Stimmen aus dem Weltraum

Was die Stimme über die Stimmung verrät, untersuchte ein österreichisches Forscher-Team 2018 im Rahmen einer simulierten Mars-Mission. Mit interessanten Erkenntnissen – auch für den Erdgebrauch. Zehn Minuten sind in der Notfallmedizin eine halbe Ewigkeit. 20 Minuten sind eine ganze. Im Februar 2018 stand der gebürtige Steirer Dr. Stefan Dobrovolny vor einem Kollegen, auf dessen Stirn eine klaffende Wunde blutete. Ein Arbeitsunfall. An sich keine Hexerei, hätten die beiden in Wien, Salzburg oder Graz gestanden, wären die notwendigen Schritte zur Erstversorgung eingeleitet worden: Blutung stoppen, nähen, klammern oder kleben, Verband anlegen. Nur: Der Notfallmediziner Dobrovolny befand sich in der Wüste auf der Arabischen Halbinsel im Oman, fernab jeglicher Zivilisation. In Innsbruck saßen Kollegen im „Mission Support Center“, die er per Funk um Rat hätte bitten können. Aber weil Dobrovolny als Analog-Astronaut simuliert am Mars stand, hätte es zehn Minuten lang gedauert, bis sein Funkspruch in Tirol angekommen wäre. Und noch einmal zehn Minuten bis er eine Antwort erhalten hätte. Extrem-Situationen testen Vier Wochen lang führte das Österreichische Weltraum Forum im vergangenen Jahr in der Dhofar Region die internationale „AMADEE 18“ Mission durch. „Macht uns stolz während eures Aufenthaltes am roten Planeten“, gab die Flugdirektorin in Innsbruck dem Team in der Wüste im Oman via Telefon mit, bevor die 15-köpfige Feldcrew in die Isolation geschickt wurde. Stefan Dobrvolny und seine Kollegen sollten testen, wie es sich in der für den Menschen extremen Umgebung leben und forschen lässt, um Vorarbeit zu leisten für künftig bemannte Mars-Missionen. Und nicht nur das: Aus den Erkenntnissen, die die beteiligten Wissenschaftler dank der AnalogAstronauten aus ihren Experimenten ziehen würden, sollten auch Rückschlüsse für das Leben auf der Erde gezogen werden. Dobrovolny berichtete den blutigen Vorfall nach Innsbruck. Ruhig und sachlich; die Arbeit bei der Bergrettung in den Südtiroler Alpen hat aus seinen Nerven Drahtseile gemacht. Die Kommunikation mit dem „Mission Support Center“ ist verzögert und Dobrovolny 20 Minuten lang in der Notsituation erst einmal allein. Alles, was er sagt, wird Minute für Minute aufgezeichnet. Wie verändert sich seine Stimme? Was erzählt sie über seinen Gemütszustand? Verrät seine Stimmlage den Punkt, an dem die Belastung zu viel wird? Mehr Beiträge zum Thema Weltraummedizin auf SpringerMedizin.at Dr. Bergita Ganse ist Fachärztin für Physiologie, sowie Unfallchirurgin – und ist eine von Deutschlands wenigen Weltraummedizinern: Ärztin für extraterrestrische Angelegenheiten Manche reden bereits davon, den Mars zu besiedeln. Doch gilt es zuvor, noch einiges an Erfahrung zu sammeln. Ein Interview mit zwei Experten der ESA: „Wir haben den Mond als Ziel“ Der Mediziners Dr. Clemens Lothaller hat das komplette Trainingsprogramm eines Kosmonauten durchlaufen und war im Weltraum – fast: „Ich würde sofort zum Mars fliegen“ Hinweis: Nach der Weiterleitung zur österreichischen Plattform SpringerMedizin.at einfach erneut mit denselben SpringerMedizin-Zugangsdaten einloggen. „Mimic“ heißt das Experiment, das als eines von insgesamt 16 Projekten im Rahmen der Mars-Simulation durchgeführt wird. Neben den Feldern Astrobiologie, Robotik oder Geowissenschaften ist es vor allem die Humanwissenschaft, die im Fokus der Forscher steht. „Die verbale Kommunikation in Hinblick auf die psychologische oder physiologische Anpassung oder Fehlanpassung in extremen oder stressigen Umgebungen soll untersucht werden“, schreiben die Wissenschaftler der TU Graz rund um Dipl.-Ing. Dr. techn. Martin Hagmüller, der das Experiment leitete. Der studierte Elektroingenieur und Tontechniker weiß, was es bedeutet, Menschen in Extremsituation wissenschaftlich zu betreuen: Monatelang hatte er gemeinsam mit Kollegen aus Ungarn die Kommunikation von Forschern, die in der Antarktis ein sogenanntes „Winter Over“ verbringen, überwacht und sich die Frage gestellt: Wie reagiert der Mensch auf diese extreme Isolation, die Dunkelheit und den Sauerstoffmangel in mehreren Tausend Metern Seehöhe und wie schlägt sich die extreme Belastung auf die Tonalität der Stimme wieder? Im Oman lagen die Herausforderungen woanders: Sandstürme und die enorme Hitze. Der Marsanzug, in den Stefan Dobrovolny täglich schlüpfte, um einen Außeneinsatz zu absolvieren, wog 45 Kilogramm. Bis zu zwei Stunden benötigten die Analog-Astronauten, um in den Prototypen zu steigen. „Draußen in der Wüste, wenn du in diesem Anzug steckst, bist du vollkommen von deinen natürlichen Sinnen abgeschnitten,“ erklärt der 29-Jährige. „Du hast nur ein eingeschränktes Blickfeld durch das Visier, durch das du wie durch ein Fischglas siehst. Du riechst nichts, es ist wahnsinnig laut in diesem Anzug, weil die Ventilatoren zur Belüftung dröhnen und du spürst weder Wind noch den Sand unter deinen Füßen.“ Die Funkkommunikation müsse all diese Sinne ersetzen. Deswegen kommt ihr enormer Stellenwert zu. Die Stimme wird zum Gradmesser psychischer und physischer Verfassung. Dass das Timbre sehr viel mehr über den Zustand des Sprechers verrät, als diesem bewusst ist, fanden Wissenschaftler der University of Melbourne, Australien, bereits im Jahr 2011 heraus: Das Team unter Leitung des Sprachpathologen und Psychologen Adam Vogel, PhD, lud 18 Studenten um acht Uhr morgens in ihr Institut und ließ sie dann 24 Stunden wach bleiben. Währenddessen mussten sie alle zwei Stunden einen Sprachtest absolvieren, dazu gehörte beispielsweise, einen lang anhaltenden Ton zu summen. Die Tests wurden aufgenommen und analysiert, und dabei zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang mit der fortschreitenden Wachphase: Die Sprechgeschwindigkeit wurde langsamer, die Tonhöhe zeigte immer deutlichere Schwankungen, und die tiefen Frequenzen der Stimme gingen immer mehr zurück. „Die Stimme verrät, wie wach wir sind, denn mit zunehmender Müdigkeit lässt die motorische Koordination der Sprechmuskeln sowie die Kraft der Stimmbänder nach,“ so Studienautor Vogel. Präventiv Maßnahmen setzen Bei einer real bemannten Mars-Mission sollen Astronauten, die anhand in der Stimme gemessener Parameter überlastet wirken, vom Kontrollteam auf der Erde in Pausen geschickt werden, um stressbedingte Fehlleistungen präventiv zu vermeiden. Das sollen die Erkenntnisse von „Mimic“ bewirken. Um Hagmüller und seinem Team aussagekräftige Ergebnisse zukommen lassen zu können, wurde neben der Funkkommunikation auch das Sprechverhalten bei Gruppenbesprechungen untersucht: Wer sagt was? Wie häufig meldet sich jemand zu Wort und wie klingt er dabei? Außerdem mussten die Probanden jeden zweiten Tag Äsops Fabel „Vom Nordwind und der Sonne“ einsprechen, um mittel- und langfristige Stimmveränderungen zu dokumentieren. „Einst stritten sich Nordwind und Sonne, wer von ihnen beiden wohl der Stärkere wäre, als ein Wanderer, der in einen warmen Mantel gehüllt war, des Weges daherkam.“ Stefan Dobrovolny hat den ersten Satz der Fabel knapp ein Jahr nach der Weltraum-Mission wieder vergessen. Auf die Tonlage seiner Kollegen zu hören, lernte der Arzt im Oman allerdings schnell: „Wir mussten jeden Tag mündlich medizinische Fragebögen ausfüllen,“ erinnert er sich, „und unseren körperlichen Zustand mit einer Zahl von eins bis fünf beurteilen.“ Weniger seien die Zahlen ausschlaggebend für die Bewertung der Stimmungslage seiner Kollegen gewesen, als die Tonalität des Gesagten. „Hohe Körperspannung führt zu einer hohen Spannung der Stimmbänder,“ so Sprachkommunikations- Forscher Martin Hagmüller. Deswegen sprechen Menschen unter emotionalem Stress nicht nur schneller, sondern auch in höheren Tonlagen. Anhand der Stimme lassen sich überdies Krankheiten erkennen: 2010 entwickelten Forscher an der Universität Haifa in Israel einen Sprachtest zur Frühdiagnose von Parkinson und auch das Selbstmordrisiko lässt sich per Stimmanalyse einschätzen: Psychiater Stephen Silverman von der amerikanischen Yale-Universität fand in einer Studie an 64 depressiven und 33 psychisch gesunden Menschen heraus, dass bei Probanden, die später einen Suizid versuchten, die Stimme hohl und leer klang. Die ethische Seite der Medaille „Vielleicht kann man in Zukunft schon im Vorfeld feststellen, ob jemand von Depressionen bedroht ist oder Stress nicht mehr aushält“, sagt Hagmüller. „Ethisch vielleicht etwas bedenklich,“ wirft der Wissenschaftler ein, „wenn es zum Beispiel so weit ginge, dass Menschen an ihren Arbeitsplätzen anhand von Telefonaten gescreent werden. Aber für Weltraum-Missionen, in denen Menschen tatsächlich in extremen Ausnahmesituationen agieren, finde ich das gerechtfertigt.“ In Äsops Fabel beweist sich die Sonne im Übrigen als die Stärkere. Wer den Wanderer dazu bringt, seinen Mantel abzulegen, sollte als Gewinner aus dem Kräftemessen hervorgehen. Der Wind, der wild am Kleidungsstück zerrt, hat gegenüber der beständigen, sanften Sonneneinstrahlung das Nachsehen. Die Moral von der Geschichte: „Zehnmal sicherer wirken Milde und Freundlichkeit, als Ungestüm und Strenge.“ Die nächste Weltraum-Mission für Analog-Astronaut Stefan Dobrovolny steht bereits im kommenden Jahr an. Einen neuen Monat im Extrem gilt es dann zu überwinden – diesmal in der Negev Wüste in Israel. Quelle: SpringerMedizin.at

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