Profitieren Patienten mit Niereninsuffizienz und Vorhofflimmern eher von den direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) oder vom Klassiker Warfarin? Die aktuelle Datenlage war Anlass zu einer Pro-und Kontra-Session auf dem diesjährigen Nephrologenkongress.
Paradoxe Gerinnung
Bei Niereninsuffizienz findet sich ein Gerinnungsparadoxon: Aufgrund der urämischen Störung der Thrombozytenfunktion ist die Blutungsneigung gesteigert. Gleichzeitig besteht aber ein erhöhtes Embolierisiko. Die Urämie inhibiert die Aktivierung der endogenen Thrombolyse. Dies muss bei der Auswahl des geeigneten Antikoagulans bei niereninsuffizienten Patienten mit Vorhofflattern oder Flimmern mit ins Kalkül einbezogen werden.
Kalzifizierung
PD Dr. Georg Schlieper (Hannover) befürwortet in dieser Situation den Einsatz der DOAKs. Er begründet dies mit der ausgeprägten Kalzifizierungstendenz, die bei niereninsuffizienten Patienten nur unter Warfarin beobachtet wird. Diese vaskulären Veränderungen potenzieren zusätzlich das Embolierisiko. Seine Präferenz für die DOAKs wird durch die Studienlage substanziiert. Demnach hätten bei der Indikation Embolieprophylaxe und Niereninsuffizienz bis zum Stadium III die DOAKs bereits ihre Überlegenheit gegenüber Warfarin gezeigt.
Meta-Analyse
Der Hannoveraner Experte verweist hier auf eine aktuelle Cochrane-Meta-Analyse [1]. Sie zeigt, dass der DOAK-Einsatz das Embolierisiko, gegenüber Warfarin, deutlich senkt (RR 0,81). Zusätzlich imponiert eine verminderte Gefährdung durch schwere Blutungen (RR 0,79). Es fällt vor allem das reduzierte Risiko für intrazerebrale Blutungen auf. Verglichen mit Warfarin ist es bei NOAKs mehr als halbiert (RR 0,43). Ein echtes Problem sind für Schlieper dagegen die unter den DOAKs vermehrt auftretenden gastrointestinalen Blutungen (RR 1,4). Diese spezielle Blutungskomplikation hält er aber für im Prinzip beherrschbar. Deshalb zeigt sich bei den DOAKs in der Cochrane-Analyse auch keine Mortalitätsdifferenz gegenüber Warfarin.
CKD IV kritisch
Zurückhaltung ist für Schlieper beim Stadium IV der Niereninsuffizienz geboten. Hier hält er die Datenlage für zu dünn. Noch offen ist in diesem Zusammenhang die Nutzenbewertung von Apixaban bei dialysepflichtiger terminaler Niereninsuffizienz [2]. Hier wird klinisch gerade eine Dosisadaptierung geprüft. Erste Daten zeigen, dass dieses Regime, im Vergleich zu Warfarin, sowohl die Schlaganfallinzidenz, als auch die Rate der intrazerebralen Blutungen vermindert.
Unkalkulierbare Pharmakodynamik
Prinzipiell kritisch bewertet dagegen Professor Dr. Renke Maas (Erlangen) den Einsatz der DOAKs bei einer Niereninsuffizienz. Er verweist darauf, dass diese Patienten per se ein erhöhtes Blutungsrisiko aufweisen. Hier ist eine differenziertere Bewertung gefragt, die die Balance zwischen therapeutischem Nutzen und zusätzlicher, exogener Blutungsgefährdung herstellt. Da bei Niereninsuffizienz die effektiven Wirkspiegel der DOAKs aber extrem schwanken, fällt die individuelle Risikoabwägung besonders schwer.
Falsche GFR-Formel
Tatsächlich finden sich hier Differenzen der gemessenen Talspiegel, die um den Faktor fünf divergieren [3]. Erhöhte individuelle Wirkspiegel korrelieren aber deutlich mit dem Blutungsrisiko, gibt Maas zu bedenken. Zusätzlich potenziert wird diese Gefährdung, wenn die DOAK-Dosis nicht adäquat an die Nierenfunktion angepasst wird. Ein realistisches Problem, denn in den Studien wird die GFR meist nach Cockcroft-Gault berechnet. Verlässt sich der Kliniker aber auf die Routine-GFR aus dem Labor (z.B. MDRD), dann sind Überdosierungen vorprogrammiert.
Plazebokontrolle fehlt
Der Erlanger Pharmakologe verweist zudem auf ein grundsätzliches Problem: Bisher wurden die DOAKs wie selbstverständlich immer nur mit Warfarin verglichen, nie mit Plazebo. Dabei ist bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz völlig unklar, ob Warfarin überhaupt eine wirksame Embolieprophylaxe darstellt. Eine Vermutung, für die es durchaus empirische Belege gibt [4]. Der reine Vergleich von Warfarin mit DOAK ist demnach inadäquat. Was fehlt, sind plazebo-kontrollierte Studien, die Warfarin und DOAK gegenüberstellen. Ein solches Studiendesign wäre heute noch, unter Einhaltung der ethischen Regeln, durchaus vertretbar. Nur so ließe sich endgültig klären, welchen Nutzen und welches Gefährdungspotenzial der Einsatz von DOAKs bei Niereninsuffizienz mit sich bringt.
Basierend auf: Pro/Con-Diskussion ”NOAKs bei CKD”; 10. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, 27. - 30. September 2018 in Berlin