Einige häufig verordnete Medikamente wie das orale Antidiabetikum Metformin oder Protonenpumpeninhibitoren (PPI) können einen Mangel an Vitamin B12 verursachen. Bei einer Langzeitmedikation mit diesen Wirkstoffen sollte daher an ein mögliches Defizit gedacht werden. Erfahren Sie hier, worauf dabei zu achten ist.
Metformin ist das Antidiabetikum der ersten Wahl zur Behandlung des Typ-2-Diabetes [1] und wird entsprechend häufig verordnet. Dabei ist zu bedenken, dass bei dauerhafter Metformin-Einnahme das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel deutlich ansteigt [2,4], weil das Antidiabetikum die aktive Resorption von Vitamin B12 im Darm behindert (Abb. 1).
Abb. 1: Metformin vehindert die ausreichende Vitamin-B12-Resorption (IF = Instrinsic Factor).
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Unter Metformin-Therapie: regelmäßiger B12-Check
So ergab eine aktuelle Metaanalyse, die 31 Studien umfasste, dass Diabetes-Patienten unter Metformin-Therapie ein signifikant höheres Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel hatten als Diabetiker, die kein Metformin einnahmen (Relatives Risiko 2,09). Das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel war dabei von der Dosis und der Dauer der Metformin-Therapie abhängig. Patienten, die eine tägliche Dosis von mehr als 2000 mg Metformin einnahmen, hatten ein 3-fach höheres Risiko als Typ-2-Diabetes-Patienten ohne Metformin-Einnahme. Bei Diabetes-Patienten sollte daher einmal jährlich der Vitamin-B12-Status bestimmt und bei Bedarf präventive oder therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, empfehlen die Autoren [3].
Verbesserte Nervenfunktion und Lebensqualität
Welchen klinischen Nutzen eine Vitamin-B12-Supplementation für Diabetes-Patienten unter Metformin-Therapie haben kann, zeigt eine aktuelle randomisierte, placebokontrollierte Studie: 90 Patienten mit Typ-2-Diabetes, die seit mindestens 4 Jahren mit Metformin behandelt wurden und sowohl unter einer peripheren als auch autonomen Neuropathie litten, erhielten ein Jahr lang täglich eine orale Therapie mit 1.000 µg Vitamin B12 oder Placebo. Alle Patienten hatten zu Studienbeginn insuffiziente Vitamin-B12-Spiegel von weniger als 400 pmol/L*. Durch die hochdosierte orale Vitamin-B12-Therapie stiegen die Vitamin-B12-Spiegel an. Zudem konnten alle neurophysiologischen Parameter sowie der Schmerz-Score und die Lebensqualität der Patienten in der Verumgruppe gegenüber der Kontrollgruppe signifikant gebessert werden. Nicht signifikant war der Einfluss der Supplementation auf den kardialen autonomen Reflextest [10].
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Aktuelle Empfehlungen
Auch Fachgesellschaften, wie die Deutsche und die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft, empfehlen, bei Patienten unter Metformin-Therapie regelmäßig die Vitamin-B12-Spiegel zu überprüfen [12, 14]. Ein internationales Experten-Team erinnert in einer aktuellen Publikation im Journal der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft ADA, dass ein Vitamin-B12-Mangel bei bis zu 30% der Patienten unter Metformin-Therapie auftritt. Dieser Mangel zählt zu den häufigsten Imitatoren einer diabetischen Neuropathie und lässt sich durch eine Therapie vollständig beheben. Für die Therapie des Mangels empfehlen die Autoren eine orale Supplementation von 1.000 µg Vitamin B12 pro Tag. Die Dauer der Vitamin-B12-Therapie kann – abhängig von den Ursachen des Mangels - lebenslang notwendig sein [13].
Arzneimittelkommission warnt vor verkanntem Mangel
Im August 2022 informierten auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft AkdÄ und die britische Arzneimittelbehörde über das Risiko eines Vitamin-B12-Mangels im Zusammenhang mit dem Antidiabetikum Metformin [15,16].
Die AkdÄ warnte, dass einige klinische Symptome eines Vitamin-B12-Mangels in dieser Patientengruppe als Diabetes- oder altersbedingt fehlinterpretiert werden könnten, wie z. B. Polyneuropathien [15].
Die Empfehlung: Risikogruppen sollten regelmäßig überwacht und Vitamin-B12-Defizite durch eine Supplementation ausgeglichen werden. Lesen Sie hier im Fallbeispiel, wie eine Vitamin-B12-Mangel-Neuropathie bei Diabetes-Patienten erfolgreich behandelt werden kann.
Wachsam sein bei Therapie mit PPI oder H2-Rezeptor-Antagonisten
Weitere häufig verordnete Arzneimittel, die zu einem Vitamin-B12-Mangel führen können, sind PPI wie Omeprazol oder Pantoprazol: Da Magensäure erforderlich ist, um das Vitamin aus dem Nahrungsprotein freizusetzen, kann eine durch diese Medikamente herabgesetzte Säurekonzentration die Vitamin-B12-Resorption erheblich reduzieren [5]. Das an das Eiweiß gebundene Vitamin kann im Darm nicht absorbiert werden und wird ungenutzt ausgeschieden.
In einer Fall-Kontroll-Studie zeigte sich, dass Personen, die PPI über mindestens zwei Jahre einnahmen, ein um 65% höheres Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel aufwiesen als Personen ohne diese Medikation. Bei einer Therapie mit H2-Rezeptor-Antagonisten erhöhte sich das Risiko um 25%. Eine aktuelle und eine zurückliegende Einnahme von Magensäureinhibitoren ist signifikant mit einem Vitamin-B12-Mangel assoziiert [6].
Doppeltes Risiko
Besonders gefährdet sind Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen. Ein relevantes Beispiel: Rund 40% der Diabetes-Patienten leiden unter einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) [11], die häufig mit PPI behandelt wird. Viele von ihnen erhalten daher Metformin plus Säureblocker, wodurch das Risiko für einen Mangel potenziert wird.
Checkliste für die PraxisBei Langzeittherapie mit folgenden Medikamenten sollten Sie an einen möglichen Vitamin-B12-Mangel denken [7]: |
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Bei Patienten mit entsprechender Langzeitmedikation sollte daher regelmäßig der Vitamin-B12-Status überprüft werden, um durch frühzeitige Therapie eines Mangels Folgeschäden verhindern zu können.
Orale oder parenterale Vitamin-B12-Therapie?
Entgegen früherer Annahmen kann die Therapie eines Vitamin-B12-Mangels selbst bei gestörter Resorption durch eine orale Applikation erfolgen. Hierbei ist es erforderlich, Vitamin B12 ausreichend hoch zu dosieren. In Studien haben sich 1.000 µg Vitamin B12/Tag als wirksam erwiesen [8,9]. Bei entsprechend hoher oraler Dosierung kann eine ausreichende Menge des Vitamins auch unabhängig vom Intrinsic Factor durch passive Diffusion über die Darmschleimhaut aufgenommen werden. Auch eine herabgesetzte Säurekonzentration im Magen - beispielsweise in Folge einer PPI-Therapie - beeinträchtigt die Resorption oraler Supplemente nicht, da das Vitamin bereits in freier (nicht an Nahrungsprotein gebundener) Form vorliegt (Abb. 2). Bei einer schweren neurologischen Symptomatik sollte initial eine parenterale Applikation erfolgen, die anschließend durch eine orale Erhaltungstherapie fortgesetzt werden kann [8]. Lesen Sie hier mehr zur Therapie >>
Abb. 2: PPI verringern die Vitamin-B12-Freisetzung aus der Nahrung.
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Aktuelles Praxismaterial:
Wie erkläre ich meinem Patienten, warum unter Langzeitmedikation mit PPI oder Metformin das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel steigt? Hier finden Sie eine Patientenbroschüre zum Download.
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* Die Autoren weisen darauf hin, dass insbesondere bei älteren Diabetes-Patienten Anzeichen einer neurologischen Dysfunktion schon bei Vitamin-B12-Spiegeln auftreten können, die allgemein noch als normal angesehen werden. Der Bereich von 150 bis 400 pmol/L wird daher bei diesen Patienten als „relativer“ Mangel