06.09.2016 | Anaphylaxie | Leitthema
„Iodallergie“
Ein medizinischer Mythos mit Risiken für den ophthalmologischen Patienten
Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 12/2016
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Hintergrund
Eine präoperative Desinfektion mit Povidon-Iod führt bei intraokulären Operationen und intravitrealen Injektionen zu einer signifikanten Reduktion des Risikos einer postoperativen Endophthalmitis und eines resultierenden irreversiblen Visusverlustes. Trotzdem wird häufig auf diese wichtige Maßnahme verzichtet, wenn eine sog. „Iodallergie“ angenommen wird. Wir analysieren die physiologische und allergologische Basis des Konstrukts der „Iodallergie“.
Methoden
Der Arbeit liegt eine selektive Literaturrecherche zu dem Suchbegriff „Allergie“ in Kombination mit „Iod“, „Povidon“, „Indocyaningrün“, „Röntgenkontrastmittel“ oder „Meeresfrüchte“ zugrunde.
Ergebnisse
Iod ist ein chemisches Element und ein essenzieller Bestandteil des menschlichen Körpers. Ein wissenschaftlicher Nachweis für die Existenz einer antikörpervermittelten allergischen Reaktion (Typ-I-Reaktion) und insbesondere einer Immunglobulin (Ig)-E-vermittelten Anaphylaxie gegen Iod fehlt. Durch iodhaltige Desinfektionsmittel ausgelöste chemische Reizungen und Kontaktallergien (Typ-IV-Reaktion) sind nicht antikörpervermittelt und führen nicht zu einer Anaphylaxie (Typ-I-Reaktion). Die seltenen antikörpervermittelten Allergien gegen iodhaltige Desinfektionsmittel, Fluoreszenzfarbstoffe, Röntgenkontrastmittel oder Meeresfrüchte richten sich nicht gegen das enthaltene Iod selbst, sondern gegen andere Bestandteile der jeweiligen Formulierung. Allergische Kreuzreaktionen zwischen diesen unterschiedlichen Substanzgruppen sind deshalb nicht zu erwarten.
Schlussfolgerung
Die sog. „Iodallergie“ ist ein medizinischer Mythos ohne wissenschaftliche Grundlage, der nicht zu einer Gefährdung des Patienten durch eine unterlassene präoperative Desinfektion führen sollte.
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