Einleitung
Kutane Manifestationen bei Tumorpatienten stellen eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Sie sind ein häufiges Begleitphänomen antineoplastischer Therapien, können aber auch ein Frühsymptom schwerer Toxizitätsreaktionen darstellen. Eine differenzialdiagnostische Abklärung ist deshalb stets erforderlich, wobei vielfältige Ursachen zu berücksichtigen sind. In der folgenden Übersicht sollen die wichtigsten dermatologischen Toxizitäten im Zusammenhang mit der Anwendung antineoplastischer Substanzen kurz abgehandelt werden.
Allergische Reaktionen
Kutane Überempfindlichkeitsreaktionen
(HSR)
können generalisiert oder lokalisiert auftreten. Der Schweregrad kann dabei von leichtem
Pruritus bis zu schwerstem Erythem
und
Anaphylaxie reichen. Neben den Zytostatika mit direktem allergenen Potenzial (z. B. Platinverbindungen, Bendamustin) können oft auch Hilfsstoffe in der Präparation, wie z. B. Cremophor EL (Paclitaxel) oder Polysorbat 80 (Cabazitaxel, Etoposid, Docetaxel) Hypersensitivitätsreaktionen
auslösen.
Die Abgrenzung gegen nichtallergische, medikamentös induzierte Hautreaktionen ist notwendig, da die erneute Medikamentenexposition bei allergischer Reaktionslage zu schwerwiegenderen Komplikationen in den Folgezyklen führen kann.
Kommt es bei
Hautausschlägen zunächst
-
zu locker gestreuten makulären papulösen Effloreszenzen (Grad 1),
-
die sich zunehmend verdichten (Grad 2) und
-
generalisieren (Grad 3),
besteht das erhöhte Risiko für eine lebensbedrohliche, generalisierte, exfoliative oder ulzerierende Dermatitis. So wurde beispielsweise über das Auftreten solcher schwerer Hautreaktionen unter
Capecitabin berichtet, die im Falle eines
Stevens-Johnson-Syndroms (SJS) oder einer
toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) manchmal tödlich verlaufen können. Die Häufigkeit dieser schweren Hautreaktion wird als selten eingestuft (Inzidenz <1:10.000), die Nebenwirkung wurde aber inzwischen als Warnhinweis in die Fachinformation Capecitabin-haltiger Fertigarzneimittel aufgenommen. Überlegungen zu Desensibilisierungsprotokollen werden im Kapitel Überempfindlichkeitsreaktionen näher erläutert.
Hand-Fuß-Syndrom (HFS)
Das Hand-Fuß-Syndrom
(synonym: palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom, PPES
) stellt eine krankhafte Hautveränderung dar, die v. a. an den Handinnenflächen und den Fußsohlen auftritt. Als eine mögliche Ursache wird bei den Zytostatika die Ausscheidung der Wirkstoffe in geringen Mengen über den
Schweiß diskutiert (z. B. Caelyx®), die eine Syringometaplasie der ekkrinen Schweißdrüsen zur Folge haben kann. Bei den antiangiogenetisch wirksamen Substanzen wird das HFS-Auftreten mit Mikrotraumen der Kapillaren in Verbindung gebracht, sodass ein mechanischer Druck zu Leakagen ins umliegende Gewebe führt.
-
Im Schweregrad 1 (nach CTC) stehen primär Rötungen, Taubheitsgefühle und lokale Schwellungen im Vordergrund.
-
Ab Grad 2 beginnen sich Blasen zu bilden, die die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und die tägliche Aktivität zunehmend beeinträchtigen.
-
Ab Grad 3 treten neben ausgeprägten Blasen und Ulzerationen auch Hautschuppungen und starke
Schmerzen auf.
Teilweise kann es auch zu Veränderungen des Fingerabdrucks kommen, sodass Verluste charakteristischer Fingerlinien im Laufe einer Chemotherapie (z. B. Capecitabin, Paclitaxel) nicht auszuschließen sind.
In Tab.
1 sind einige Vertreter aufgeführt, die häufig zu einem HFS führen. Eine wichtige allgemeine Maßnahme zur Prävention ist das Vermeiden von eng anliegender, schweißtreibender Kleidung. Mit dem Wirkstoff
Celecoxib konnte eine signifikante Reduktion der HFS-Ausprägung erreicht werden, während die orale Gabe von
Vitamin B6 in einigen Studien keine Vorteile bieten konnte. Parallel sollten pflegende Kosmetika auf der Basis von harnstoff- und milchsäurehaltigen Externa angewendet werden. Wie am Beispiel des Capecitabin sind aber auch regulatorisch vorgegebene Dosismodifikationen zu beachten (Tab.
2). Inwieweit bei Patienten mit manifestem HFS eine signifikante Linderung mit 100 mg
Vitamin E p.o. pro Tag erreicht werden kann, bedarf noch weitergehender Untersuchungen.
Tab. 1
Häufigkeitsangaben zum Auftreten eines Hand-Fuß-Syndroms (HFS)
Capecitabin | 50–60 | 10–17 |
Cytarabin | 14–33 | k.A. |
Docetaxel | 6–37 | 0– 4 |
Pegyliertes liposomales Doxorubicin | 40–50 | 20 |
5-FU (Bolus) | 6–13 | 0,5 |
5-FU (Dauerinfusion) | 35 | 7 |
Pazopanib | 11 | 2 |
Sorafenib | 34–48 | 9–30 |
Sunitinib | 10–28 | 4–12 |
Vemurafenib | 10 | |
Tab. 2
Empfehlungen zur Dosismodifikation von Capecitabin (Monotherapie) beim Auftreten eines Hand-Fuß-Syndroms
Grad 1 | | Dosis wird beibehalten | Dosis wird beibehalten |
Grad 2 | 1. Manifestation | Unterbrechen bis wieder Grad ≤1 erreicht ist | 100 |
| 2. Manifestation | Unterbrechen bis wieder Grad ≤1 erreicht ist | 75 |
| 3. Manifestation | Unterbrechen bis wieder Grad ≤1 erreicht ist | 50 |
| 4. Manifestation | Therapieabbruch | – |
Grad 3 | 1. Manifestation | Unterbrechen bis wieder Grad ≤1 erreicht ist | 75 |
| 2. Manifestation | Unterbrechen bis wieder Grad ≤1 erreicht ist | 50 |
| 3. Manifestation | Therapieabbruch | – |
Grad 4 | 1. Manifestation | Therapieabbruch; u. U. Weiterführung, wenn Grad ≤1erreicht wird | 50 |
Akneoide Reaktionen, Xerosis und Pruritus
Antineoplastisch wirksame Substanzen
, die gegen den EGFR1-Rezeptor und die damit verbundene Signaltransduktion gerichtet sind, führen sehr häufig zu akneiformen Exanthemen unterschiedlicher Ausprägung (Tab.
3). Sehr wahrscheinlich führt die EGFR-Blockade
an normalen Hautzellen zu einer Expressionssteigerung von p27 (Kip1) mit der Folge einer Zellapoptose und Promotion bzw. Differenzierung von Keratinozyten. Interessanterweise scheint unter dem weiterentwickelten EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor
Osimertinib die Inzidenz an akneoiden Reaktionen vom Grad ≥3 vergleichsweise gering zu sein (Tab.
3), was mit einer geringeren
Affinität an entsprechenden Wildtyptyrosinkinasen in Zusammenhang stehen dürfte.
Tab. 3
Inzidenz der Hautreaktionen (v. a. Exantheme und akneoide Reaktionen) unter EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor auf der Basis verschiedener randomisierter Studien
Afatinib | >80 | 14–16 |
Erlotinib | 73–80 | 2–13 |
Gefitinib | 54–66 | 0,5–13 |
Osimertinib | 34 | 1 |
Cetuximab | 81,6 | 6,5 |
Panitumumab | 90 | 14 |
Klinisch handelt es sich um
papulopustulöse Hautausschläge, die meist lokalisiert im Gesicht und Körperstammbereich (inkl. Dekolleté) auftreten. Liegt ein Schweregrad ≥3 vor, sind mehr als 50 % der
Körperoberfläche betroffen. Etwa 4–6 Wochen nach Absetzen des EGFR-Inhibitors kommt es wiederum zur vollständigen, narbenlosen Abheilung.
Als Prophylaxe stehen allgemein hautschonende und -pflegende Maßnahmen im Vordergrund (z. B. Vermeidung mechanischer Noxen wie Hitze oder Okklusionseffekte durch enges Schuhwerk, UV-Schutz an lichtexponierten Stellen und zweimal täglich eine Pflege mit 5–10 % harnstoffhaltigen Cremes). Darüber hinaus konnte der frühzeitige Einsatz von oralem Doxycyclin (Dosis: 2× [50–]100 mg pro Tag) oder Minocyclin (Dosis: 2 × 50 mg pro Tag) dazu beitragen, den Schweregrad zu verringern.
Liegt bereits ein
akneiformes Exanthem vor, erfolgt neben den bereits geschilderten Maßnahmen der Einsatz von antibiotikahaltigen Cremes (z. B. Metronidazol, Nadifloxacin) bei
Grad-1-Ausprägungen. Im Falle einer
Grad-2-Reaktion sind zusätzlich topische Steroide (z. B. Prednicarbat) vorzusehen.
Schwerere Formen erfordern schließlich Dosismodifikationen bzw. Therapieunterbrechungen (gemäß Fachinformation) sowie eine systemische Behandlung mit
Glukokortikoiden und
Antibiotika (nach Bedarf).
Etwa
3–4 Wochen nach Therapiebeginn sind die akneoiden Exantheme langsam rückläufig, gleichzeitig beginnt eine Phase ausgeprägt trockener Haut (Xerosis
). In diesem Zusammenhang sollte vor allem auf
feuchtigkeitsspendende Cremes mit hohem Fettgehalt geachtet werden (z. B. Excipial Lipocreme® für das Gesicht und Excipial U Lipolotio® für den Körper). Teilweise kann bei starkem Juckreiz der topische Einsatz von Klasse-II- (z. B. Prednicarbat) oder Klasse-III-Glukokortikoiden (z. B. Mometason) erforderlich werden. Parallel kann der
Pruritus mit Polidocanol-haltigen Externa (z. B. Optiderm®) und oralen H1-Antihistaminika (z. B. Aerius®, Xusal®) eingedämmt werden.
Etwa 1,5–2 Monate nach Therapiebeginn mit den genannten antineoplastisch wirksamen Substanzen folgt schließlich eine Phase, die mit dem häufigen Auftreten von Fissuren verbunden ist. Neben antiseptischen Bädern und Hydrokolloidverbänden zur Nacht (z. B. Varihesive extradium®) wird bei Bedarf immer wieder auch auf den Einsatz von Cyanacrylatklebern (z. B. Dermabond®, Trueglue®) verwiesen, um die Symptome zu mildern. Weitergehende Studienergebnisse hierzu liegen allerdings nicht vor.
Nagelveränderungen
An den Finger- und Zehennägeln
können durch verschiedene Chemotherapien – allen voran das Taxan
Docetaxel – Wachstumsveränderungen und Pigmentanomalien hervorgerufen werden.
Nagelhyperpigmentationen sind nach
-
Doxorubicin,
-
Cyclophosphamid,
-
Melphalan,
-
-
Bleomycin und
-
Capecitabin
beschrieben worden.
Wachstumsstörungen und Nagelablösungen (
Onycholysen) traten vorwiegend nach
-
Doxorubicin,
-
Bleomycin,
-
Docetaxel,
-
5-Fluorouracil und
-
Hydroxyurea
auf. Beim Docetaxel kann mithilfe von Kältehandschuhen während der Infusionen das Ausmaß der Onycholyse signifikant reduziert werden. Bei Bedarf kann diese Maßnahme auch an den Füßen erfolgen.
Bei verschiedenen
Tyrosinkinaseinhibitoren, die gegen den EGFR1-Rezeptor gerichtet sind oder die antiangiogenetisch wirken, ist im Laufe der Therapie mit
Paronychien zu rechnen, die auch Sekundärinfektionen nach sich ziehen können. Für viele Patienten ist diese Nagelveränderung oft sehr schmerzhaft und mit einer Einschränkung der
Lebensqualität verbunden, da es das Gehen bzw. normale Benutzen der Finger einschränken kann. Bedauerlicherweise sind die Supportivmaßnahmen in diesem Zusammenhang sehr begrenzt, sodass primär mit lokalen Antiseptika (z. B. Octenisept Bad
®) und Antimykotika (z. B. Batrafen
® Creme oder Lösung) das Risiko von Sekundärinfektionen eingedämmt wird. Systemisch werden orale Tetracycline eingesetzt (z. B. Oraycea
® mit 40 mg Doxycyclin in retardierter Freisetzung). Symptomorientiert kann bei Bedarf auf orale Antiphlogistika zurückgegriffen werden.
Hyperpigmentation
Verschiedene Tumortherapeutika können zur Veränderung der Hautpigmente führen, wobei eine Hyperpigmentation sehr viel häufiger als eine Hypopigmentation (z. B. Veränderung der Haarfarbe unter Cetuximab) zu beobachten ist. Im Allgemeinen sind diese Reaktionen nur von kosmetischer Bedeutung. Pathophysiologisch wird eine therapieinduzierte Ausschüttung von ACTH und MSH, den stimulierenden Hormonen der Melanozyten, postuliert.
Zu den typischen Substanzen gehören
-
Bleomycin,
-
Busulfan,
-
Cyclophosphamid,
-
Hydroxyurea und
-
Thiotepa.
Die kutane Hyperpigmentation hält oft über mehrere Monate an. Vermeidung von Sonnenexposition während der Therapie kann ihre Ausprägung wahrscheinlich reduzieren.
Phototoxizität
Die zytostatikainduzierte Photosensibilität und -toxizität ist eine kutane Reaktion, die sich durch eine verstärkte Hautreaktion gegenüber Sonnenexposition auszeichnet. Dabei können die Reaktionen auch bei einer Sonnenexposition hinter Glasscheiben (z. B. Autofahren) oder Besonnung in dünner Kleidung auftreten.
Typisch sind Soforterytheme verbunden mit lokalem Brennen und Stechen. Etwa 8–24 Stunden später kommt es zu einem verstärkten Sonnenbrand, lang anhaltenden Pigmentierungen und Pseudoporphyrien.
Eine
erhöhte Photosensitivität wurde v. a. nach Gabe von
-
Dacarbazin,
-
5-Fluorouracil,
-
Vinblastin,
-
Procarbazin,
-
-
Azathioprin und
-
BRAF-Inhibitoren
beschrieben. Meidung der Sonnenexposition stellt die effektivste kausale Prophylaxe dar.
Verstärkung von Strahlenreaktionen (Recall-Phänomen)
Die Haut stellt den Hauptmanifestationsort
für die Verstärkung strahleninduzierter Effekte von Zytostatika dar. Typisch sind in diesem Zusammenhang
Erytheme und trockene
Desquamationen der Haut. Obwohl diese Erscheinungen als
Recall-Phänomene bezeichnet werden, können sie auftreten, wenn die Bestrahlung nicht nur vor oder gleichzeitig mit einer Medikamentenanwendung, sondern auch erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte. Zu den häufigsten ein Recall-Phänomen auslösenden Chemotherapeutika gehören die
Anthrazykline. Darüber hinaus wurden derartige Reaktionen nach
-
Actinomycin D,
-
Bleomycin,
-
Cytarabin,
-
Docetaxel,
-
5-Fluorouracil,
-
-
Paclitaxel,
-
Gemcitabin und
-
Vincaalkaloiden
beschrieben. Der zugrunde liegende Pathomechanismus ist nicht bekannt. Es existieren Hinweise, dass Recall-Phänomene seltener auftreten, wenn die erwähnten „Risikosubstanzen“ verzögert bis zu 10 Tage nach der Bestrahlung eingesetzt werden.
Immunassoziierte Hautreaktionen
Nach Einführung des ersten Checkpointinhibitors Ipilimumab, einem CTLA4-Antikörper, wurde über das sehr häufige Auftreten von Exanthemen unter laufender Therapie berichtet.
Mit juckreizstillenden Externa (z. B. Optiderm® Creme oder Eucerin® Repair Lotion) waren die makulopapulösen Hautreaktionen relativ rasch rückläufig. Bei Bedarf können topische
Glukokortikoide eingesetzt werden. In seltenen Fällen ist das Auftreten von
Vitiligo unter Ipilimumab beschrieben worden. Generell sind entsprechende Reaktionen auch unter PD1- und PDL1-Inhibitoren zu erwarten, allerdings liegt die Inzidenz entsprechender Reaktionen deutlich niedriger im Vergleich zum CTLA4-Inhibitor Ipilimumab.
Hauttumoren unter BRAF-Inhibitoren
Im Rahmen einer Therapie mit dem BRAF-Inhibitor Vemurafenib wurde bei 15–26 % der Patienten nach 2–36 Wochen über das Auftreten benigner und maligner epithelialer Hauttumoren wie Plattenepithelkarzinome und Keratoakanthome – insbesondere in sonnenexponierten Arealen – berichtet. Molekularbiologische Untersuchungen konnten zeigen, dass eine zunehmende HRAS-Mutation und paradoxe Aktivierung der MAPK-Signaltransduktion in Wildtypzellen mit diesen Hautveränderungen in Verbindung gebracht werden konnte. Wird der BRAF-Inhibitor wiederum mit einem MEK-Inhibitor (z. B. Trametinib, Cobimetinib) kombiniert, wird die Häufigkeit solcher sekundären Hauttumoren bzw. Vorstufen deutlich reduziert.