Grundlagen
Diese rechtliche Systematik geht von einer grundsätzlichen Hilfeleistungspflicht des Arztes für kranke Patienten aus, die ihre Grenze aber im selbstbestimmten Willen des Patienten findet. Weil für die ärztliche Hilfe in die grundrechtlich geschützte körperliche Integrität der Person (Art 2. GG) eingegriffen werden muss (Bundesgerichtshof
2010), braucht ein medizinischer Eingriff neben der durch den behandelnden Arzt mit Blick auf ein bestimmtes Therapieziel zu stellenden Indikation (Lipp
2015) immer auch die Zustimmung des Patienten (Duttge
2013; Dörries
2015). Damit wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Abwehrrecht konzipiert: Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass der Patient Anspruch auf ärztliche Unterstützung hat, wenn kein medizinisch zu vertretendes Therapieziel vorliegt. Aus berufsethischer Perspektive stellt sich darum die Frage nach den
Zielen ärztlichen Handelns. Sie ist in den Grundsätzen der
Bundesärztekammer zur ärztlichen
Sterbebegleitung (Bundesärztekammer
2011) beantwortet:
„Aufgabe des Arztes ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen“ (
Bundesärztekammer 2011: A 346).
Das
Herbeiführen des Todes ist keine ärztliche Aufgabe und kann daher auch nicht von Patienten eingefordert werden. Das hat die
Bundesärztekammer auch angesichts der nun geänderten Berufsordnung nochmals betont. Sie hält daran fest, dass Suizidhilfe keine Aufgabe des Arztes ist, auch wenn sie sie nicht mehr verbietet (Bundesärztkeammer
2021). Hingegen ist ein Arzt verpflichtet, die körperliche Integrität des Patienten zu respektieren, und muss darum, wenn der Patient dies so will, ein
Sterben des Patienten zulassen.
In ethischer Perspektive drückt sich im Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten die Entscheidung aus, dass moralische Überzeugungen über eine gute Lebensführung der individuellen Beurteilung Einzelner zu überlassen sind und darum deutlich von moralischen Fragen danach, was für alle zu akzeptierende Regeln des richtigen Handelns sind, zu unterscheiden sind (Rawls
1995; Habermas
1991). Darum kann nur der Patient selbst dem behandelnden Arzt mitteilen, was das Gute ist, dass der Arzt ihm tun kann. Die damit sich stellende Frage nach dem
Patientenwillen wäre allerdings nicht relevant, wenn nicht schon vorausgesetzt würde, dass es eine Pflicht des Arztes gibt, für das Wohl des Patienten zu sorgen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten besteht darin, dass er allein bestimmen kann, was für ihn Wohl oder Schaden ist, und es begründet darum keinen Anspruch auf Hilfe über die begründbaren Fürsorgepflichten des Arztes hinaus.
Die Diskussion über die Hilfe zur Selbsttötung
Vor diesem Hintergrund stellt sich die ethische Diskussion über die Bewertung der Hilfe zur Selbsttötung in erster Linie als ein Konflikt von
Fürsorgepflichten dar und weniger als eine Diskussion über den Status des
Selbstbestimmungsrechts des Patienten (Schaber
2017). Denn strittig ist nicht, dass jeder das Recht hat, sein eigenes Leben durch einen
Suizid zu beenden – vorausgesetzt er oder sie ist urteilsfähig. Die ethische Frage nach der Hilfe zur Selbsttötung unterscheidet sich von der ethischen Frage nach der Bewertung des Suizids dadurch, dass eine andere Person um Hilfe bei der Selbsttötung gebeten wird. Für diese Person stellt sich dann die Frage, ob sie dem anderen, der sich selbstbestimmt für einen Suizid entschieden hat, vor dem Hintergrund ihrer Sorgeverpflichtungen für diese Person dabei helfen kann oder darf.
Abzuwägen sind hier insbesondere die Pflichten des Lebensschutzes und des Wohltuns. Hält man die Pflicht zum Lebensschutz für kategorisch und nicht gegenüber anderen Pflichten abwägbar, so folgt daraus eine kategorische Ablehnung der Hilfe zur Selbsttötung (so z. B. die Position der katholischen Kirche). Hält man die Pflicht zum Lebensschutz zumindest für abwägbar gegenüber der Pflicht, dem Patienten Wohl zu tun, so folgt daraus ein moralisches Dilemma, wenn der Patient daran festhält, dass das einzige Wohl, das ihm noch getan werden kann, der eigene Tod ist (so z. B. die die Position der evangelischen Kirche in Deutschland). Gewichtet man hingegen die Pflicht, Wohl zu tun, in Verbindung mit dem Recht einer jeden Person, für sich selbst zu bestimmen, was ihr Wohl ist, deutlich höher als die Pflicht, Leben zu schützen, so folgt daraus eine Befürwortung der Hilfe zur Selbsttötung.
Ausschlaggebend kann in dieser Diskussionslage eine Berücksichtigung sozialethischer Argumente sein (Dabrock
2015; Coors
2017): Selbst wenn man es grundsätzlich für zulässig hält, anderen bei der Selbsttötung zu helfen, kann man mit Blick auf die Situation schwacher und kranker Menschen in einer ganz auf selbstbestimmte Lebensführung hin orientierten Gesellschaft begründet die Sorge haben, dass eine völlige Freigabe der Hilfe zur Selbsttötung dazu führen könnte, dass Menschen, die dem hohen Maßstab einer selbstbestimmten Lebensführung nicht mehr gerecht werden können, es irgendwann für selbstverständlich hielten, dass ihr Leben eine ungebührliche Last für die Gesellschaft sei und darum durch
Suizid beendet werden müsse. Dafür, dass solch eine Situation eintreten könnte, spricht, dass unser selbstbestimmtes Entscheiden immer vor dem Hintergrund von sozial konfigurierten Handlungsoptionen geschieht, die immer auch schon mit einer sozial konfigurierten Bewertung bezüglich dessen einhergehen, was erwartetes Verhalten ist. Um eine Situation zu vermeiden, in der es für irgendeinen Menschen zur sozial erwarteten Option werden könnte, sich selbst zu töten, kann man es für angemessen erachten, Formen der Hilfe zur Selbsttötung zu verbieten, die diese zu einem Normalfall werden lassen. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinem Urteil aus dem Februar 2020 dieser Auffassung nicht gefolgt. Das ändert allerdings nichts daran, dass man hier ethisch begründet anderer Auffassung sein kann.