Fallbericht: Wahnhafte Störung oder psychotischer Wahn?

Ein Mann, glaubt, er würde von der Regierung mit Mikrowellen bestrahlt, er startet eine Plakataktion, beschimpft Beamte, bis die Situation eskaliert. In der Vergangenheit entwickelte er immer wieder bizarre Vorstellungen. Doch hat er wirklich eine Psychose? Als die Polizei tatsächlich kommt, um Michael A. aus dem Verkehr zu ziehen, ist er gut vorbereitet. Die Tür hat er verbarrikadiert, 15 mit Benzin gefüllte Flaschen liegen als Molotow-Cocktails bereit. Während ein Handwerker das Türschloss aufbohrt, gießt er Benzin unter den Türspalt und zündet es an – die Polizei weicht zurück. Nach langen Gesprächen gibt er aber schließlich auf. Grund für die Eskalation ist A.’s Überzeugung, er werde von einem Geheimdienst mit Mikrowellen bestrahlt und gefoltert, erläuterte der forensische Psychiater Professor Hans-Ludwig Kröber von der Charité Berlin. A. hat zuvor angeblich 11.000 Haushalte und Ärzte angeschrieben sowie eine Plakataktion initiiert um auf die „Gräueltaten“ der „Nazi-Regierung“ aufmerksam zu machen. Nachdem er mehrere Behörden mit Beschimpfungen und Drohungen überschüttet und auch einer Frau droht, die ihn verlassen hat, wird die Justiz aktiv und veranlasste ein Strafverfahren. Statt zur Hauptverhandlung zu kommen, beschimpft er in einem Brief die Richterin wüst als „Nazi-Abschaum“ und droht ihr, sie beim kommenden Bürgerkrieg aufzuknüpfen. Für die Psychiater habe sich nun die Frage gestellt, so Kröber auf dem DGPPN-Kongress, ob der Patient an einer Schizophrenie leide oder an einer anderen Störung. Folter durch „Chemtrails“ und Impfungen Auffällig wird A. erstmals bei der Bundeswehr. Dort hat er sich für vier Jahre verpflichtet, fühlt sich aber bald von seinen Kameraden verfolgt und gemobbt, spricht von einer „Hexenjagd“ auf ihn. Er kommt mit Verdacht auf Schizophrenie in ein Bundeswehrkrankenhaus, dort erkennen die Ärzte aber keine Psychose. Sie können ihn jedoch stabilisieren, er führt seinen Dienst zu Ende, seine Zeit wird aber nicht verlängert. A. macht eine Umschulung zum Industriekaufmann, hat aber erneut Probleme und arbeitet für einen Sicherheitsdienst, will jedoch einige Jobs nicht übernehmen, weil sie ihm zu gefährlich sind – etwa die Bewachung eines Juwelierladens. Nach weiteren Krisen bezieht er dann Hartz IV. In den folgenden Jahren beschäftigt er sich mit Esoterik und Parapsychologie, schreibt zwei Bücher im Selbstverlag. 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Auch glaubt er, Geheimdienste könnten Mikrochips ins Auge einpflanzen und dadurch die Umgebung wahrnehmen. Er behauptet zudem, er könne die Zukunft sehen und die Gedanken andere Menschen lesen. Der psychotische Wahn braucht keine Internet-Experten Solche bizarren Vorstellungen legten einen gewissen Verdacht auf eine Psychose nahe, so Kröber. Doch bei der psychiatrischen Untersuchung in U-Haft wirkt A. geordnet und frei von formalen Denkstörungen, er kann sehr engagiert und eloquent seine „Erkenntnisse“ vortragen, wirkt keineswegs schrullig, ist aber Gegenargumenten nicht zugänglich. Gegen einen psychotischen Wahn spricht auch, dass seine Überzeugungen auf „Experten“ im Internet beruhen – er nennt dem Psychiater die entsprechenden Seiten und fordert ihn auf, dort nachzulesen. „Schizophreniekranke brauchen dagegen keine Gewährsleute im Internet, für sie sind die Sachverhalte auch so evident. Der schizophrene Wahn ist kein unverbrüchlicher fester Glaube, er ist zweifelsfreies Wissen.“ Daher würden Schizophreniekranke nicht im Internet nach einer Bestätigung ihrer Theorien suchen. Während der Unterbringung verhält sich A. höflich und unauffällig, solange man nicht auf seine Lieblingsthemen zu sprechen kommt, auch fehlt die Wahnwahrnehmung: Bei einem psychotischen Wahn wird in der Regel einer banalen Alltagssituation eine existenzielle Relevanz gegeben: Drei Autos fahren dicht hintereinander vorbei – das ist eine Botschaft speziell für den Betroffenen. Dagegen hat A. die Bedrohungen wohl nicht sinnlich erfahren – sie haben bei ihm eher ideologischen Charakter: Er sieht sich als Kämpfer gegen eine mit Lug und Trug agierende Obrigkeit. Ob A. die Schmerzen der „Bestrahlung“ tatsächlich erlebt habe, sei zu bezweifeln, vermutlich handle es sich hier nur um hypochondrisch überbewertete normale Missempfindungen, so Kröber. Aufgrund fehlender Erstrangsymptome wie kommentierende Stimmen und Fremdbeeinflussungserleben sowie einem formal geordneten Denken attestieren die Ärzte A. schließlich eine wahnhafte Störung, aber keine Psychose. Für die Beurteilung der Schuld- und Einsichtsfähigkeit bei einer Straftat ist diese Unterscheidung ebenfalls sehr wichtig. So mag zwar die Schuldfähigkeit bei einer wahnhaften Störung eingeschränkt sein – dies müsse man im Einzelfall beurteilen –, aber nicht die Einsichtsfähigkeit: Die Betroffenen wissen, dass sie gegen Normen verstoßen, nehmen für sich aber in Anspruch, aufgrund höherer Ziele diese zu negieren. „Eine fehlende Akzeptanz der Normen ist keine Störung der Einsichtsfähigkeit“, so Kröber. Bei Schizophreniekranken sei dies jedoch anders: „Sie sind aus der Welt der Normen herausgefallen. Für sie gibt es keine Alternative zur Tat – sie muss sein.“ A. wird schließlich auch ohne Psychose in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht. Aufgrund seiner wahnhaften Störungen sei zu erwarten, dass er sich auch weiterhin nicht an die geltenden Normen halte und Gewalttaten verursache. Empfehlung der Redaktion Berichte vom hybriden DGPPN-Kongress Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress 2021 Warum sind Wut, Neid und Eifersucht zu Unrecht verpönt? Wie ist das Intensivpersonal psychisch durch die Pandemie gekommen? Und was haben Personen, die an einer Paranoia leiden und Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, gemeinsam? In unserem Dossier finden Sie unsere Highlights vom DGPPN-Kongress. basierend auf: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin und virtuell, 24.11.– 27.11.2021. Symposium S-085: Verschwörungstheorien, paranoides Denken und Wahn. Hans-Ludwig Kröber: Verschwörungswahnideen versus Schizophrenie.

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