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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 15.06.2022

Nervensystem, spezielle Messverfahren im Schlaf

Verfasst von: Thorsten Schäfer
Spezielle Messverfahren dienen der globalen oder lokalen Aktivitätsmessung des Nervensystems, insbesondere auch während des Schlafs. Unterscheiden lassen sich elektrophysiologische und bildgebenden Verfahren. Zu ersteren zählen das quantitative Elektroenzephalogramm (EEG) mit weiterführenden Analyseverfahren, wie Power-Spektren, EEG-Mapping, Kohärenzanalyse, nichtlineare Verfahren, Averaging und Neurographie, zu den bildgebenden Verfahren zählen die Magnetresonanztomographie (MRT), die Positronenemissionstomographie (PET) sowie die transkranielle Doppler-Untersuchung. Durch diese Methodenvielfalt sind die verschiedenen Komponenten des Nervensystems einer Aktivitätsmessung zugänglich.

Englischer Begriff

nervous system, special measuring methods during sleep

Definition

Das Nervensystem gliedert sich in Zentralnervensystem, bestehend aus Gehirn und Rückenmark, und peripheres Nervensystem mit Hirnnerven und Spinalnerven. Eine besondere Rolle fällt dem vegetativen respektive Autonomen Nervensystem (siehe „Autonomes Nervensystem“) zu, das nicht dem direkten Einfluss von Willen und Bewusstsein unterworfen ist. Spezielle Messverfahren dienen der globalen oder lokalen Aktivitätsmessung des Nervensystems, insbesondere auch während des Schlafs. Unterscheiden lassen sich elektrophysiologische und bildgebenden Verfahren. Zu ersteren zählen das quantitative Elektroenzephalogramm (EEG) (Thakor und Tong 2004) mit weiterführenden Analyseverfahren, wie Power-Spektren, EEG-Mapping, Kohärenzanalyse, nichtlineare Verfahren, Averaging und Neurographie, zu den bildgebenden Verfahren zählen die Magnetresonanztomographie (MRT), die Positronenemissionstomographie (PET) sowie die transkranielle Doppler-Untersuchung. Durch diese Methodenvielfalt sind die verschiedenen Komponenten des Nervensystems einer Aktivitätsmessung zugänglich.

Messverfahren

Elektrophysiologische Messverfahren

Das „Elektroenzephalogramm“ (EEG), auch Hirnstrombild genannt, ist Ausgangssignal für eine Vielzahl spezieller Messverfahren der Hirnaktivität. Über Elektroden auf der unverletzten Kopfhaut werden langsame Potenzialschwankungen im Mikrovoltbereich abgeleitet, die auf der Aktivität oberflächlicher Nervenzellen der Großhirnrinde beruhen (Abb. 1A). Aufgezeichnet werden die Potenzialschwankungen gegen die Zeit. Auf dem Elektroenzephalogramm beruht unter anderem auch die Schlafstadienanalyse. Durch die hirnelektrische Aktivität werden schwache magnetische Felder hervorgerufen. Sie können mittels Magnetenzephalographie (MEG) aufgezeichnet werden. Diese technisch aufwendige Methode bietet gegenüber dem Elektroenzephalogramm den Vorteil einer höheren räumlichen Auflösung der Entstehungsorte elektrischer Aktivität der Großhirnrinde.
Unter besonderen Bedingungen – etwa bei der Diagnostik von Epilepsieherden – werden Potenzialschwankungen des Gehirns durch implantierte EEG-Elektroden aus tieferen Hirnregionen abgeleitet, als sogenannte Quellenableitungen.
Frequenzanalyse
Unterzieht man das (digitalisierte) Elektroenzephalogramm einer Frequenzanalyse, beispielsweise mittels schneller Fourier-Transformation, der Fast-Fourier-Transformation (FFT), erhält man ein Histogramm der in dem untersuchten Zeitintervall auftretenden Frequenzen des EEG-Signals mit Quantifizierung ihrer Amplitude oder Power und ihrer Phasenlage (Abb. 1B). Zur Vereinfachung fasst man die Amplituden oder die Power zu 5 Frequenzbändern zusammen (Tab. 1).
Tab. 1
Einteilung der Frequenzbänder wie sie in der Spektralanalyse des Elektroenzephalogramms Verwendung findet
Bezeichnung
Frequenzen
Delta-(δ-)Band
0,1 bis unter 4 Hz
Theta-(θ-)Band
4 bis unter 8 Hz
Alpha-(α-)Band
8 bis unter 13 Hz
Beta-(β-)Band
13 bis unter 30 Hz
Gamma-(γ-)Band
>30 Hz
Diese Frequenzanalyse, auch Spektralanalyse genannt, bildet neben der Mustererkennung spezifischer Graphoelemente im Elektroenzephalogramm die Grundlage für die computerunterstützte Schlafstadienbestimmung. Es ist anzumerken, dass die Frequenzen im Deltaband in der Schlaf-EEG-Auswertung nach Rechtschaffen und Kales per Definition 0,5–3,5 Hz betragen (siehe auch „Polysomnographie und Hypnogramm“).
Brain Mapping
Brain Mapping dient der Darstellung der EEG-Aktivität in den in Tab. 1 genannten Frequenzbändern projiziert auf die Kopfoberfläche. Hierzu wird das Elektroenzephalogramm mit bis zu 20 und mehr Elektroden, die nach dem 10–20-System auf der Kopfhaut platziert werden, aufgezeichnet. Hieraus werden mittlere Frequenzspektren und die Power der Frequenzbänder errechnet und farbkodiert auf der Schädeloberfläche dargestellt (Abb. 1D). Diese Maps können statisch sein, das heißt, sie geben die Verteilung der EEG-Amplituden eines definierten Zeitraums wieder. Dynamische Maps in Form animierter Bildfolgen geben einen Eindruck über die zeitliche und räumliche Veränderung der Hirnaktivität.
Kohärenzanalyse
Basierend auf EEG-Registrierungen lassen sich durch die mathematischen Verfahren der Autokorrelation und Cross-Korrelation lineare Rhythmen und Synchronisationsgrad der hirnelektrischen Aktivität messen. Mittels Kohärenzanalysen (Abb. 1C) werden Informationen über die Funktion des neuronalen Netzwerks im Schlaf zugänglich (Duckrow und Zaveri 2005).
Nonlineare Analyseverfahren
Aufgrund der Nichtlinearität des EEG-Signals finden Analyseverfahren der nonlinearen Dynamik Anwendung. Untersucht werden beispielsweise Komplexität, Korrelationsdimension D2, größter Lyapunov-Exponent LI und die Kolmogorof-Entropie K2. Die Ergebnisse werden im Phasenraum oder als Koeffizienten dargestellt und geben Auskunft über den Organisationsgrad, die nichtlineare Rhythmizität und den Synchronisationsgrad von Signalen (Fell et al. 1996).
Averaging ereigniskorrelierter Potentiale (ERP)
Während und nach sensorischen, motorischen oder psychischen Ereignissen treten im Elektroenzephalogramm spezifische Potenziale auf, deren Amplituden jedoch sehr gering und daher als Einzelpotenziale nicht messbar sind. Wiederholt man jedoch standardisierte Reize viele 100- bis 1000-mal und summiert beziehungsweise mittelt kurze EEG-Abschnitte vor, während und nach dem Reiz, werden diese evozierten (EP) oder ereigniskorrelierten Potenziale (ERP) sichtbar. Sie entstehen durch synchrone synaptische Aktivität der Pyramidenzellen und ihrer Dendriten. Mittels akustisch beziehungsweise visuell evozierter Potenziale lassen sich Hör- beziehungsweise Sehbahn überprüfen. Ausgewertet werden die Amplituden und Latenzen der ereigniskorrelierten Potenzialschwankungen.
Neurographie
Unter Elektroneurographie versteht man die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit. Der entsprechende periphere Nerv wird durch Reizelektroden depolarisiert, die fortgeleiteten Aktionspotenziale werden als extrazelluläres Summenaktionspotenzial über Elektroden in definiertem Abstand zu den Reizelektroden registriert. Aus der Zeitlatenz errechnet sich die Nervenleitgeschwindigkeit. Bei der Mikroneurographie werden feinste Nadelelektroden in periphere Nerven eingebracht, die die Ableitung der Aktivität weniger Nervenfasern ermöglichen. Anwendung findet diese Technik zum Beispiel bei der Messung der sympathischen Nervenaktivität im Schlaf. Hier leistet die Neurographie einen wichtigen Beitrag bei der Bestimmung der sympathischen Aktivierung, etwa in Folge von Apnoen bei Schlafbezogenen Atmungsstörungen. Die Invasivität der Mikroneurographie und die mögliche Schlafstörung durch die periphere Reizung bei der Neurographie stellen Grenzen der Anwendbarkeit beider Methoden im Schlaf dar.

Bildgebende Verfahren – Neuroimaging

Elektrophysiologische Verfahren werden zunehmend durch bildgebende Verfahren ergänzt, die den Zustand und die Dynamik neuronaler Aktivität darstellen können. Während die im Schlaf einsetzbaren elektrophysiologischen Verfahren in der Regel auf oberflächennahe Bereiche des Nervensystems beschränkt sind, ermöglichen bildgebende Verfahren einen „tieferen“ Einblick in die Hirnaktivität. Hierdurch werden auch Strukturen zugänglich, die eine wichtige Rolle in der Schlafregulation einnehmen.
Verschiedene Verfahren (Nofzinger 2005) haben sich hierbei bewährt:
Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)
Aktive Hirnareale können mittels funktioneller Magnetresonanztomographie, auch Kernspinresonanztomographie oder Kernspintomographie genannt, detektiert werden. Die räumliche Auflösung liegt bei 1–3 mm. Gemessen werden Dichte und Relaxationszeiten magnetisch angeregter Protonen. Die Anregung erfolgt mittels um den Patienten angeordneter Elektromagneten, die starke, kurzdauernde Feldimpulse von bis zu 7 Tesla erzeugen. Neuronale Aktivität im Zentralnervensystem führt zu einer gesteigerten lokalen Durchblutung mit sauerstoffreichem Blut. Oxygeniertes Blut ist weniger paramagnetisch, wodurch angeregte Protonen langsamer in den Ausgangszustand zurückkehren, sodass die Magnetresonanz länger anhält und ein stärkeres Signal im Magnetresonanztomogramm entsteht.
SPECT und PET
Zu den tomographischen nuklearmedizinischen Verfahren zählen die „single photon emission computed tomography“ (SPECT) und die Positronenemissionstomographie („positron emission tomography“; PET). Beide Verfahren nutzen Gammakameras, die Gammastrahlen von injizierten Radioisotopen aufnehmen. Je nach Beschaffenheit des injizierten Präparats können regionale Durchblutungs- oder Stoffwechselunterschiede bildlich und im Zeitverlauf dargestellt werden. Durch Überlagerung mit den anatomischen Daten aus Kernspin- (MRT) oder Computertomographie (CT) gelingt die dreidimensionale Zuordnung der funktionellen Messungen zu anatomischen Strukturen, etwa beim SPECT-CT-3D-Verfahren. Während die SPECT mit langlebigeren Radioisotopen des Technetiums, Jods oder Xenons arbeitet, werden bei der PET Radioisotope des Kohlenstoffs, Stickstoffs, Sauerstoffs oder Fluors mit Halbwertszeiten im Sekunden- bis Minutenbereich verwendet. Bei der PET wird nicht nur eine zirka vierfach höhere Auflösung gegenüber der SPECT erzielt, es können auch Verteilungen und Anreicherungen an isotopenhaltigen physiologischen Substanzen nachverfolgt werden. Die notwendigen Isotope müssen in der Regel vor Ort hergestellt werden. Hierdurch ist das Verfahren vergleichsweise teuer. Die räumliche Auflösung liegt derzeit bei 4–8 mm, die zeitliche Auflösung bei ca. 1 Sekunde.

Transkranielle Doppler-Untersuchung

Transkranielle Doppler-Ultraschallsonographie ermöglicht die Messung der Strömungsgeschwindigkeiten in den proximalen basalen Hirnarterien Arteriae cerebri media, anterior und posterior. Mit entsprechender Fixierung des Schallkopfs gelingen mit dieser Technik auch Langzeitmessungen der Hirndurchblutung im Schlaf. Von besonderem Interesse sind hier die physiologischen Einflüsse der Schlafphasen auf die Autoregulation der Hirndurchblutung in Abgrenzung zu pathologischen Prozessen etwa im Rahmen von Sauerstoffmangelzuständen bei Schlafbezogenen Atmungsstörungen oder Hyperventilation bei kardialen Erkrankungen.

Aktivitätsmessung des autonomen Nervensystems (ANS)

Die Aktivität von Komponenten des Autonomen Nervensystems (siehe „Autonomes Nervensystem“) kann direkt, beispielsweise durch Messung der sympathischen nervalen Aktivität (SNA) (Somers et al. 1993) an oberflächlichen Hautnerven, oder mittels hochauflösender funktioneller Bildgebung (Macey et al. 2016) erfolgen. Unter Verwendung der Mikroneurographie werden sympathische Vasomotorennerven abgeleitet, die Blutgefäße der Muskulatur innervieren. Indirekt kann die Aktivität des autonomen Nervensystems durch geeignete Messung, beispielsweise der Auswirkungen am Herzen, den Gefäßen und der Schweißdrüsen, bestimmt werden. Hierzu zählen die lineare und nonlineare Analyse der Herzfrequenzvariabilität, die periphere arterielle Tonometrie (siehe „Periphere arterielle Tonometrie (PAT) und Pulsintensität“), die Pulstransitzeit-Bestimmung (PTT), die Bestimmung der Baroreflex-Sensitivität, die Messung der Schweißproduktion (Evaporimetrie), die Messung der spontanen Pupillenoszillationen in Dunkelheit (Pupillographie), die Bestimmung der elektrodermalen Aktivität (EDA; siehe „Elektrodermale Aktivität“), die Bestimmung von Neurotransmitter- und Hormonmetaboliten des autonomen Nervensystems in Körperflüssigkeiten wie Speichel und Urin und weitere Verfahren.

Auswerteverfahren, Bewertung

Die Auswertung der genannten speziellen Messverfahren zur Erfassung neuronaler Aktivität erfolgt in der Regel computergestützt. Die elektrophysiologischen Verfahren geben Auskunft über zeitliche Änderungen der Aktivität. Ihre topographische Auswertung mittels Brain Mapping von EEG- oder EMG-Signalen visualisiert auch die lokalen Aktivitätsunterschiede. Die genannten bildgebenden Verfahren lassen aufgrund ihrer größeren „Eindringtiefe“ eine dreidimensionale Analyse der Aktivitätsquellen und örtlichen Ausrichtungen selbst im Zeitverlauf zu. Entsprechende 3D-Visualisierungsprogramme helfen bei der Nachverfolgung der Aktivitätsmuster. Bewertet werden Änderungen zwischen Wach- und Schlafzustand sowie die Dynamik der Größen bei Durchlaufen der Schlafzyklen, die Abweichungen zwischen Gesunden und Kranken sowie die Effekte unter Therapie. Erwartet wird, dass die Verfahren einen Fortschritt im Verständnis neurogener Schlafstörungen bringen werden.

Grenzen der Methode

Messverfahren im Schlaf anwenden zu können, setzt voraus, dass sie den Schlaf nicht wesentlich stören. Hier unterscheiden sich die genannten Verfahren. Während die nichtinvasiven elektrophysiologischen Messungen zu den Routineverfahren der Schlafmedizin gehören und die Weiterentwicklungen im Wesentlichen in der anschließenden Datenverarbeitung liegen, steht der routinemäßigen Anwendung der bildgebenden Verfahren neben hohen Kosten die Geometrie und Lautstärke der Geräte im Wege. Muss der Kopf während der Messung in konstanter Position fixiert werden, führt dies zu Beeinträchtigungen des spontanen Schlafverhaltens.
Literatur
Duckrow RB, Zaveri HP (2005) Coherence of the electroencephalogram during the first sleep cycle. Clin Neurophysiol 116(5):1088–1095CrossRef
Fell J, Roschke J, Mann K, Schaffner C (1996) Discrimination of sleep stages: a comparison between spectral and nonlinear EEG measures. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 98(5):401–410CrossRef
Macey PM, Ogren JA, Kumar R, Harper RM (2016) Functional imaging of autonomic regulation: Methods and key findings. Front Neurosci 9:513CrossRef
Nofzinger EA (2005) Neuroimaging and sleep medicine. Sleep Med Rev 9(3):157–172CrossRef
Somers VK, Dyken ME, Mark AL, Abboud FM (1993) Sympathetic-nerve activity during sleep in normal subjects. N Engl J Med 328(5):303–307CrossRef
Thakor NV, Tong S (2004) Advances in quantitative electroencephalogram analysis methods. Annu Rev Biomed Eng 6:453–495CrossRef