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Die Urologie
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Publiziert am: 18.02.2023

Lage- und Verschmelzungsanomalien der Nieren

Verfasst von: Hanna Richter-Simonsen, Silke Riechardt und Margit Fisch
Eine außerhalb der normalen Position befindliche Niere wird als Nierendystopie oder Nierenektopie bezeichnet (Beckenniere, thorakale Niere). Eine gekreuzte renale Ektopie liegt vor, wenn der Ureter zum Ostium der Gegenseite kreuzt. Hierbei wird die Mittellinie überquert. In 90 % der Fälle besteht dabei eine zusätzliche Fusionsanomalie mit der ipsilateralen Niere (S-Niere, L-Niere); cave: abnormale Gefäßversorgung. Eine Fusion ohne Ektopie stellt z. B. die Hufeisenniere oder Kuchenniere dar. In der Diagnostik steht die Sonografie an vorderster Stelle. Zusätzliche Untersuchungen wie Nierenfunktionsprüfung oder MRT können je nach Symptomatik erforderlich sein.

Nierendystopie

Definition

Die regelrechte retroperitoneale Position der Nieren wird in etwa auf Höhe des 12. Brustwirbelkörpers bis zum 2. Lendenwirbelkörper beschrieben. Befinden sich nun die Nieren außerhalb dieses umschriebenen Gebietes, so spricht man von einer Nierendystopie/-ektopie. Liegt die Niere unterhalb des 2.–3. Lendenwirbelkörpers, so liegt definitionsgemäß eine tiefe Nierendystopie vor. Hierzu gehört auch die Beckenniere, bei der der Nierenhilus ventral zu finden ist. In diesem Fall rotiert die Niere erst bei vollständigem Erreichen der endgültigen lumbalen Position. In 50 % der Fälle findet sich hierbei eine ebenfalls abnorme Lage der kontralateralen Seite (Malek et al. 1971). Assoziierte Fehlbildungen des Skeletts oder des Urogenitaltraktes sind keine Seltenheit (Malek et al. 1971). Eine weitere Besonderheit ist hierbei die Gefäßversorgung. Die dystope Niere wird aus Gefäßen versorgt, welche auf gleicher Höhe des Organs liegen. Oft spielen A. iliaca interna, distale Aorta, die Bifurkation und die A. mesenterica inferior eine Rolle. Eine Beckenniere wird durch eine oder mehrere aberrierende Gefäße versorgt (siehe auch Kap. „Embryologie des Urogenitalsystems“). In seltenen Fällen findet sich eine Niere oberhalb des Zwerchfells. Dann wird von einer thorakalen renalen Ektopie gesprochen.

Epidemiologie

Die Beckenniere wird mit einer Inzidenz zwischen 1:2100 und 1:3000 Geburten angegeben. Die thorakale renale Ektopie ist im Vergleich hierzu deutlich seltener anzutreffen.

Ätiologie und Pathogenese/Pathophysiologie

In der regelrechten embryonalen Entwicklung bestimmt der Aszensus des metanephrogenen Blastems in der 5.–7. Schwangerschaftswoche die endgültige Lage der Niere. Kommt es zu einem Stopp dieses Aszensus, so resultiert hieraus die veränderte Position der Niere. Aus diesem Grund spricht man von einer angeborenen Nierenfehllage. Unklar ist hingegen die Ätiologie der thorakalen renalen Ektopie. Hierbei sind zwei Theorien wahrscheinlich. Zum einen wird ein verspätetes Verschließen des Diaphragmas für einen verstärkten renalen Aszensus verantwortlich gemacht, zum anderen kann ein Aszendieren der Niere vor Verschluss der Pleuroperitonealkanäle angenommen werden.

Symptome

In 50–60 % der Fälle bleibt eine Nierendystopie symptomlos. Allerdings kommt es bei dieser Art der Nierenfehlanlage gehäuft zu Steinbildungen. Ein hoher Ureterabgang und/oder kreuzende Gefäße führen oft zu einer Obstruktion, welche von einer Dilatation, die von einem Reflux, einer Dysmorphie oder Malrotation hervorgerufen werden kann, abzugrenzen ist (Downs et al. 1973). In 15 % der Fälle werden ebenfalls Fehlbildungen der Genitalorgane beobachtet. Bei Mädchen kann es zu Uterus- und Vaginalfehlbildungen und bei Jungen zu Kryptorchismus, Urethraduplikatur oder Hypospadie kommen.

Diagnostik

Eine angeborene Nierenanomalie wird in der Regel primär durch eine sonografische Untersuchung festgestellt. Hierbei lässt sich die Lage der Niere meist schnell und sicher bestimmen. Findet sich keine Niere in orthotoper Lage, kann eine weiterführende Diagnostik mit z. B. MRT oder Szintigrafie eingeleitet werden, falls die Eltern das wünschen. Auch bei symptomatischen Nierendystopien empfiehlt sich eine weiterführende Diagnostik. Bei rezidivierenden fieberhaften Harnwegsinfektionen kann ein Miktionszystourethrogramm wegweisende Aussagen liefern. Zur Funktionsbeurteilung der Niere liefert ein DMSA-Szintigramm weiterführende Ergebnisse, bei der Frage nach einer Obstruktion kann eine MAGIII Szintigrafie weiterhelfen (s. Kap. „Spezifische Diagnostik in der Kinderurologie“). Das i. v. Urogramm ist heutzutage obsolet und durch die MRT komplett ersetzt worden.

Differenzialdiagnose

Bei Fehllage der Niere im Beckenbereich muss die Nierendystopie von der Nierenptose unterschieden werden. Hierbei handelt es sich um eine atypische Beweglichkeit der Nieren. Sie wird auch als Senkniere oder Ren mobilis bezeichnet. Häufig wird diese Form der Niere bei sehr schlanken Personen vorgefunden, da fehlender intraabdominaler Druck zu einem Herabgleiten der Nieren führen kann. Von einer Nierendystopie kann die Senkniere durch eine Ultraschalluntersuchung im Liegen und im Stehen unterschieden werden. Im Vergleich zur dystopen Niere bezieht die Senkniere ihre Blutversorgung regelhaft aus den Nierengefäßen. Eine thorakale Niere kann mit einer Zwerchfellhernie verwechselt werden, wobei hierbei häufig weitere abdominale Organe in der Brusthöhle aufzufinden sind.

Therapie

Eine Therapie ist bei der asymptomatischen Nierendystopie nicht notwendig. Anders verhält es sich bei symptomatischem Geschehen oder assoziierten Fehlbildungen (z. B. Reflux, Abflussbehinderungen). Die Therapie richtet sich hierbei nach der Anatomie und der Ursache der Symptomatik. In der Regel sind vor allem bei Steingeschehen minimalinvasive Therapiemöglichkeiten trotz dystoper Lage möglich.

Nachsorge

Es werden zunächst jährliche sonografische Kontrollen empfohlen, bei gutem Wachstum können die Kontrollen symptomorientiert gemacht werde. Weitere Diagnostik sollte je nach Beschwerdebild oder Befundwandel durchgeführt werden.

Nierenektopie und Fusion

Definition

Bei der gekreuzten renalen Ektopie werden nach McDonald und McClellan (McDonald et al. 1957) 4 Subtypen unterschieden (Abb. 1).
  • gekreuzte Ektopie mit Fusion,
  • gekreuzte Ektopie ohne Fusion,
  • solitäre Ektopie,
  • bilaterale gekreuzte Ektopie.
In allen Fällen liegt hier aber die Niere auf der kontralateralen Seite in Bezug zur Uretermündung in die Harnblase. Der Harnleiter kreuzt über die Mittellinie. In 90 % der Fälle kann eine Fusionsanomalie mit der ipsilateralen Niere beobachtet werden. Am häufigsten findet sich mit 90 % die gekreuzte Ektopie mit Fusionsanomalie mit der Niere der gleichen Seite (Baggentoss 1951; Fisch 2012). Beide Nieren zeigen in der Regel eine atypische Gefäßversorgung.
Die Art der Fusion beider Nieren wird weiter unterschieden in:
  • untere Ektopie,
  • S-Niere,
  • L-Niere,
  • Hufeisenniere,
  • Kuchenniere.
Von einer unteren Ektopie spricht man, wenn der Oberpol der ektopen Niere mit dem Unterpol der ipsilateralen normalen Niere verschmilzt. Dies kommt in 2/3 aller Fusionsanomalien vor. Eine S-Niere liegt vor, wenn die einander zugewandten Pole in einer longitudinalen Achse miteinander verschmolzen sind. Die Nieren stehen hierbei übereinander. Bei der L-Niere kommt die gekreuzte Niere horizontal zu der normalen Niere zu liegen. Die Pole sind hierbei ebenfalls verschmolzen.
Eine gesonderte Stellung nimmt eine Nierenfusionsanomalie ohne Ektopie ein. Diese stellt sich in 90 % der Fälle als Hufeisenniere dar. Am häufigsten zeigt sich die Hufeisenniere mit einer Fusion beider Unterpole. Nur in 5 % der Fälle wird eine Fusion der Oberpole beschrieben. Zumeist besteht die Fusionsstelle aus funktionalem Nierenparenchym. Das Nierenbecken zeigt bei der Unterpolfusion nach ventral. Die Ureteren kreuzen die Fusionsbrücke ebenfalls ventral. Eine einheitliche Gefäßversorgung der Hufeisenniere konnte nicht beschrieben werden, da sich hier multiple Variablen zeigten (Graves 1969). Zumeist wird jede Niere durch eine Arterie versorgt und die Parenchymbrücke ebenfalls durch diese mitversorgt. Oft kommt es allerdings zu einer Mitversorgung durch Äste der großen umliegenden Gefäße wie der Aorta oder der A. mesenterica inferior (siehe auch Kap. „Embryologie des Urogenitalsystems“). Des Weiteren wurde eine vollständige Versorgung der Hufeisenniere vom Isthmus aus beobachtet.
Als Kuchenniere wird eine vollständige Fusion beider parallel liegender Nieren bezeichnet, bei der die Nierenbecken nach ventral gerichtet sind. Sowohl hierbei als auch bei der Hufeisenniere sind weitere schwere Anomalien und Fehlbildungen des gesamten Urogenitaltraktes ebenfalls keine Seltenheit.

Epidemiologie

Eine Nierenektopie kommt mit einer Inzidenz von 1:3000 bis 1:7500 vor. Damit stellt diese Anomalie eine der seltensten Anomalien des oberen Harntraktes dar. Das männliche Geschlecht ist häufiger betroffen (Fisch 2012). Eine Anomalie, welche die linke Körperseite betrifft, kommt ebenfalls 2- bis 3-mal häufiger vor als eine der rechten Körperhälfte.
Eine Hufeisenniere wird mit einer Inzidenz von 1:400 deutlich häufiger beschrieben. Dies zeigte eine Analyse, in der bei 474 durchgeführten computertomografischen Untersuchungen jeweils eine Hufeisenniere dargestellt werden konnte.

Ätiologie und Pathogenese/Pathophysiologie

Eine Erklärung für die gekreuzte Ektopie ist ein Zusammenheften beider Nieren während der Embryonalphase im Becken. Beim Aszensus soll es laut dieser Theorie zu einem Zug der ektopen Niere auf die Gegenseite kommen. Eine andere Theorie erklärt sich die Fehllage mit einer Gefäßanomalie, welche die Ektopie induziert (siehe auch Kap. „Embryologie des Urogenitalsystems“). Des Weiteren könnte eine Ureterknospe für das mesonephrogene Blastem der Gegenseite eine Fehllage bewirken. Dies wird vor allem für das Entstehen der Kuchenniere angenommen. Dennoch bleibt die Ursache für eine Ektopie der Gegenseite unklar. Aufgrund einer erhöhten Inzidenz von Skelettanomalien wird ebenfalls angenommen, dass ein teratogener Faktor für die Fehlentwicklung beider Systeme ursächlich sein könnte. Sowohl assoziierte Anomalien wie orthopädische und Genitalanomalien als auch Analatresien und Herzseptumdefekte wurden ebenfalls beschrieben (Fisch 2012). Allerdings kommen diese mit einer prozentualen Wahrscheinlichkeit von bis zu 4–5 % deutlich seltener vor.
Eine Fusion der metanephrogenen Blasteme in den ersten Schwangerschaftsmonaten ist ursächlich für die Entstehung von Hufeisennieren. Hierbei kommt es zu Verwachsungen beider metanephrogenen Gewebe und eine Rotation und normale Aszension wird verhindert. In einem Drittel der Fälle finden sich weitere Anomalien. Auch hier wurden vor allem Anomalien des skelettalen und kardiovaskulären Systems beobachtet. Außerdem sind Anomalien des gesamten Urogenitaltraktes keine Seltenheit (Boatman et al. 1972). In der Vergangenheit wurde ebenfalls ein vermehrtes Auftreten von Neoplasien wie Wilms-Tumoren, Angiomyolipomen, Teratomen, Nierenzell- und Urothelkarzinomen beschrieben (Fisch 2012).

Symptome

Auch bei den gekreuzten Nierenektopien bleibt die Mehrzahl der Patienten asymptomatisch und wird vermehrt zufällig detektiert. Häufige Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Flankenschmerzen sind meist nicht wegweisend, da sie oft unspezifisch und meist nicht der betroffenen Seite zuzuordnen sind. Hämaturien, Harnwegsinfektionen und dysurische Beschwerden werden in 20–30 % der Fälle beschrieben (Fisch 2012). Reflux, Nephrolithiasis und Harnstauungsnieren wurden ebenfalls bei gekreuzten Nierenektopien gesehen.
In 80 % der Fälle zeigt eine Hufeisenniere eine Dilatation des oberen Harntraktes (Fisch 2012). Trotzdem bleiben diese Patienten in bis zur Hälfte der Fälle asymptomatisch. Alle anderen berichten häufig über rezidivierende Flankenschmerzen oder lumbale Beschwerden, welche durch einen hohen Ureterabgang oder eine obstruierende Gefäßkreuzung hervorgerufen werden können. Aus einem verminderten Abfluss können hier ebenfalls Steine entstehen.

Diagnostik

Die sonografische Untersuchung in der Hand des erfahrenen Untersuchers hat eine hervorgehobene Rolle in der primären Diagnostik einer ektopen Niere oder der Hufeisenniere. Hierbei kann das Fehlen einer Niere auf einer Seite schnell festgestellt werden (siehe auch Kap. „Spezifische Diagnostik in der Kinderurologie“). Außerdem kann ein afunktioneller Nierenanteil bei fusionierten Nieren dargestellt werden. Bei Patienten mit rezidivierenden febrilen Harnwegsinfektionen wird die zusätzliche Durchführung eines Miktionszystourethrogramms empfohlen, um einen eventuellen Reflux darzustellen. Um eine Subpelvinstenose von einem malrotierten Nierenbecken, wie es bei der Beckenniere zu sehen ist, zu unterscheiden, kann ein Diureserenogramm hilfreich sein. In der pädiatrischen Urologie hat das MR-Urogramm das i. v. Urogramm ersetzt. Um den Parenchymanteil des Isthmus bei der Hufeisenniere zu beurteilen, hat sich die Isothopennephrographie als hilfreich erwiesen. Vor allem vor einem geplanten operativen Eingriff ist dies von zentraler Bedeutung. Zur weiteren Diagnosesicherung vor geplanter Brückendurchtrennung wurde früher eine Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) mit 3D-Rekonstruktion durchgeführt. Dies hat allerdings in letzter Zeit an Bedeutung verloren.

Therapie

Aufgrund der häufig fehlenden Symptomatik ist eine Therapie bei gekreuzter renaler Ektopie nur selten notwendig. Symptome aufgrund von Harnabflussstörungen, rezidivierenden fieberhaften Harnwegsinfektionen oder Steinbildung stellen eine Indikation zur Intervention dar. Die Therapie bezieht sich hierbei auf das jeweilige Beschwerdebild. Eine Brückendurchtrennung, Nierenbeckenplastik oder eine Lateropexie ggf. mit Unterpolresektion kann bei symptomatischer Hufeisenniere bei assoziierter symptomatischer Hydronephrose, Subpelvinstenose oder afunktionalem Nierenanteil die Therapie der Wahl sein. Bei Steingeschehen können minimalinvasive Steintherapien wie die Ureterorenoskopie oder perkutane Nephrolitholapaxien hilfreich sein.

Nachsorge

Sonografische Kontrollen der Nieren und ein Vorgehen je nach Beschwerden werden empfohlen.

Zusammenfassung

  • Nierendystopie oder Nierenektopie: eine außerhalb der normalen Position befindliche Niere (Beckenniere, thorakale Niere).
  • Nierendystopie und Fusion: gekreuzte renale Ektopie liegt vor, wenn der Ureter zum Ostium der Gegenseite kreuzt. Hierbei wird die Mittellinie überquert. In 90 % zusätzliche Fusionsanomalie mit der ipsilateralen Niere (S-Niere, L-Niere). Cave: abnormale Gefäßversorgung.
  • Fusion ohne Ektopie: z. B. Hufeisenniere oder Kuchenniere.
  • Diagnostik: Sonografie an vorderster Stelle. Zusätzliche Untersuchungen je nach Symptomatik (MAG III, DMSA, MRT).
Literatur
Baggentoss AH (1951) Congenital anomalies of the kidney. Med Clin North Am 1:987–1004CrossRef
Boatman DL et al (1972) Congenital anomalies associated with horseshoe kidney. J Urol 107(2):205–207CrossRefPubMed
Downs RA et al (1973) Solitary pelvic kidney. Its clinical implications. Urology 1(1):51–56CrossRefPubMed
Fisch M (2012) Lage und Verschmelzungsanomalie der Nieren. In: Beetz R, Thüroff JW (Hrsg) Kinderurologie in Klinik und Praxis. Thieme, Stuttgart, S 243–249
Graves FT (1969) The arterial anatomy of the congenitally abnormal kidney. Br J Surg 56(7):533–541CrossRefPubMed
Malek RS et al (1971) Ectopic kidney in children and frequency of association with other malformations. Mayo Clin Proc 46(7):461–467PubMed
McDonald JH et al (1957) Crossed renal ectopia. Am J Surg 93(6):995–1002CrossRefPubMed