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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 27.07.2017

Transkranielle Magnetstimulation – motorisch evozierte Potenziale (MEP)

Verfasst von: Johannes C. Wöhrle
Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) stellt eine Routinemethode zur Untersuchung des zentralmotorischen Systems dar. Sie ergänzt die Diagnostik evozierter Potenziale um sog. motorisch evozierte Potenziale (MEP), die evozierte Muskelsummenpozentiale der Zielmuskeln nach Stimulation des motorischen Kortex sind. Hemmende Effekte bei Stimulation geeigneter Kortexareale mit fokalen Spulen erlauben ein topografisches Mapping von Funktionen an der Schädeloberfläche, womit sich beispielsweise eine kortikale Plastizität in Läsions- oder Lernmodellen demonstrieren lässt. Mit Doppelreiztechnik können Funktionen der interhemisphärischen Transmission oder pharmakologische Effekte überprüft werden. Die repetitive hochfrequente TMS bietet positive therapeutische Effekte bei akinetischen Bewegungsstörungen (z. B. idiopathisches Parkinson-Syndrom) und schweren depressiven Episoden.
Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) stellt eine Routinemethode zur Untersuchung des zentralmotorischen Systems dar. Sie ergänzt die Diagnostik evozierter Potenziale um sog. motorisch evozierte Potenziale (MEP), die evozierte Muskelsummenpotenziale der Zielmuskeln nach Stimulation des motorischen Kortex sind. Hemmende Effekte bei Stimulation geeigneter Kortexareale mit fokalen Spulen erlauben ein topografisches Mapping von Funktionen an der Schädeloberfläche, womit sich beispielsweise eine kortikale Plastizität in Läsions- oder Lernmodellen demonstrieren lässt. Mit Doppelreiztechnik können Funktionen der interhemisphärischen Transmission oder pharmakologische Effekte überprüft werden. Die repetitive hochfrequente TMS bietet positive therapeutische Effekte bei akinetischen Bewegungsstörungen (z. B. idiopathisches Parkinson-Syndrom) und schweren depressiven Episoden.
Technische Grundlagen der TMS
Das Prinzip der transkraniellen Magnetstimulation beruht auf den Induktionsgesetzen für elektromagnetische Felder. Ein stromdurchflossener elektrischer Leiter ist von einem konstanten Magnetfeld umgeben. Ändert sich nun die Stromstärke, so ändert sich das magnetische Feld B, und diese Änderung führt in einem parallel angeordneten zweiten elektrischen Leiter zu einem elektrischen Strom, der in zeitlichem Verlauf und Betrag exakt dem induzierenden Strom entspricht und genau entgegengesetzt verläuft (Lenz-Regel). In der praktischen Ausführung wird das Magnetfeld eines Magnetstimulators durch die rasche Entladung eines großen Kondensators über eine Spule erzeugt. Je nach Spulengeometrie ist das Magnetfeld mehr oder weniger stark gebündelt – es werden kurzfristig Feldstärken von 2 Tesla und mehr erreicht – und führt somit im erregten elektrischen Leiter, in diesem Falle dem nervalen Gewebe, zu einer mehr oder weniger umschriebenen Induktion eines elektrischen Stroms, der die Nervenfasern erregen kann. Mehrere Spulentypen stehen zur Verfügung: Die große Rundspule (meist um 9 cm Durchmesser) und die große Doppelspule (in Form einer 8; Abb. 1) haben die häufigste klinische Anwendung. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Messungen mit der großen Rundspule, soweit nicht anders angegeben.
Sicherheitsaspekte der transkraniellen Magnetstimulation
Eine absolute Kontraindikation für eine Magnetstimulation besteht für Träger von Herzschrittmachern, anderen implantierten Biostimulatoren (z. B. implantierte Stimulatoren zur tiefen Hirnstimulation oder chronischen Schmerztherapie, implantierte elektronische Pumpen etc.), Cochleaimplantaten sowie bei Wirbelsäuleninstabilität.
Erfahrungen zur Untersuchung von Schwangeren liegen nicht vor, daher ist auch eine Schwangerschaft als absolute Kontraindikation zu sehen. Als relative Kontraindikationen gelten Kalottendefekte, schwere Herzrhythmusstörungen und, je nach Autor, zerebrale Krampfanfälle, wobei in einer Studie mit dem Ziel einer Anfallsinduktion bei Epilepsiepatienten mit Einzelreizen kein Erfolg zu verzeichnen gewesen ist und in der eigenen Erfahrung mit vielen Epilepsiepatienten keine Anfallsereignisse durch TMS provoziert worden sind. In der Literatur liegen vereinzelte Fallberichte von nach Magnetstimulation mit Einzelreizen aufgetretenen isolierten Anfällen bei Patienten mit frischem Schlaganfall vor. Ein mehr als zufälliger Zusammenhang mit der TMS ist jedoch bei der Häufigkeit von zerebralen Krampfanfällen nach Schlaganfall eher nicht anzunehmen.
Praktische Durchführung
Für die kortikale Reizung wird die Spule flach auf die Schädeldecke mit dem Zentrum über dem Vertex aufgelegt, um das Hand-Arm-Areal zu stimulieren. Je nach Gerätetyp werden beide Hemisphären (bipolarer Reiz) oder eine Hemisphäre bevorzugt (monopolarer Reiz) gereizt. Hierbei ist die optimale Reizung bei einer Spulenstromrichtung senkrecht zum Sulcus centralis von vorne nach hinten gegeben. Die Ableitung des evozierten Muskelantwortpotenzials ist prinzipiell von jedem Zielmuskel möglich, die meisten Arbeitsgruppen konzentrieren sich für die Routinediagnostik auf distale Handmuskeln (z. B. M. interosseus dorsalis I oder M. abductor digiti minimi) sowie distale Beinmuskeln (M. tibialis anterior oder M. abductor hallucis). Das Phänomen der Fazilitierung ist zu beachten, da bei Vorinnervation des Zielmuskels oder des kontralateralen homologen Muskels eine deutliche Latenzverkürzung (etwa 2 ms) eintritt. Dies erklärt sich dadurch, dass die kortikale Stimulation der absteigenden motorischen Bahnen eine Serie von Impulswellen auslöst (sog. D-Welle und I-Wellen), die erst in der zeitlichen und räumlichen Summation zu einer Stimulation des Vorderhornzellpools und damit einem evozierten Muskelaktionspotenzial (EMAP) führen. Bei Vorinnervation des Muskels genügt ein geringerer von kortikal ankommender Reizzug, um die Entladung der Vorderhornzellen auszulösen. Dies äußert sich in einer messbar kürzeren kortikal-motorischen Latenz (KML), einer geringeren erforderlichen Reizintensität oder einer bei derselben Reizintensität größeren EMAP-Amplitude. Zur Standardisierung ist eine Bestimmung der motorischen Reizschwelle erforderlich, damit für vergleichbare Messergebnisse mit einer definierten, reproduzierbaren Reizstärke gearbeitet wird.
Die Messung der peripher-motorischen Latenz (PML) kann auf zwei Arten erfolgen: die Reizung der Wurzel mittels Magnetimpuls über der Wirbelsäule oder die indirekte Bestimmung über die F-Wellen-Latenz. Bei der magnetischen Stimulation über der Wirbelsäule werden die Spinalnerven im Bereich der Foramina intervertebralia stimuliert, da dort aufgrund physikalischer Eigenschaften das Magnetfeld seine maximale Dichte erhält. Es ist wichtig, die Reizstärke nicht exzessiv zu erhöhen, da dann der Stimulationspunkt nach distal wandern kann. Die PML nach elektrischer F-Wellen-Stimulation wird mit folgender Formel berechnet:
$$ P M L=\frac{F- Latenz+ DML-1 ms}{2} $$
DML ist die distal motorische Latenz, 1 ms wird abgezogen als sog. „turn-around-time“ für die Impulsumkehr der F-Welle am Axonhügel der motorischen Vorderhornzelle.
Diese PML ist wenige Millisekunden länger als die magnetische PML. Die zentralmotorische Leitzeit (ZML) wird dann durch Subtraktion
$$ \mathrm{Z}\mathrm{M}\mathrm{L}=\mathrm{K}\mathrm{M}\mathrm{L}-\mathrm{P}\mathrm{M}\mathrm{L} $$
berechnet und stellt eine abgeleitete Größe dar, die neben der Leitung im zentralen Nervensystem je nach Zielmuskel eine kleinere oder etwas längere Strecke der peripheren Leitung im Axon der Nervenwurzel mit einschließt. Die Amplituden sind bei kortikaler Reizung relativ variabel, da die Impulswelle mehrere synaptische Übertragungen durchläuft, jedoch sind auch bei peripherer Stimulation die Amplituden nicht der direkten elektrischen Wurzelstimulation 100 %ig gleichzusetzen. So gehen in der klinischen Routine nur erhebliche Amplitudenerniedrigungen oder -seitendifferenzen in die Beurteilung der Potenziale ein. Tab. 1 zeigt die Normwerte für ausgewählte Zielmuskeln. Abb. 2 zeigt einen Normalbefund der MEP der oberen Extremität neben einem pathologischen Befund bei demyelinisierender ZNS-Erkrankung. Tab. 2 gibt einen Überblick über pathologische Befunde bei unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen (z. B. Meyer 1992; Wöhrle et al. 1995, 2004).
Tab. 1
MEP-Normwerte für ausgewählte Zielmuskeln bei magnetischer transkranieller Kortex- und Wurzelstimulation
Literaturstelle
Zielmuskel
Reiztechnik
Altersgruppe
(Jahre)
Zahl der Probanden
KML (ms)
Mittelwert ± SD
PML (ms)
Mittelwert ± SD
ZML (ms)
Mittelwert ± SD
Kloten et al. (1992)
Biceps brachii
Rundspule, Kortexstimulation mit 1,5-facher Intensität der in Ruhe bestimmten Schwelle
19–21
18
10,8 ± 1,3
6,3 ± 0,9
4,5 ± 1,0
30–59
21
10,8 ± 1,0
6,4 ± 1,1
4,6 ± 1,0
≥60
18
11,4 ± 0,9
6,8 ± 0,9
4,6 ± 0,9
Kloten et al. (1992)
Interosseus dorsalis I
Rundspule, Kortexstimulation mit 1,5-facher Intensität der in Ruhe bestimmten Schwelle
19–21
18
20,6 ± 1,8
14,0 ± 1,3
5,8 ± 1,0
30–59
21
20,7 ± 1,4
14,6 ± 1,3
6,0 ± 0,9
≥60
18
21,2 ± 1,6
14,9 ± 1,4
6,5 ± 1,1
Claus (1990)
Abductor digiti minimi
Rundspule, Kortexstimulation mit 1,2-facher Intensität der bei leichter Vorinnervation bestimmten Schwelle
19–59
54
  
6,0 ± 0,9
Kloten et al. (1992)
Tibialis anterior
Rundspule, Kortexstimulation mit 1,5-facher Intensität der in Ruhe bestimmten Schwelle
19–21
18
28,3 ± 2,5
14,7 ± 1,3
13,4 ± 1,9
30–59
21
29,6 ± 3,0
14,7 ± 2,1
14,3 ± 1,7
≥60
18
31,1 ± 2,5
15,5 ± 2,0
16,1 ± 1,9
Tab. 2
MEP–Befunde bei verschiedenen Erkrankungen
Erkrankung
Typische Befunde
Multiple Sklerose
KML und ZML deutlich verzögert, häufig asymmetrische Befunde, pathologische Werte auch bei nicht eindeutig pathologischen klinischen Befunden nach einem Schub oder bei nie sicher symptomatisch gewesener Extremität. Sensitivität mindestens so hoch wie VEP
Verzögerung der ZML und KML möglich, meist nicht exzessiv, dabei Amplitudenerniedrigungen bis Potenzialverlust (schlechte Prognose)
Verzögerung von ZML und KML. Vereinzelt kann eine differenzielle Verlängerung der ZML zu den Muskeln verschiedener Segmente zur Höhenlokalisation hilfreich sein. Eher höhere Sensitivität als SEP, insbesondere bei motorischen Symptomen
Hirntumor
Siehe Schlaganfall
Verzögerung von ZML und KML, auch Amplitudenminderung. Bei nicht eindeutigen klinischen Zeichen des oberen Motoneurons kann Zusatzinformation gewonnen werden
Psychogene Lähmung
Normale MEP bei als plegisch dargebotener Extremität schließen eine organische Ursache praktisch aus
Plexusläsion
Leitungsverzögerung der PML. Amplitudenvergleiche, z. B. zur Bestimmung von Leitungsblöcken sind problematisch
Verzögerung aller Latenzen, auch exzessiv, möglich. Für ZML können sich neben Verlängerungen auch abnorm kurze Werte ergeben (Abgeleitete Größe! Nicht notwendigerweise identische Axone/motorische Vorderhornzellen nach Reiz über der Wirbelsäule bzw. transsynaptisch erregt)
KML kortikal-motorische Latenz, MEP motorisch evozierte Potenziale, PML peripher-motorische Latenz, SEP somatosensibel evozierte Potenziale, VEP visuell evozierte Potenziale, ZML zentralmotorische Leitzeit
Die repetitive hochfrequente TMS kann auch therapeutisch eingesetzt werden. Positive Effekte wurden bei akinetischen Bewegungsstörungen (z. B. idiopathisches Parkinson-Syndrom) und schweren depressiven Episoden beschrieben (Übersicht z. B. Weber und Eisen 2002; Siebner und Zieman 2007; Perera et al. 2016).

Facharztfragen

1.
Welche Befundkonstellationen gibt es in der transkraniellen Magnetstimulation bei der multiplen Sklerose?
 
2.
Wie sensitiv ist die Methode bei dieser Erkrankung, im Vergleich mit den visuell evozierten Potenzialen?
 
Literatur
Claus D (1990) Central motor conduction: methods and normal results. Muscle Nerve 13:1125–1132CrossRefPubMed
Kloten H, Meyer BU, Britton TC, Benecke R (1992) Normwerte und altersabhängige Veränderungen magnetoelektrisch evozierter Muskelsummenpotenziale. Z EEG-EMG 23:29–36
Meyer BU (1992) Magnetstimulation des Nervensystems: Grundlagen und Ergebnisse der klinischen und experimentellen Anwendung. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/TokioCrossRef
Perera T, George MS, Grammer G, Janicak PG, Pascual-Leone A, Wirecki TS (2016) The clinical TMS society consensus review and treatment recommendations for TMS therapy for major depressive disorder. Brain Stimul 9:336–346CrossRefPubMedPubMedCentral
Siebner HR, Zieman U (2007) Das TMS-Buch – Handbuch der transkraniellen Magnetstimulation. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/TokioCrossRef
Weber M, Eisen A (2002) Magnetic stimulation of the central and peripheral nervous system. Muscle Nerve 25:160–175CrossRefPubMed
Wöhrle JC, Kammer T, Steinke W, Hennerici M (1995) Motor-evoked potentials to magnetic stimulation in chronic and acute inflammatory demyelinating polyneuropathy. Muscle Nerve 18:904–906CrossRefPubMed
Wöhrle JC, Behrens S, Mielke O, Hennerici MG (2004) Early motor-evoked potentials in acute stroke: Adjunctive measure to MRI for assessment of prognosis in acute stroke <6 hours. Cerebrovasc Dis 18:130–134CrossRefPubMed