Bluthochdruck fördert Demenz, aber nicht direkt Alzheimer

Hypertonie und andere vaskuläre Risikofaktoren steigern die Demenzgefahr – aber nicht, indem sie die Alzheimerpathologie ankurbeln. Sie scheinen auf ihre eigene Weise das Gehirn zu schädigen. Es ist ein Bild, das zum Nachdenken anregt: Auf dem internationalen Alzheimer-Kongress in Chicago präsentierte Professor Prashanthi Vemuri von der Mayo Clinic in Rochester neue Daten einer noch andauernden großen Kohortenstudie, der Mayo Clinic Study of Aging mit über 3500 älteren Teilnehmern [1]. Die Bildgebungsexpertin zeigte eine Grafik, nach der Teilnehmer ohne Herzkreislaufschäden und ohne übermäßige Amyloiddeposition ihre kognitiven Fähigkeiten im Laufe von fünf Jahren weitgehend erhalten konnten. Deutlich schlechter sah es für Teilnehmer aus, die entweder vaskuläre Probleme hatten oder in Amyloidtests auffällig waren. Hier kam es im selben Zeitraum zu einem signifikanten kognitiven Abbau. Dieser war in beiden Gruppen ähnlich stark ausgeprägt. Doppelt so schnell ging es jedoch mit denjenigen Teilnehmern kognitiv bergab, die sowohl eine hohe Amyloidlast aus auch eine vaskuläre Erkrankung aufwiesen. Offenbar scheinen sich die Effekte beider Faktoren zu addieren. Dies könnte zweierlei bedeuten: Entweder verstärken vaskuläre Probleme die Alzheimerpathologie und sorgen für eine vermehrte Amyloidablagerung im Gehirn, oder sie führen unabhängig davon in die Neurodegeneration. Untersuchungen, die jetzt in Chicago vorgestellt wurden, deuten auf Letzteres: Offenbar haben vaskuläre Risikofaktoren kaum Einfluss auf die Amyloidaggregation. Vielmehr scheinen sie die strukturellen Reserven im Gehirn zu schmälern und damit Demenzen jeglicher Art Vorschub zu leisten. In anderen Worten ausgedrückt: Die Alzheimerpathologie macht sich bei Patienten mit vaskulären Problemen früher bemerkbar. Neue Erkenntnisse durch Biomarker Eine solche Erkenntnis kann in naher Zukunft durchaus therapeutische Konsequenzen haben: Kommen in den nächsten Jahren die ersten Anti-Amyloid-Antikörper zur Alzheimerprävention auf den Markt, und können diese eine Alzheimerpathologie tatsächlich verhindern, so werden nicht alle älteren Menschen mit Beta-Amyloid im Gehirn gleichermaßen davon profitieren. Bei Personen mit vaskulären Risiken wird der kognitive Abbau auch ohne Amyloid weiter deutlich voranschreiten. Umgekehrt muss der Effekt von Lebensstilfaktoren auf das Demenzrisiko neu bewertet werden: Vieles spricht mittlerweile dafür, dass solche Faktoren primär die vaskulären Risiken beeinflussen, und weniger das Ausmaß der Amyloidablagerung. Die Amyloiddeposition scheint zu einem größeren Teil genetisch bedingt zu sein, als dies bislang angenommen wurde. Solche Zusammenhänge werden erkennbar, seit es dank Amyloid-PET und Liquortests möglich ist, den Verlauf der Alzheimerpathologie bei zunächst noch kognitiv gesunden Personen nachzuvollziehen. Vaskuläre Faktoren haben kaum Einfluss auf Amyloiddeposition Vemuri und Mitarbeiter versuchten anhand der Mayo-Clinic-Studie den Einfluss der einzelnen Risikofaktoren untereinander zu verknüpfen. Dabei konnten sie nur für einen einzigen vaskulären Risikofaktor auch einen Zusammenhang mit Amyloidablagerungen nachweisen: für eine Dyslipidämie. Hohe Cholesterinspiegel fördern offenbar die Amyloiddeposition und damit den Alzheimerprozess. Das ist insofern nicht erstaunlich, als auch der wichtigste genetische Risikofaktor für sporadischen Morbus Alzheimer, die Variante 4 für Apolipoprotein E (ApoE4), im Lipidstoffwechel von großer Bedeutung ist. Hier scheint es also eine Verbindung zwischen einem modifizierbaren vaskulären Risikofaktor und der Alzheimerpathologie zu geben. Für alle anderen Faktoren wie körperliche Inaktivität, Adipositas, Rauchen, Diabetes und Hypertonie hingegen nicht. Solche vaskulären Risikofaktoren gehen nach den Mayo-Daten zwar mit einer erhöhten Rate für kognitiven Abbau und Neurodegeneration einher, beeinflussen die Amyloiddeposition aber nicht signifikant, erläuterte Vemuri. Selbst dann, wenn sämtliche kardiovaskuläre Risikofaktoren zusammengefasst werden, zeigt sich kein Einfluss auf die Amyloidpathologie, aber ein hochsignifikanter Zusammenhang mit der Neurodegeneration. Empfehlung der Redaktion Demenz – Themenseite Wie therapiert man Alzheimerpatienten leitliniengerecht? Warum sind "keiner" und "nein" bei Dementen tabu? Und was tut sich in der Alzheimertherapie-Forschung? Antworten gibt die Themenseite Demenz. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. Ähnliches gilt für die Ablagerung von Tauprotein. Diese scheint im räumlich-zeitlichen Verlauf vor allem durch die Amyloiddeposition und andere altersbedingte Prozesse getriggert zu werden, kaum aber durch vaskuläre Faktoren. Für Vemuri deuten Amyloid und Tau einerseits sowie vaskuläre Faktoren andererseits auf unterschiedliche Wege der Neurodegeneration. In ähnlicher Weise ergaben Untersuchungen zur kognitive Aktivität im Laufe des Lebens keinen spürbaren Einfluss auf die Amyloiddeposition – Personen mit hohem verbalem IQ lagern ähnlich viel und rasch Beta-Amyloid im Gehirn ab wie solche mit niedrigem IQ, allerdings macht sich der kognitive Abbau bei ihnen erst viel später bemerkbar. Die Hypothese von der „kognitiven Reserve“ wird durch die Resultate der Mayo-Studie also unterstützt. Mindern vaskuläre Risiken die „strukturelle Reserve“? Analog dazu könnten vaskuläre Risikofaktoren vor allem die „strukturelle Reserve“ mindern und darüber das erhöhte Demenzrisiko erklären. Daten dazu kommen aus der Langzeituntersuchung „Insight 46“ mit Briten des Jahrgangs 1946 [2]. Bei diesen wird seit dem 36. Lebensjahr regelmäßig der Blutdruck gemessen. Da eine Hypertonie zu den wichtigsten vaskulären Faktoren für eine Demenz zählt, hat ein Team um Dr. Christopher Lane vom University College in London die Blutdrucktrajektorien von 238 Teilnehmern analysiert, die sich im Alter von 70 Jahren einer strukturellen MRT sowie einer Amyloid-PET unterzogen hatten. Die Teilnehmer waren zu diesem Zeitpunkt mit einem durchschnittlichen MMSE-Wert von 29 Punkten noch kognitiv unauffällig, knapp zwei Drittel hatte eine Hypertonie und sechs von sieben eine Hypercholesterinämie; 18% wiesen im PET erhöhte Amyloidwerte auf. Im Schnitt war bei den Teilnehmern im Zeitraum von 36–53 Jahren der systolische Druck um 10 mmHg gestiegen, der diastolische um 5 mmHg. Der systolische Druck blieb anschließend über zehn Jahre hinweg konstant und fiel dann leicht ab. Der diastolische Druck sank jedoch im Alter von 53–70 Jahren deutlich um etwa 10 mmHg. Nach den Resultaten, die Lane auf dem Kongress vorgestellt hat, ergab sich keinerlei Zusammenhang zwischen Blutdruck zu irgendeinem Zeitpunkt oder zwischen Blutdruckverlauf und Amyloidlast im Alter von 70 Jahren. Patienten mit hohem Blutdruck im mittleren Alter hatten mit 70 Jahren also nicht mehr Amyloid im Hirn als solche mit normalen Blutdruckwerten. Auch ging ein deutlicher Blutdruckanstieg nicht mit einer vermehrten Amyloidablagerung einher. Wenn eine Hypertonie also das Demenzrisiko erhöht, dann nicht über den Amyloidpfad. Hoher Blutdruck mit 50, ausgeprägte Hirnatrophie mit 70 Dass eine Hypertonie das Hirn trotzdem schädigen könnte, lässt sich jedoch anhand der strukturellen MRT-Resultate ablesen. So hatten Personen mit hohem Blutdruck im mittleren Lebensalter vermehrt eine Leukoaraiose im Alter von 70 Jahren. Eine solche deutet auf Schädigungen der weißen Substanz und geht mit einem zwei- bis dreifach erhöhte Schlaganfall- und Demenzrisiko einher. Ebenso konnten die Forscher um Lane solche Veränderungen gehäuft bei Personen nachweisen, die im Alter zwischen 40 und 50 Jahren einen ausgeprägten systolischen oder diastolischen Blutdruckanstieg zeigten. Ähnliche Zusammenhänge fanden sie mit dem Gesamthirnvolumen und dem Hippocampusvolumen: Je höher der Blutdruck oder der Blutdruckanstieg im mittleren Lebensalter, umso geringer die jeweiligen Volumina. Das beweist natürlich nicht, dass ein erhöhter Blutdruck auch tatsächlich zu solchen Veränderungen führt – die Daten liefern jedoch ein plausibles Modell, auf welche Weise vaskuläre Faktoren dem Gehirn schaden und eine Demenz begünstigen könnten. In eine ähnliche Richtung weist eine neue Auswertung der Framingham-Studie mit Blick auf vaskuläre Risiken insgesamt: Danach geht vor allem eine hohe Prävalenz solcher Risikofaktoren im mittleren Lebensalter und weniger danach mit einer Hirnatrophie im fortgeschrittenen Alter einher. „Ärzte sollten bei älteren Menschen eher nach vaskulären Risiken in der Vergangenheit und weniger in der Gegenwart fragen, wenn sie die Wahrscheinlichkeit für eine vaskulär bedingte Neurodegeneration abschätzen wollen“, erläuterte Dr. Matthew Pase von der Universität in Hawthorn, Australien, auf dem Kongress [3]. Wenn nun vaskuläre Faktoren nichts mit der Alzheimerpathologie zu tun haben und eine Demenz vor allem über strukturelle Hirnschädigungen begünstigen, so bleibt natürlich die Frage, was die Alzheimerpathologie – sprich die Amyloidablagerung – antreibt. Nach den Daten der Mayo-Studie korreliert die Amyloiddeposition im Wesentlichen mit zwei Faktoren: dem Alter und dem ApoE-Status. 80-Jährige mit zwei ApoE2-Allelen hatten PET-Daten zufolge keine Amyloidplaques im Gehirn, bei solchen mit zwei ApoE4-Allelen war das Gehirn mit 80 Jahren hingegen Amyloid-gesättigt. Bei nur einem ApoE4-Allel zeigten 80% der 80-jährigen erhöhte Amyloidwerte, unabhängig davon, ob daneben ein E3- oder E2-Allel vorlag. Am häufigsten in der Bevölkerung kommt jedoch die Kombination E3/E3 vor. Von solchen Personen sind in der Bevölkerung mit 80 Jahren etwa 40% Amyloid-positiv. Der ApoE-Status ist neben dem Alter sicher nicht der einzige relevante Faktor für die Amyloidablagerung, aber vielleicht der wichtigste. Danach wären die Chancen, die Alzheimerpathologie durch Lebensstilmodifikationen zu bremsen, wohl eher gering. Ist eine Alzheimerdemenz also vor allem Schicksal? Das hängt in erster Linie davon ab, wie man Morbus Alzheimer definiert. Bei den meisten Demenz- und damit auch Alzheimerkranken dürfte sowohl eine vaskuläre als auch eine amyloidbedingte Pathologie am Werke sein. Morbus Alzheimer nur über die Amyloidpathologie zu definieren, würde dann zu kurz greifen, da diese nur einen Teil der klinisch manifesten Demenz bedingt. Werden jedoch auch vaskuläre Faktoren einbezogen, dann stimmt das Bild wieder, das sich aus vielen Langzeitstudien ergibt: Morbus Alzheimer lässt sich danach zu rund 50% über modifizierbare Risikofaktoren erklären. Die übrigen 50% könnten in naher Zukunft durch Anti-Amyloid-Therapien zurückgedrängt werden. Eine wirksame Alzheimerprävention müsste dann beides enthalten: den Schutz vor pathogenem Beta-Amyloid und vor vaskulären Schäden. Letzteres ist immerhin heute schon möglich. basierend auf: Alzheimer’s Association International Conference (AAIC), Chicago, July 22.-26. [1] Vemuri P. AD Biomarker Epidemiology in the Aging Population: Prevalence‚ Risk Factors‚ and Outcomes. Plenary Session, 26.7.2018. [2] Lane CA, Abstract 23210: Influences of Blood Pressure and Blood Pressure Trajectories on Cerebral Pathology at Age 70 – Results from a British Birth Cohort. Symposium Epidemiology: Early and Midlife Influences on Late-life Dementia, 23.7.2018. [3] Pase M., Abstract 21279: Impact of Age on the Association between Vascular Risk Factor Burden and Brain Volume. Symposium Epidemiology: Early and Midlife Influences on Late-life Dementia, 23.7.2018. Alle Berichte vom Alzheimer-Kongress 13.08.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Alzheimer-Bluttest nimmt Gestalt an 18.08.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Phase-II-Studien lassen auf neue Alzheimermittel hoffen 14.08.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Sport bremst, Stress fördert eine Demenz 07.08.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Bluthochdruck fördert Demenz, aber nicht direkt Alzheimer 15.08.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Mit „Swab-Partys“ und einer nationalen Strategie gegen Alzheimer 16.08.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Intensive Blutdrucksenkung reduziert Demenzrisiko 06.08.2018 | Demenz | Nachrichten Studie legt nahe: Fernsehen lässt das Hirn schneller schrumpfen 27.07.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Schwangerschaften scheinen vor Alzheimer zu schützen 29.07.2018 | AAIC 2018 | Nachrichten Leber und Darm gesund – seltener Demenz?

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