein dafür weisen Hodges et al. hin [
4]. Eine Metaanalyse zu verschiedenen Aspekten klinisch-praktischer Fertigkeiten zeigte eine in verschiedenen Kompetenzbereichen moderat ausgeprägte Fähigkeit zur Selbsteinschätzung [
5].
Als wichtiger Fachdisziplin des Kopf-Hals-Bereichs mit enger Vernetzung zu vielen anderen Fachrichtungen wie zum Beispiel der Neurologie und Pädiatrie dienen Untersuchungstechniken der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde der Diagnostik einer Vielzahl von Symptombildern und Erkrankungen. Während beispielsweise Studien zur Einschätzung operativer Fähigkeiten in der Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Weiterbildung existieren, gibt es nur wenige Studien zur Vermittlung der basalen Untersuchungstechniken des Fachgebiets im Medizinstudium [
6‐
10].
Das Projekt ToSkORL (Teaching of Skills in Otorhinolaryngology) an der LMU München soll zum einen die Selbst- sowie Fremdeinschätzungen zur Kompetenz bei ausgewählten Untersuchungstechniken im Rahmen einer mündlich-praktischen Prüfung in Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde während des Medizinstudiums darlegen und zum anderen die Abweichung von Selbst- und Fremdeinschätzung als Maß zur Fähigkeit der realistischen Selbstwahrnehmung beurteilen.
Methodik
Lehrkonzept
Die Lehre zu Untersuchungstechniken des Kopf-Hals-Bereichs erfolgt im klinischen Abschnitt des Medizinischen Curriculums München (MeCuM), dem Humanmedizinstudiengang der LMU München, in weit überwiegendem Maß durch die Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Einzelne Untersuchungstechniken wie beispielsweise die zervikale Lymphknotenuntersuchung werden jedoch bereits im Rahmen eines fächerübergreifenden Longitudinalkurses behandelt. Alle Studierenden belegen obligat im Rahmen des Studiums zwischen dem zweiten und vierten klinischen Semester zuerst einen Propädeutik-Kurs, den sog. Spiegelkurs, dem frühestens im vierten und spätestens im sechsten klinischen Semester Untersuchungskurse auf den Stationen und in der Poliklinik im Rahmen des Bedside-Teachings folgen. Fakultativ ergänzt werden diese Kurse durch ein klinisches Wahlpflichtfach, Kurse in ambulanter Medizin sowie Möglichkeiten zur Famulatur und der Ableistung eines Tertials des praktischen Jahres. Im selben Semester wie die Bedside-Teachings und zur Vermittlung des theoretischen Wissens erfolgen zudem drei Vorlesungen, fünf Seminare und ein Repetitorium sowie zwei „Problem-Based-Learning-Tutorials“.
Die umfassende, zielgerichtete Vermittlung der im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin von 2015 (NKLM 2015) vorgesehenen Untersuchungstechniken mit Bezug zur Spiegeluntersuchung im HNO-Bereich erfolgt während des Bedside-Teachings [
1]. Am letzten Kurstermin findet eine mündlich-praktische Prüfung statt, deren Bestehen Voraussetzung für den Scheinerwerb ist. Die Liste der zu erlernenden Untersuchungstechniken ist in Tab.
1 (linke Spalte) dargestellt.
Tab. 1
Anforderungen der „Mini-Clinical-Exam-Prüfung“ als Abschluss des traditionellen HNO-Blockpraktikums sowie des ToSkORL OSCE (Teaching of Skills in Otorhinolaryngology Objective Structured Clinical Exam)
Ohr und Gleichgewichtsorgan | Erhebung eines Trommelfellbefunds mit Handotoskop oder Ohrmikroskop | Erhebung eines Trommelfellbefunds mit Handotoskop |
Durchführung der Stimmgabeltests nach Weber und Rinne | Erhebung eines Trommelfellbefunds mit Ohrmikroskop |
Orientierende Gleichgewichtsuntersuchung inkl. Nystagmusprüfung mit Frenzel-Brille und Lagerungsproben | Durchführung der Stimmgabeltests nach Weber und Rinne |
Nase und Nasennebenhöhlen | Erhebung eines Nasenhaupthöhlenbefunds mittels anteriorer Rhinoskopie | Erhebung eines Nasenhaupthöhlenbefunds mittels anteriorer Rhinoskopie |
Erhebung eines Nasennebenhöhlen- und Nasopharynxbefunds mittels 30°-Optik |
Mundhöhle, Rachen und Kehlkopf | Erhebung eines Oropharynxbefunds | Erhebung eines Mundhöhlen- und Oropharynxbefunds inklusive Untersuchung der Speicheldrüsen und Hirnnerven IX und XII |
Klinische Untersuchung der großen Kopfspeicheldrüsen und ihrer Ausführungsgänge | Erhebung eines Kehlkopfbefunds mittels 70°- oder 90°-Optik inklusive Untersuchung des Hirnnerven X |
Klinische Untersuchung der Hirnnerven IX und XII |
Äußerer Kopf-Hals-Bereich | Erhebung des Halslymphknotenstatus | Erhebung des Halslymphknotenstatus |
Klinische Untersuchung bei Verdacht auf zentrale Mittelgesichtsfraktur | Klinische Untersuchung bei Verdacht auf zentrale Mittelgesichtsfraktur und akute Rhinosinusitis inklusive Untersuchung des Hirnnervs V |
Klinische Untersuchung bei Verdacht auf akute Rhinosinusitis |
Prüfung und Graduierung der Fazialisfunktion |
Klinische Untersuchung der Hirnnerven V und XI |
Prüfungsmodalitäten und Checkliste
Nach Absolvieren der Bedside-Teachings schätzten die Studierenden mittels einer fünfstufigen Likert-Skala („trifft voll zu“ bis „trifft gar nicht zu“) selbst ein, in welchem Ausmaß sie die einzelnen Untersuchungstechniken des Kopf-Hals-Bereichs beherrschten. Zusätzlich wurden Alter, Geschlecht, Semesterzahl und Fragen zum Interesse am Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde erhoben. Studierende mit weniger als drei absolvierten Bedside-Teachings zum Zeitpunkt der Prüfung wurden ausgeschlossen.
Statt der im Curriculum vorgesehenen mündlich-praktischen Mini-CEX-Prüfung, bei der in der Regel zwei Techniken aus dem Erwartungshorizont geprüft werden (Tab.
1, linke Spalte), wurde für diese Studie eine alternative „Objective-Structured-Clinical-Exam-Prüfung“ (ToSkORL OSCE) mit einer Auswahl von neun Untersuchungstechniken inklusive der Endoskopie des Kehlkopfs und der Nasenhaupt- und -nebenhöhlen durchgeführt (Tab.
1, rechte Spalte). Die Studierenden erhielten schriftliche Anweisungen/Fragestellungen zur Durchführung der Untersuchungstechniken im Rahmen der strukturierten Prüfung. Drei Dozierende aus dem Studienteam bewerteten mit einem standardisierten Bogen anhand von fünfstufigen Likert-Skalen („trifft voll zu“ bis „trifft gar nicht zu“) den dargelegten theoretischen Hintergrund, die praktische Durchführung sowie eine Gesamtwertung für die jeweilige Untersuchungstechnik sowie das Ausmaß der notwendigen Hilfestellung zur korrekten Durchführung der jeweiligen Untersuchung. Die drei Dozierenden hatten Facharztniveau und mindestens 3 Jahre Erfahrung in der universitären Lehre. Bei den ersten drei ToSkORL-OSCE-Prüfungen wurde die Auswertemethodik gemeinsam durchgeführt, um nach einem gemeinsamen Standard zu prüfen und zu bewerten. Um eine Vergleichbarkeit mit den Selbsteinschätzungen der Studierenden zu ermöglichen, wurden die Untersuchungsblöcke ebenfalls anhand einer Likert-Skala bewertet.
Insgesamt 91 Studierende wurden in Gruppen aus zwei oder drei Studierenden gemeinsam geprüft. In einer Gruppe wurde jede der neun Untersuchungstechniken einmalig geprüft und hierbei durch eine(n) Studierende(n) als Untersucher(in) und an einem oder einer Studierenden als Patient(in) durchgeführt, mithin wurden alle neun Untersuchungstechniken je 42-mal durchgeführt. Die Tab.
2 zeigt Basisdaten für die Studierendenkohorte.
Tab. 2
Basisdaten teilnehmender Studierender
Alter | 26 ± 4,1 Jahre |
Geschlecht | Weiblich | 46 (50,5 %) |
Männlich | 44 (48,4 %) |
Keine Angabe | 1 (1,1 %) |
Fachsemester | 8,9 ± 0,6 |
Famulaturen in HNO | 4 (4,4 %) |
Absolvierte HNO-Untersuchungskurse (max. 4) | 3,4 ± 0,5 |
Endpunkte
Für alle ausgewerteten Untersuchungstechniken ergaben sich auf diese Weise Selbst- und Fremdbewertungen. Die Fremdbewertung durch die Prüfenden erfolgte in Unkenntnis der Selbsteinschätzung der Studierenden sowie der weiteren erhobenen Daten. Eine vorhergehende Pseudonymisierung ermöglichte bei der späteren Auswertung die Zuordnung von Fremd- und Selbsteinschätzung. Neben der Auswertung der Selbst- und Fremdbewertungen wurde die jeweilige Differenz aus Fremd- und Selbstbewertung errechnet (Differenz ΔEinschätzung = WertFremd − WertSelbst). Positive Werte ergeben daher eine Selbstüberschätzung der eigenen Fertigkeiten der Studierenden gegenüber der Fremdbewertung, negative Werte eine Selbstunterschätzung gegenüber der Fremdbewertung. Keine Differenz resultiert bei Übereinstimmung von Selbst- und Fremdeinschätzung.
Auf der Basis der Mittelwerte der Selbstbewertungen aller 91 Studierenden zu den neun Untersuchungstechniken erfolgte eine Zusammenfassung der Untersuchungstechniken in drei Gruppen mit unterschiedlichem wahrgenommenen Kompetenz‑/Anforderungsniveau.
Statistische Analyse
Für die statistischen Analysen wurde SPSS in der Version 25.0.0.1 (IBM, Armonk/NY, USA) genutzt. Für Mittelwertvergleiche von mehr als zwei Gruppen erfolgten eine ANOVA und für Mittelwertvergleiche von zwei Gruppen t‑Tests. Zur systematischen Analyse von Einflussfaktoren auf die Differenzen von Selbst- und Fremdeinschätzung erfolgten multiple lineare Regressionsanalysen. Die Graphen wurden mit GraphPad Prism 8.4.3 (GraphPad, San Diego/CA, USA) erstellt.
Interessenkonflikte und Ethikvotum
Die Autoren geben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen an, welche die Arbeit oder das Design dieses Projekts beeinflussen. Interessenkonflikte werden von allen AutorInnen verneint. Die Datenerhebung, -verarbeitung und -analyse erfolgte nach Einverständnis des lokalen Ethikkomitees (Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, Votum 19-333) sowie in Einklang mit der Deklaration von Helsinki.
Diskussion
Eine zunehmende Praxisorientierung des Medizinstudiums mit einer möglichst umfassenden und fundierten Ausbildung der Studierenden soll den langfristigen Erwerb von Kompetenzen in praktischen Fertigkeiten gewährleisten [
11‐
14]. In der medizindidaktischen Forschung haben sich in diesem Zusammenhang insbesondere Studien bewährt, die anhand standardisierter Auswertemethoden die Selbst- und Fremdeinschätzung verglichen [
5]. Diese umfassen in der Regel entweder Korrelationsanalysen oder Vergleichsanalysen verbundener oder unverbundener Datensätze aus Selbst- und Fremdeinschätzung, [
5] In der Literatur finden sich verschiedene Studien, in welchen beispielsweise Abweichungen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung in der Einschätzung von Kompetenzen bei der Anamnese in der Zahnmedizin oder bei „objective structured clinical exams“ (OSCE) in der Pädiatrie ausgewertet wurden [
15,
16]. Für die vorliegende Studie wurden neun Untersuchungskomplexe ausgewählt, die das Fachgebiet Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde mit seinen Organgebieten breit und repräsentativ abbilden. Ähnliche Untersuchungskomplexe wurden bereits in deutschsprachigen Studien zur Lernkurve beim Erlernen der HNO-Spiegeluntersuchung beziehungsweise der Operationalisierung der HNO-Spiegeluntersuchung verwendet [
9,
10]. In die Gesamtbewertung der Fremdeinschätzung flossen sowohl die Fähigkeiten der gebietsspezifischen Anamnese – somit theoretische Grundlagen – als auch praktische Fertigkeiten auf Basis der Durchführung der Untersuchung ein.
Neben einzelnen Fähigkeiten wurde auch der Einfluss von Geschlecht, Alter, Vorerfahrung und fachlichem Interesse auf eine bessere oder schlechtere Selbsteinschätzung erforscht. Aus einzelnen Studien dieser Art wird z. B. die Hypothese abgeleitet, dass weibliche Teilnehmer zu einer Unterschätzung ihrer Fähigkeiten neigen [
5,
17]. In unserer Kohorte fanden sich keine Hinweise auf systematische Geschlechterunterschiede bei der Güte der Selbsteinschätzung. Auch das Studierendenalter spielte keine wesentliche Rolle, obwohl es innerhalb der Kohorte teils große Altersunterschiede gab, die sich gut durch die Zulassungskriterien zum Medizinstudium in Deutschland über „Hochschulstart“ (ehemals „ZVS“) erklären lassen. Insofern spiegelt das Studierendenalter auch nur bedingt den Faktor Erfahrung wider, der in Studien kontrovers als möglicher Einfluss auf die Güte der Selbsteinschätzung gilt, da sich alle 91 Studierenden unserer Kohorte mit maximal 2 Fachsemestern Unterschied am Ende des klinischen Studienabschnitts befanden [
3,
5,
18,
19].
Ein besonders auffälliges Ergebnis dieser Studie war die Identifikation einzelner Untersuchungstechniken, die als besonders leicht beziehungsweise gut beherrscht empfunden und auch fremdbewertet wurden, und andere, die als schwieriger und deren Ausführung als schlechter beherrscht eingestuft wurden. Dies liegt insgesamt am wahrscheinlichsten an Spezifika des Curriculums im LMU-Humanmedizinstudiengang „MeCuM“ und dem vorhandenen Lehrkonzept im Rahmen der HNO-Bedside-Kurse: Grund für die besonders guten Einstufungen bei der zervikalen Lymphknoten-Untersuchung könnte die zu diesem Zeitpunkt bereits ein bis zwei Fachsemester zuvor abgelegte Prüfung zur Lymphknoten-Untersuchung am ganzen Körper sein. Die Stimmgabelprüfungen nach Weber und Rinne sind bereits Teil der vorklinischen Lehre im physiologischen Praktikum. Die traumatologische Untersuchung des Kopfs überschneidet sich ebenfalls mit Lehrinhalten der Unfallchirurgie. Otoskopie und Mund-Rachen-Inspektion könnten bereits im Rahmen der Famulatur oder Praktika in Allgemeinmedizin, Pädiatrie oder Neurologie geübt worden sein. Dies unterstreicht wiederum den Stellenwert der Erfahrung in praktischen Fertigkeiten und dem mehrfachen Befassen mit einer Untersuchungstechnik, welche entscheidend zu einer besseren Kompetenz und einer besseren Einschätzung der eigenen Kompetenz beitragen [
5,
10,
11].
Im traditionellen Lehrkonzept der LMU München mit dem in Tab.
1 aufgeführten Erwartungshorizont für die praktische Mini-CEX-Prüfung bestand zudem keine Fokussierung auf die Endoskopie-Techniken, sodass diese im Rahmen unserer Kohorte als besonders schwer wahrgenommen und die Kompetenz vergleichsweise schlecht bewertet wurde. Andererseits korreliert die beobachtete Graduierung bei den verschiedenen Untersuchungskomplexen damit, in welchem Ausmaß spezielles Instrumentarium eingesetzt werden muss: Die Untersuchungen mit Hilfsinstrumenten wie dem Nasenspekulum oder Ohrtrichter wurden als schwieriger empfunden und Untersuchungen mit Winkeloptiken als besonders schwierig.
Bei den als mittelmäßig schwierig empfundenen Techniken zeigten sich die größten Abweichungen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung. Dieses Ergebnis weist auf eine trügerische Fehleinschätzung der Studierenden hin. Sowohl eine Über- als auch Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten kann im ärztlichen Beruf leicht zu unzureichenden Untersuchungsergebnissen und letztlich zu Fehldiagnosen führen [
20].
In unserer Kohorte stuften sich Studierende mit hohem Interesse am Fachgebiet Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde besser ein und neigten zur Selbstüberschätzung, absolut betrachtet jedoch nur in einem geringen Ausmaß. Ein eher gegenteiliges Ergebnis, dass sich Studierende mit schlechteren Studiennoten überschätzten und sich solche mit besseren Noten unterschätzten, zeigte sich beispielsweise bei der Evaluation von Famulanten im Bereich der Gynäkologie [
20]. Bei der Prüfung der Selbsteinschätzung verschiedener Skills in einem pädiatrischen OSCE fanden sich sowohl Skills, in denen die eigenen Fähigkeiten überschätzt, als auch Skills, in denen die eigenen Fähigkeiten unterschätzt wurden [
16]. Eine generelle Selbstüberschätzung, die in anderen Kohorten für bestimmte Skills der Anamnese und Untersuchung gefunden wurde, konnte nicht festgestellt werden [
15].
In der Literatur finden sich insgesamt starke Hinweise, dass trotz kleiner Abweichungen in Bezug auf einzelne Faktoren wie das Geschlecht oder das fachliche Interesse oder auf einzelne Skills die eigene Wahrnehmung oftmals gut mit der Einschätzung von außen korreliert [
5]. Viele Studien geben Hinweise darauf, dass die Selbsteinschätzung mit wachsender (Berufs‑)Erfahrung zunehmend besser wird [
4,
18,
21]. Trotzdem erscheint die Nutzung von Selbsteinschätzungen als Indikator für studentische Kompetenz beziehungsweise den Kompetenzerwerb weitgehend reliabel, insbesondere wenn man sich die eher geringe Tendenz zur Selbstüber- und -unterschätzung für einzelne Skills oder bestimmte Subkohorten bewusst macht [
5,
12,
22,
23]. Für die chirurgische Weiterbildung in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde konnte zudem gezeigt werden, dass die zeitnahe Erhebung der Daten nach der Phase des Kompetenzerwerbs wichtig ist [
8].
Darüber hinaus lassen sich aus den Daten weitere Schlüsse folgern: die als mittelmäßig schwer empfundenen Untersuchungstechniken wie die Otoskopie, die anteriore Rhinoskopie und die Mundhöhlen-Rachen-Inspektion werden eher über- beziehungsweise unterschätzt, sodass in Zukunft der Fokus in der Lehre stärker auf diesen Untersuchungstechniken liegen sollte und zudem ergänzende Lehrangebote wie Refresher-Kurse zu einer nachhaltigen Verbesserung der praktischen Kompetenzen angeboten werden sollten. Dies konnte auch in der Arbeit von Polk et al. eindrücklich gezeigt werden, in dem mit der Durchführung eines stringenten repetitiven Lehrkonzepts während der Blockpraktikumswoche eine deutliche, signifikante Lernkurve beim Erlernen der HNO-Spiegeluntersuchung nachgewiesen werden konnte [
10]. Ebenso gilt dies für die als schwierig empfundene Ohrmikroskopie und die Endoskopie-Techniken, für die eine hohe Unsicherheit bei den Studierenden besteht. Insgesamt weisen auch andere Studien auf Lücken beim Kompetenzerwerb während des Medizinstudiums hin [
2,
24]. Strategien, die den Kompetenzerwerb unterstützen können, sind beispielsweise das regelmäßige Abfragen der selbst eingeschätzten Kompetenz in der Lernphase sowie das frühzeitige Einführen praktischer Lehrinhalte in das Medizinstudium [
10,
11,
25]. Ebenso kann ein operationalisiertes Konzept, das die Vermittlung der HNO-Spiegeluntersuchung als Erlernen psychomotorischer Fähigkeiten standardisiert, helfen, das Niveau des Lernerfolgs der Studierenden und deren Akzeptanz des Lernkonzepts zu steigern [
9].
Neuere Lernmethoden wie Blended Learning könnten ebenfalls hilfreich sein, den Kompetenzerwerb für Untersuchungstechniken des Kopf-Hals-Bereichs zu fördern. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 ergab, dass solche Angebote, die Online-Inhalte mit Präsenzunterricht in einem abgestimmtem Lehrkonzept verbinden, im deutschsprachigen Raum relativ selten waren [
26]. Die Evaluation eines solchen Konzepts wies vor allem auf die Bedeutung einer Aktivierung der Studierenden hin, um einen höheren Lernerfolg zu erreichen, selbst wenn solche Lernkonzepte trotz der Innovation nicht beliebter als klassische Lehrformen sein müssen [
27,
28].
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Die Datenerhebung, -verarbeitung und -analyse erfolgte nach Einverständnis des lokalen Ethikkomitees (Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, Votum 19-333) sowie in Einklang mit der Deklaration von Helsinki.
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