Gangstörungen, motorische Blockaden, Freezing
Blockaden bei Bewegungsabläufen insbesondere beim Gehen („Freezing of gait“) als episodische Unfähigkeit, effektive Schrittbewegungen zu generieren, können während Tagesphasen von gutem und schlechtem Ansprechen auf dopaminerge Medikation (On- und Off-Freezing) auftreten. Freezing tritt im Verlauf in späteren Stadien bei praktisch allen Parkinson-Patienten auf. Wenn diese Gangstörung nicht auf L-Dopa anspricht („On-Freezing“), wird sie auch nicht durch die
tiefe Hirnstimulation gebessert. Unter der tiefen Hirnstimulation im STN entwickeln viele Patienten im Verlauf Freezing, das nicht durch einfache Maßnahmen wie zusätzliches Levodopa oder mehr Spannung bzw. Strom gebessert werden kann. In dieser Situation sollten drei Strategien durch versuchsweise Umprogrammierung der Impulsgeber erwogen werden:
1.
Reduktion der Stimulation auf der weniger betroffenen Seite,
2.
Reduktion der Stimulationsfrequenz bis zu ca. 60 Hz, wenn dies toleriert wird, und
3.
sog. „Interleaving Stimulation“ mit abwechselnder Stimulation der Substantia nigra pars reticulata und dem darüberliegenden Pol im STN.
Wesentlich in der Behandlung des unter optimierter Medikation und ggf.
tiefer Hirnstimulation auftretenden Freezings ist das Training mit Hinweisreizen („Cueing“). Akustische Cues (z. B. kleine Metronome) lassen die Gehgeschwindigkeit steigern (McIntosh et al.
1997). Visuelle Cues in der Form von parallelen Linien, die kontrastreich zum Untergrund angeboten werden, verbessern das Gangbild durch längere Schritte (Suteerawattananon et al.
2004). Taktile Schrittmacher, z. B. in Form eines am Handgelenk getragenen Vibrationszylinders, erniedrigten die Schrittfrequenz und erhöhten die Schrittlänge, unabhängig von der Gehgeschwindigkeit (van Wegen et al.
2006). Die Schrittlänge konnte einer Studie zufolge gesteigert werden, wenn man die rhythmischen Cues 10 % langsamer einstellte, als es der ursprünglichen Schrittfrequenz entsprach. (Willems et al.
2007). Strukturierte Evaluation und standardisierte Trainingsprogramm wie das Münchner-Antifreezing-Training (MAFT) stehen im Rahmen aktivierender Therapien zur Verfügung (Ziegler et al.
2010; Fietzek et al.
2014).
Gleichgewichtsstörungen und Stürze
Nach 15–18 Jahren Verlauf von 149 Patienten eines typischen IPS unter optimaler kontrollierter Therapie stürzen 81 % der Patienten, 23 % hatten sich dabei Frakturen zugezogen (Hely et al.
2005). Parkinson-Patienten stürzen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium häufig sogar mehrmals täglich. Am häufigsten kommt es zu proximalen Extremitätenfrakturen und dort vermehrt zu Schenkelhalsfrakturen (Genever et al.
2005).
Bei allen sturzgefährdeten Patienten sollte die Medikation überprüft werden, da hier häufig eine Ursache zu finden ist. Mithilfe eines Hausbesuchs (Sozialdienste, Ergo-/Physiotherapie) sollte darauf geachtet werden, die Verletzungsmöglichkeiten in der häuslichen Umgebung so gering wie möglich zu halten (Kanten polstern, Engpässe vermeiden, Türschwellen beseitigen etc.). Derartige Interventionen sind losgelöst von der sturzprophylaktischen Wirkung für den einzelnen Patienten und darüber hinaus gesundheitsökonomisch rentabel.
Repetitives, selektives Training von Schutzschritten durch gleichgewichtsdestabilisierende Reize („Schubstraining“) vergrößerte in einem Zeitraum von 2 Wochen mit einer Trainingsfrequenz von 2-mal 20 min pro Tag die Länge des ersten Schutzschrittes und verminderte die Reaktionszeit bis zur Bewegungsinitiierung des ersten Schutzschrittes (Jöbges et al.
2004). Parallel dazu verbessern sich auch Gangparameter wie Schrittlänge und Schrittkadenz (Schritte pro Minute).
Stimm- und Sprechstörungen
Artikulation und Stimmbildung können bei der Parkinson-Krankheit ausgeprägt verändert sein. Bei fast allen Patienten wird die Stimme leise und verliert an Prosodie (Hypophonie
und Monotonie). Ebenso bekommt die Stimme häufig einen heiseren Charakter. Eine Festination des Sprechens mit Auslassen von Phonemen und Beschleunigungen gegen Ende eines Satzes kommt ebenso vor wie ein charakteristisches
Stottern, welches durch eine Starthemmung beim Sprechbeginn gekennzeichnet ist. Die letztere Art der Sprechstörung ist von der Palilalie zu unterscheiden. Mit diesem Begriff werden automatisierte, unwillkürliche Iterationen von Silben oder Sätzen bezeichnet. Dopa-behandelte Parkinson-Patienten mit On-/Off-Fluktuationen können eine deutliche Zunahme der
Artikulationsstörung mit Festination und Blockaden des Sprechbeginns unter L-Dopa zeigen. Die pathophysiologische Grundlage für die Dissoziation zwischen Besserung der Körpermotorik und Verschlechterung der Stimmbildung bei diesen Patienten ist unklar.
Auch bei einer leichten Symptomatik bei noch guter Verständlichkeit berichten Patienten mit Parkinson-Syndrom von weitreichenden kommunikativen Einschränkungen: Sie vermeiden das Telefonieren, geben an, sich nicht mehr mit ihrer Stimme identifizieren zu können und beteiligen sich seltener an Gesprächen, da sie sich stimmlich v. a. in Gruppen nicht mehr durchsetzen können. Ein sich selbst verstärkender Zirkel von sozialem Rückzug, Depression, Angst zu sprechen und Verschlechterung der verbalen Kommunikationsfähigkeit ist die Folge. Dabei kann dieses auf Medikamente und
tiefe Hirnstimulation nicht ansprechende Problem gut mit Stimm- und Sprechtherapie angegangen werden. Einschränkungen hinsichtlich einer erfolgreichen Therapie sind die Motivation der Patienten sowie
Demenz und Depression (Ceballos-Baumann und Ebersbach
2017).
Schluckstörungen und vermehrter Speichelfluss
Dysphagien sind ein häufiges Symptom besonders bei den atypischen Parkinson-Syndromen. Auffällig ist bei Parkinson-Patienten in späteren Stadien die Diskrepanz zwischen dem gravierenden endoskopischen Befund und der geringen subjektiven Beeinträchtigung durch die Schluckstörung
. Endoskopisch lässt sich bei über der Hälfte der untersuchten Patienten ein insuffizienter Glottisschluss diagnostizieren, der wiederum die Parkinson-typische Stimmschwäche kompliziert (Wagner-Sonntag
2008). Das Vorkommen an „stillen“ Aspirationen ohne die typischen klinischen Zeichen wie
Husten oder „nasse“ Stimme erschwert die Diagnose. Wegen des schlechten Ansprechens der Dysphagie auf die Parkinson-Medikation und eher einer Verschlechterung durch die
tiefe Hirnstimulation sowie insbesondere der schlechten Prognose von Aspirationspneumonien bei Parkinson-Patienten kommt der Schlucktherapie eine wichtige Bedeutung zu.
Prinzipiell soll das Training von Schlucktechniken den Patienten eine sichere Nahrungsaufnahme trotz bestehender Defizite ermöglichen. Kostempfehlungen (weiche, homogene Speisen, angedickte Getränke, nur gebundene Suppen) sollten ebenfalls immer auf einer Diagnostik (klinisch, ggf. endoskopisch) basieren und nicht blind erfolgen. An kompensatorischen Schluckmethoden sind zu nennen: Haltungsänderungen, z. B. Kopfneigung, das Mendelsohn-Manöver
(eine willkürlich verlängerte Kehlkopfhebung beim Schlucken, um die Öffnung des oberen Ösophagussphinkters zu verlängern), Reinigungsfunktionen wie bewusstes Räuspern oder
Husten nach dem Schlucken. Das wichtigste Schluckmanöver, um Aspirationen zu verhindern, ist das sog. supraglottische Schlucken. Hier wird der physiologische Atemstopp während des Schluckens willkürlich herbeigeführt. Durch Schlucken bei bewusst fest angehaltenem Atem soll verhindert werden, dass Bolusanteile in den Aditus laryngis und weiter in die Atemwege gelangen. Durch anschließendes sofortiges Räuspern und trockenes Schlucken ohne Zwischenatmung sollen etwaige in den Larynxbereich eingedrungene Bolusanteile wieder entfernt werden.
Der vermehrte Speichelfluss (Hypersalivation
, Sialorrhö
) entsteht durch Hypokinese der Schluckmotorik und nicht durch vermehrte Produktion von Speichel. Behandlung mit oralen Anticholinergika oder Scopolamin-Pflaster sind mit negativen Wirkungen auf die Kognition bis hin zum
Delir vergesellschaftet. Eine effektive Behandlung des stigmatisierenden vermehrten Speichelflusses ist auch mit Botulinumtoxin-Injektionen in die Glandula parotis und submandibularis ohne unerwünschte zentrale Wirkung möglich, allerdings kann es zu Schluckstörungen kommen. Bislang ist diese Indikation von Botulinumtoxin noch off-label, obwohl randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudien vorliegen.
Depression und Angst
Die Beurteilung chronischer
affektiver Störungen bei Parkinson-Patienten ist komplex, da die für das Krankheitsbild typische psychomotorische Verlangsamung und die assoziierten
Schlafstörungen nicht depressionsspezifisch bei Parkinson-Patienten sind. Apathie und Fatigue sind von Depression zu differenzieren. Außerdem kommt es gerade bei den Dopa-Wirkungsschwankungen zu Stimmungsschwankungen, die annähernd parallel zu den motorischen Symptomen verlaufen, bis zur Manie in der dyskinetischen Phase und Angst/Depression im Off-Zustand. Zunächst muss sichergestellt werden, dass die Patienten ausreichend dopaminerg versorgt sind (Vermeidung von Off-Phasen). Zu berücksichtigen gilt, dass die Nachteile eines dopaminergen hyperstimulatorischen Zustands (auffällige Dyskinesien) mit relativ hoher Dopaminergikadosis von den Patienten subjektiv dem Gefangensein in der Akinese vorgezogen werden.
Jenseits der affektiven Schwankungen im Rahmen der Dopa-Wirkungsfluktuationen ist es wichtig, auf chronische Depression zu reagieren: Diese erklärt 58 % der
Varianz in
Lebensqualität bei Parkinson-Patienten, obwohl nur ca. 2 % der Patienten und 1 % der Angehörigen sich einer Depression bewusst sind (Global Parkinson’s Disease Survey Steering Committee
2002). Zwischen der Depression und motorischer Beeinträchtigung besteht kein linearer Zusammenhang, was pathogenetisch auf eine krankheitsimmanente Ursache hinweist, am ehesten bedingt durch das Defizit von Dopamin und anderen monoaminergen
Neurotransmittern. Depressionen treten bei ca. 40–50 % der Parkinson-Patienten auf und werden oft nicht adäquat versorgt. Zur Therapie mit
Antidepressiva finden sich allerdings auch nur wenige kontrollierte Studien. Als wirksam haben sich trizyklische Antidepressiva und neuere Antidepressiva wie selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gezeigt, die ein für ältere Patienten günstigeres Profil unerwünschter Wirkungen zeigen.
Die Kombination von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) mit MAO-B-Hemmern wird aus theoretischen Gründen für problematisch gehalten. Tatsächlich ist das Auftreten eines Serotoninsyndroms bei der Kombination des MAO-B-Hemmers Selegilin extrem selten, wenn überhaupt aufgetreten (Richard et al.
1997).
Bupropion (Elontril) weist auch Wirkungen wie ein Antiparkinsonikum auf (Goetz et al.
1984). Auch Dopaminagonisten könnten eine therapeutische Wirkung auf depressive Symptome haben. Mirtazapin wird mit der Auslösung einer
REM-Schlaf-Verhaltensstörung in Verbindung gebracht (u. a. Onofrj et al.
2003). Die Elektrokrampftherapie ist in Einzelfällen zu erwägen (Lemke und Ceballos-Baumann
2002).
Neben der pharmakologischen Behandlung ist die Begleitung des Kranken bei der Bewältigung seiner körperlichen Behinderung und der Erhaltung seiner psychosozialen Kompetenz eine wesentliche Aufgabe im Rahmen einer psychotherapeutischen Einzel- und Gruppentherapie. Soziale Kontakte sind durch Kommunikationsprobleme bei veränderter Psychomotorik häufig begleitet von Scham- und Insuffizienzgefühlen und führen zu Vermeidungsreaktionen und einem fortschreitenden sozialen Rückzug. Ein wesentlicher Ansatz zur Behandlung dieser negativen Wechselwirkung besteht in einer situationsspezifischen, strukturierten Gruppenpsychotherapie. Eine Einzeltherapie hat v. a. nach der Diagnoseeröffnung und bei Depressionen einen wichtigen Stellenwert. Ein strukturiertes Behandlungsprogramm für die Gruppentherapie wurde von Macht und Ellgring (
2003) vorgestellt. Aufklärung, körperbezogene Techniken und Erlernen von Strategien zur Verbesserung der Stressbewältigung sind die Eckpunkte eines von Leplow vorgestellten Behandlungskonzeptes zur ambulanten Kleingruppentherapie (Leplow
2007).
Klassische Entspannungstechniken (z. B. Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen) und Körpergefühlsschulungen (z. B.
autogenes Training und Feldenkrais) in Gruppen- oder Einzelsitzungen können bei der Verbesserung der Stresstoleranz helfen, Schmerzen des Bewegungsapparates reduzieren und von manchen Patienten auch zur Besserung von Freezing, Tremor und Dopa-Dyskinesien eingesetzt werden (Ceballos-Baumann und Gündel
2006).
Pharmakogene Psychose, Halluzinationen, nächtliche Verwirrtheit, Demenz
Über 50 % der Parkinson-Patienten entwickeln im Langzeitverlauf halluzinatorische oder psychotische Episoden, welche einerseits medikamentös induziert sind und andererseits als Komplikation einer Demenzentwicklung auftreten. Nach 20 Jahren Verlauf eines IPS erfüllen über 80 % der Patienten die Kriterien einer
Demenz (Hely et al.
2008). Bei neu aufgetretener und Verschlechterung einer schon vorbestehenden demenziellen Symptomatik, bei Agitiertheit, deliranten und psychotischen Symptomen, Zunahme einer Somnolenz im Rahmen eines Parkinson-Syndroms muss – losgelöst von der Ätiologie und diagnostischer Einordnung des Parkinson-Syndroms – eine Reihe auslösender Ursachen ausgeschlossen und behoben werden, bevor medikamentös interveniert wird: An erster Stelle sind Dehydrierung, Infekte sowie Medikamente und medikamentöse Wechselwirkungen zu nennen. Deshalb ist eine kritische Nutzenanalyse der bestehenden Medikation vorzunehmen. Eine Polypharmazie („Cocktails“) aus mehreren zentral wirksamen Mitteln ist bei Demenz prinzipiell ungünstig. Überdosierungen einzelner Medikamente müssen ausgeschlossen werden. Dazu kann eine
Niereninsuffizienz beitragen, insbesondere bei Amantadin und Memantin, die gänzlich über die Niere ausgeschieden werden. Auch
Antidementiva und
Nootropika können zu paradoxen Effekten mit Verhaltensauffälligkeiten, Agitiertheit,
Halluzinationen führen. Darüber hinaus finden sich weitere häufige Ursachen für akute verhaltens- und psychotische Symptome: anfangs ohne
Fieber einhergehende Harnwegsinfekte und
Pneumonien, metabolische Störungen wie
Hyponatriämie,
Herzinsuffizienz,
Anämien, Schmerzen und soziale Faktoren. Abrupte Entzüge von Parkinson- und anderen zentral wirksamen Medikamenten sind zu vermeiden.
Dehydratation ist bei älteren Parkinson-Patienten eine häufige Ursache für eine akute psychotische bzw. delirante Symptomatik und prädisponiert zu weiteren Komplikationen wie Harnwegsinfekten.
Wenn keine auslösenden Faktoren wie Infekte oder eine Dehydratation gefunden wurden oder diese behoben werden konnten, muss die vorbestehende Antiparkinson-Medikation vereinfacht werden. Es bietet sich an, zunächst die Medikamentenänderung rückgängig zu machen, an der zuletzt etwas verändert wurde. Falls Patienten Anticholinergika, Amantadin und Budipin bekommen, ist eine Reduktion dieser Therapeutika vorzunehmen, da Medikamente mit anticholinergen Eigenschaften am stärksten delirogen sind. Parallel dazu bietet sich das Ausschleichen der Dopaminagonisten, des MAO-B-Hemmers und COMT-Hemmers an und erst als letzte Maßnahme eine Umverteilung der täglichen L-Dopa-Dosis. Bei Absetzen von L-Dopa kann es dann zu einer nicht mehr vertretbaren Exazerbierung der Parkinson-Symptomatik kommen, sofern es sich tatsächlich um ein L-Dopa-responsives Parkinson-Syndrom handelt.
Agitiertheit und andere Verhaltensprobleme sollten, sofern möglich, auch mit nichtpharmakologischen Ansätzen behandelt werden. Ungünstige Faktoren wie Kälte, Hitze, Lärm, soziale Isolation sollten behoben werden. Psychoedukative Programme für Angehörige im Umgang mit
Demenz sind erwiesenermaßen hilfreich (Haupt et al.
2000). Interessant ist, dass nichtmedikamentöse Therapieansätze wie Aroma- (Ballard et al.
2002) und
Lichttherapie (Ancoli-Israel et al.
2003) – wenn über einen längeren Zeitraum eingesetzt – in kontrollierten Studien ähnlich effektiv seien wie
Neuroleptika.
Wenn sich keine Ursache wie ein Infekt finden lässt und nichtmedikamentöse Maßnahmen nicht ausreichen, eine delirante Symptomatik bzw. Agitiertheit zu reduzieren, erfolgt die Wahl der Medikation polypragmatisch nach dem Prinzip Versuch und Irrtum mit langsamer Aufdosierung. Denn die Datenlage für die akute medikamentöse Therapie von Agitiertheit, deliranter Symptomatik und Verhaltensstörungen bei
Demenz ist ausgesprochen dürftig, bei der Koinzidenz einer Demenz und eines Parkinson-Syndroms wird sie noch spärlicher. Selbst wenn eine Medikation dann effektiv erscheint, sollte auch immer wieder ein reverses empirisches Vorgehen erwogen werden, um eine iatrogene Beeinträchtigung des Patienten auszuschließen.
Typische
Neuroleptika sollten bei einem Parkinson-Syndrom immer vermieden werden, weil sie dieses verschlechtern und sogar zu einer akinetischen Krise führen können. Melperon und Dipiperon, die häufig in der
Geriatrie verabreicht werden, gehören dazu. Lewy-Body-Demenz-Patienten reagieren besonders überempfindlich auf Neuroleptika, sodass diese Charakteristik zu den unterstützenden Diagnosekriterien gilt. In der Revision von 2005 wurden die atypischen Neuroleptika explizit bei dieser Überempfindlichkeit auf Neuroleptika mit aufgeführt (McKeith et al.
2005). Vermutlich zeigen sich bei den atypischen Neuroleptika eher die sedierenden, bei den typischen Neuroleptika mehr die motorischen unerwünschten Wirkungen bei Lewy-Body-Demenz-Patienten. Zwar ist
Clozapin zugelassen mit dem höchsten Grad an Evidenz für die klassische pharmakogene Psychose bei IPS, nicht aber bei
Demenz. Clozapin hat ein ausgeprägtes delirogenes Potenzial. Das wegen der verpflichtenden Blutbildkontrollen bei Clozapin als Alternative gepriesene
Quetiapin (Seroquel) war in zwei doppelblinden Studien nicht wirksam bei der pharmakogenen Psychose (Ondo et al.
2005; Rabey et al.
2007). Quetiapin ist off-label bei Parkinson-Syndrom. In einer Studie zur Agitiertheit bei Lewy-Body- und IPS-plus-Demenz-Patienten wurden Alltagsaktivitäten verschlechtert (Kurlan et al.
2007).
In der bis dato größten Studie zur Parkinson-assoziierten
Demenz wurden 541 Patienten mit 10–24 Punkten (Mittelwert 19) im Mini-Mental-Test aufgenommen und mit Rivastigmin (Exelon, täglich bis zu 12 mg, Mittelwert 8,7 mg) oder mit Placebo behandelt (Emre et al.
2004). Die Differenz, die sich bei den kognitiven Leistungen von Verum- und Placebo-Patienten innerhalb von 24 Wochen ergeben hatte, entspricht damit einer Verzögerung der Demenzprogression von knapp einem halben Jahr. Die häufigsten unerwünschten Effekte bei Rivastigmin versus Placebo waren Übelkeit (29 versus 11 %), Erbrechen (17 versus 2 %) und Tremor (10 versus 4 %). Die Verschlechterung des Tremors ist ein vorübergehendes Symptom in der Aufdosierungsphase (Oertel et al.
2008). Nach einer Cochrane-Analyse profitieren jenseits der statistisch signifikanten Verbesserungen in den Beurteilungsskalen und psychologischen Testbatterien 15 % der Patienten in einer alltagsrelevanten Weise (Maidment et al.
2006). In einer Post-hoc-Analyse zeigte sich, dass Patienten mit
Halluzinationen wahrscheinlich einen schnelleren Verlauf aufweisen, aber auch dass Patienten von Rivastigmin im Gegensatz zu den Nicht-Halluzinierern signifikant mehr profitieren. Interessant ist, dass nichtkognitive Demenzsymptome wie
Wahn, Halluzinationen, Angst, Apathie sich positiv beeinflussen lassen (Burn et al.
2006).
Schlafstörungen, REM-Schlaf-Verhaltensstörung, Tagesmüdigkeit, Sekundenschlafattacken
Schlafstörungen erfordern bei Parkinson-Patienten ein spezifisches Vorgehen. Nächtliche Akinese, Rigor und die frühmorgendliche Off-Dystonie müssen durch verschiedene Fragen (nächtliche Schmerzen, wie geht das Umdrehen im Bett?) eruiert werden. Das bei Parkinson-Patienten überzufällig auftretende
Restless-Legs-Syndrom, die nächtliche Akinesie, der Rigor und eine frühmorgendliche Off-Dystonie (charakteristischerweise der Zehenstrecker) sind Zeichen einer Unterdosierung mit Dopaminergika. Differenziert werden muss das
Restless-Legs-Syndrom von L-Dopa-Dyskinesien und heftigen Einschlafmyoklonien, die unter Dopaminergika-Therapie gehäuft auftreten, und der
REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die durch Schreien, Um-sich-Schlagen, bis hin zu schlafwandlerischen Verhaltensmustern gekennzeichnet ist. Eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung kann durch fast alle
Antidepressiva, insbesondere Mirtazapin ausgelöst werden und wird mit Clonazepam behandelt. Lebhaftes
Träumen kann ein Vorbote von nächtlichen
Halluzinationen und Verwirrtheitszuständen darstellen. Deshalb gilt ein Vorgehen wie in Abschn.
5.7 in der Übersicht „Procedere bei exogenen Psychosen bei Parkinson-Patienten“ beschrieben. Nykturie, bedingt bei Parkinson-Patienten meist durch eine Detrusorhyperreflexie (hyperaktive Blase, Abschn.
5.11), kann zu einer Schlaffragmentierung und nächtlichen Stürzen führen und ist spezifisch zu behandeln.
Impulskontrollstörungen (Hypersexualismus, Spielsucht, Ess- und Kaufattacken, Punding) und die zwanghafte Einnahme von Dopaminergika
Zu den
Impulskontrollstörungen gehören im Wesentlichen die Spielsucht,
der Hypersexualismus
, zwanghaftes Kaufen und Essen (Gewichtszunahme?), Spielen und „Punding“. Mit „Punding
“ wird ein komplexes anhaltendes, zweckloses und stereotypes Verhalten gemeint, dass ursprünglich nach chronischer Einnahme von Amphetamin beschrieben wurde und mit einer zwanghaften, subjektiv zunächst nicht störenden Faszination für die Durchführung stereotyper, repetitiver Handlungen wie Ein- und Auspacken, Aufreihen etc. einhergeht. Diese Impulskontrollstörungen werden bevorzugt mit Dopaminagonisten in Verbindung gebracht, während das Dopamindysregulationssyndrom (Synonym „hedonistische homeostatische Dysregulation“) als Umschreibung für die zwanghafte Einnahme von Dopaminergika eher mit Dopa und
Apomorphin assoziiert ist. Spielsucht ist zwar nur ein begrenztes Problem einer kleineren Subgruppe von Parkinson-Patienten, aber es führt weltweit zu Haftungsprozessen nicht nur in den USA, sondern in der Zwischenzeit auch in Deutschland unter der Annahme eines Zusammenhangs mit der verschriebenen Dopaminagonistentherapie.
Daten aus strukturierten Interviews und speziellen Fragebögen zu Spiel-, Ess-, Kauf- sowie sexuellem Verhalten von 3090 Patienten mit Morbus Parkinson wurden von Beurteilern ausgewertet, die keine Informationen über die Medikation der Patienten hatten. In 13,6 % der Patienten ließ sich eine Impulskontrollstörung nachweisen (Spielsucht in 5 %, zwanghaftes sexuelles Verhalten in 3,5 %, Kaufsucht in 5,7 % und zwanghaftes Essverhalten in 4,3 %).
Impulskontrollstörungen waren etwa 2- bis 3,5-mal häufiger bei den Patienten, die einen Dopaminagonisten einnahmen, als bei denen, die nicht auf Dopaminagonisten eingestellt waren. Weitere Variablen, die mit Impulskontrollstörungen assoziiert waren: jüngeres Alter, Familienstand ledig, Zigarettenrauchen und eine positive Familienanamnese bezüglich Spielsucht (Weintraub et al.
2010). Die Behandlung der Impulskontrollstörungen basiert mangels ausreichender Studien im Wesentlichen auf pragmatischen empirischen Empfehlungen.
Weitgehend unumstritten ist, dass eine Umstellung von Dopaminagonisten auf L-Dopa wirksam sein kann. Das sollte aber behutsam erfolgen, um das Auftreten eines Dopaminagonisten-Entzugssyndroms frühzeitig zu erkennen (Samuel et al.
2015).
Blasenstörungen
Blasenstörungen
betreffen im Langzeitverlauf praktisch alle Parkinson-Patienten. Hauptprobleme sind die Nykturie (bei mehr als 60 %), der imperative Harndrang (33–54 %) sowie die Pollakisurie (erhöhte Miktionsfrequenz) (16–36 %) (Campos-Sousa et al.
2003; Sakakibara et al.
2001). Früh im Verlauf auftretende Blasen- und
Erektionsstörungen sind typisch für eine
multiple Systematrophie. Der Normaldruckhydrozephalus und das vaskuläre Parkinson-Syndrom bei subkortikaler vaskulärer Enzephalopathie gehen regelhaft mit Blasenstörungen einher. Eine suffiziente Dopaminersatztherapie ist Grundlage der Therapie. Daneben stehen für den imperativen Harndrang Anticholinergika, α-Blocker bei Entleerungsstörungen, in Einzelfällen Desmopressin und Botulinumtoxin zur Verfügung. Alle Studien wurden zur hyperaktiven Blase bei nichtneurologischen Patienten durchgeführt. Daher sind die Medikamente zur Therapie der Blasenstörungen bei Parkinson-Syndrom eigentlich off-label. Somit können auch andere Medikamente eingesetzt werden, die keine urologische Indikation haben, z. B. Amitriptylin in Tropfen-Form lässt sich gut titrieren. Neben der Wirkung auf den imperativen Harndrang beeinflusst Amitriptylin positiv den vermehrten Speichelfluss, begünstigt das Durchschlafen und bessert Schmerzen.
Während der Therapie mit Anticholinergika sollte der Restharn nach Miktion sonografisch immer wieder bestimmt werden. Substanzieller Restharn von >100 ml (Sonografiekontrolle) ist die Indikation für intermittierende Selbst- oder Fremdkatheterisierung. In fortgeschrittenen Stadien der IPS kann ein urethraler oder suprapubischer Katheter notwendig werden.
Die negativen Effekte der anticholinergen Blasenmedikamente auf Kognition bis hin zur
Verwirrtheit und
Halluzinationen stellen bei Parkinson-Patienten immer wieder ein nicht zu unterschätzendes Problem dar.
Hinzu kommen die Müdigkeit, Mundtrockenheit, Akkomodationsstörungen,
Obstipation, periphere
Ödeme sowie der akute Harnverhalt als unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW). In Kombination mit anticholinergen Parkinson-Medikamenten, auch Amantadin und Budipin, werden diese UAW der urologischen Anticholinergika natürlich potenziert.
Weitere autonome Störungen: Erektionsstörungen, orthostatische Hypotonie, Obstipation
Erektiles Versagen kann durch Phosphodiesterase(PDE)-5-Hemmer wie Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil bei Parkinson-Patienten am einfachsten behandelt werden. Intrakavernosale Injektionen von Papaverin oder ein Penisimplantat sind bei Parkinson-Patienten mögliche Alternativen.
Eine behindernde
orthostatische Hypotonie entwickelt sich bei etwa 30 % der Patienten mit fortgeschrittenem Parkinson-Symptom und früh im Verlauf bei der
multiplen Systematrophie. Nichtpharmakologische Strategien wie elastische Stützstrümpfe bzw. Strumpfhosen, salzreiche Ernährung, häufige kleine Mahlzeiten, nächtliches Hochstellen des Bettkopfendes und langsames Aufstehen aus der Sitzposition sollten versucht werden, sind aber selten effektiv. Wichtiger ist die Überprüfung, ob Blutdruckmedikamente,
Betablocker,
Diuretika und Dopaminagonisten sinnvoll eingesetzt werden. Domperidon (Motilium), das auch zur Resorptionsbeschleunigung von Dopa und gegen hartnäckige
Obstipation eingesetzt wird, ist außerdem nach einer Studie (n=17) mindestens so wirksam wie Fludrocortison (0,1–0,3 mg) bei der orthostatischen Hypotonie
von Parkinson-Patienten (Schoffer et al.
2007). Pyridostigmin 60 mg in und ohne Kombination mit Midodrin (3-mal 2,5–10 mg) verbessert orthostatische Hypotonie auch bei MSA-Patienten (Singer et al.
2006). Ein weiteres Sympathomimetikum neben Midodrin ist Ephedrin (15–45 mg). Die Sympathomimetika sollten nicht eingesetzt werden, wenn sich die Patienten in den 2–3 h nach Einnahme hinlegen, um den häufig erhöhten Blutdruck im Liegen nicht zu steigern. Alternativ kann L-threo-DOPS (3-mal 100 mg), ein u. a. in den USA und Japan zugelassener Vorläufer von Noradrenalin, die orthostatische Hypotonie verbessern.
Für die
Obstipation gelten neben allgemeinen Maßnahmen (viel Flüssigkeit, Kultur des Stuhlgangs, Bewegung, ausgewogene ballaststoffreiche Nahrung etc.) und einer suffizienten dopaminergen Therapie die Vermeidung von anticholinergen Medikamenten. Zur gezielten medikamentösen Therapie der Obstipation speziell bei Parkinson gibt es wenige Daten, lediglich zu Macrogol, Lubiproston und Probiotika.
Akinetische Krise und perioperative Versorgung von Parkinson-Patienten
Unter akinetischer Krise versteht man eine akute Verschlechterung der hypokinetischen Parkinson-Symptomatik mit Immobilität, Dysphagie, vegetativer Begleitsymptomatik mit Tachykardie, Blutdruckanstieg,
Fieber und Schwitzen, meist mit fehlendem Ansprechen auf die Antiparkinson-Medikation.
Auslösend sind meist Medikamentenentzug und/oder Begleiterkrankungen (gastrointestinale oder pulmonale Infekte, chirurgische Eingriffe). Diese Situation ist ein neurologischer Notfall und erfordert neben supportiven, ggf. intensivmedizinischen Maßnahmen die rasche Verabreichung von Dopaminergika. Falls eine enterale Resorption über Nasensonde eines gelösten Dopa-Präparates nicht möglich ist, muss auf Amantadin-i.v.-Infusionen ausgewichen werden. Subkutane Infusionen von
Apomorphin setzen die Gabe von Domperidon voraus. Die Rolle von Rotigotin (Neupro) in der Behandlung von akinetischen Krisen und in der perioperativen sowie intensivmedizinischen Versorgung von Parkinson-Patienten ist noch Gegenstand von Untersuchungen.
Im Falle eines eine Narkose erfordernden Eingriffs sollten bei Parkinson-Patienten zunächst Regionalverfahren erwogen werden. Bei Vollnarkosen sollten die Parkinson-Medikamente wie gewohnt morgens eingenommen werden, die Anästhesie sollte so kurz wie möglich und im direkten Anschluss an die Medikamenteneinnahme geplant werden, und anschließend sollte so bald als möglich insbesondere das Dopa in Form eines löslichen Dopa-Präparates über Nasensonde verabreicht werden, ggf. mit Amantadin-Infusionen. In einigen neurochirurgischen Zentren wird vor der OP zur Implantation der
Elektroden zur
tiefen Hirnstimulation der Patient im Vorfeld auf eine Apomorphin-Pumpe eingestellt.