Synonyme
Fehlwahrnehmung des Schlafzustands; Pseudoinsomnie; Schlafhypochondrie; Subjektive
Insomnie
Englischer Begriff
paradoxical insomnia; sleep state misperception
Definition
Das Hauptcharakteristikum der Paradoxen
Insomnie ist eine Beschwerde über eine ausgeprägte „Insomnie“, ohne dass es objektiv messbare Veränderungen des Schlafs gibt bzw. diese Veränderungen so leicht sind, dass sie die Beschwerde nicht erklären können. In einigen Fällen ist die Schilderung der Schlafstörung so dramatisch, dass sie physiologisch sehr unwahrscheinlich erscheint.
Die schlafmedizinischen Klassifikationssysteme ICSD (International Classification of
Sleep Disorders 1991) und
ICSD-2 (
2005) beschrieben die Paradoxe
Insomnie als eigenständige Insomnieform, während sie in der „ICSD-3“ (2014) zugunsten einer umfassenden Kategorie Chronische Insomnie nicht mehr als Störungsbild aufgeführt wird. Im
DSM-5 wird die Paradoxe Insomnie als Insomnie klassifiziert.
Genetik, Geschlechterwendigkeit
Bislang liegen keine Untersuchungen zu einer genetischen Disposition für die Paradoxe
Insomnie vor. Ebenso ist das Geschlechtsverhältnis unbekannt. Man nimmt jedoch aufgrund der allgemeinen Studien zu
Insomnien an, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer.
Epidemiologie
Genauere Zahlen zur
Prävalenz in der Bevölkerung liegen nicht vor. Für klinische Populationen wird angenommen, dass die Paradoxe
Insomnie etwa 5 % aller Patienten mit
Insomnien betrifft.
Pathophysiologie, Psychophysiologie
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“. Im Speziellen wird für Patienten mit Paradoxer
Insomnie diskutiert, ob eine Veränderung der spektralen Zusammensetzung des nächtlichen EEGs mit einer Veränderung der Schlafwahrnehmung einhergeht oder diese verursacht.
Symptomatik
Im Vordergrund steht bei der Paradoxen
Insomnie eine ausgeprägte Beschwerde über einen gestörten Schlaf, zum Teil sogar die Klage, überhaupt nicht mehr schlafen zu können. Dies deckt sich im Regelfall mit den subjektiven Daten aus „Schlaftagebücher“. Die Beschwerde über sehr wenig oder sogar keinen Schlaf wird begleitet von Berichten über nächtliche kognitive Prozesse, die dazu passen, dass diese Menschen wach sind. Neben kognitiver Hypervigilanz besteht zudem eine Hypersensibilität in Bezug auf externe Reize während der Nacht. Viele der Betroffenen äußern die Sorge, dass ihre Schlaflosigkeit möglicherweise gravierende Langzeiteffekte bezüglich Gesundheit und Lebensdauer haben könnte.
Wie andere Patienten mit
Insomnie berichten auch Patienten mit einer Paradoxen Insomnie Tagessymptome, die mit den Schlafbeschwerden im Zusammenhang stehen. Jedoch ist das Ausmaß der Tagessymptomatik im Hinblick auf Schläfrigkeit, Konzentrations- und Leistungsbeeinträchtigungen nicht so ausgeprägt, wie es bei der berichteten Schwere der Schlafstörung zu erwarten wäre. Es gibt keine Hinweise auf eine Häufung von Arbeitsunfällen oder Verkehrsunfällen bei den Betroffenen.
Die Erstmanifestation der Fehlwahrnehmung des Schlafzustandes liegt häufig im jungen Erwachsenenalter oder während des mittleren Alters. Bei Kindern und Jugendlichen ist sie eher ungewöhnlich. Sie kann Monate und Jahre andauern, ohne dass es zu Veränderungen kommt. Manche Patienten zeigen jedoch im Verlauf eine zunehmende Verschlechterung objektiver Schlafmuster (Salin-Pascual et al.
1992).
Psychosoziale Faktoren
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Komorbide Erkrankungen
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Diagnostik
Die Diagnosestellung basiert auf der „Anamnese“, „Schlaftagebücher“ und einer objektiven Messmethode, zum Beispiel der „Polysomnographie“. Eine Fremdanamnese kann zudem hilfreich sein. Daten aus Schlaftagebüchern stützen im Regelfall die Aussage der Patienten, gelegentlich gibt es aber Hinweise von Bettpartnern oder aus einer objektiven Schlafuntersuchung, die auf eine Diskrepanz zwischen subjektivem Empfinden und objektiven Befunden deuten. Eine Überschätzung der Einschlaflatenz und generell eine massive Unterschätzung der geschlafenen Zeit im Verhältnis zu dem, was objektiv bei einer „Polysomnographie“ gemessen wird, sind die zentralen Befunde bei der Paradoxen
Insomnie. Insbesondere das Ausmaß dieser Diskrepanz unterscheidet die Paradoxe Insomnie von anderen Insomnieformen.
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostisch kann es schwierig sein, die Paradoxe
Insomnie von der „Psychophysiologische Insomnie“ zu unterscheiden, da ein hoher Überlappungsgrad besteht (Edinger und Fins
1995). Im Gegensatz zu Patienten mit
Psychophysiologischer Insomnie zeigen sich bei vielen Patienten mit Paradoxer Insomnie keine den Schlaf störenden Assoziationen, die die Schlafstörung aufrechterhalten. Die Abgrenzung gegenüber
Schlafstörungen, die im Rahmen psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen auftreten, ist meist einfach, da Patienten mit einer Fehlwahrnehmung des Schlafzustandes in der Regel psychopathologisch unauffällig und durch die Schlafstörung tagsüber kaum beeinträchtigt sind.
Prävention
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Therapie
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Rehabilitation
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Nachsorge
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Psychosoziale Bedeutung
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Prognose
Entsprechend den Ausführungen bei „Insomnien“.
Zusammenfassung, Bewertung
Bei der Paradoxen
Insomnie liegt eine massive Diskrepanz der subjektiven Wahrnehmung des Schlafs gegenüber den objektiv gemessenen Befunden vor. Das Ausmaß an Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit und der Funktionsfähigkeit während des Tages steht nicht in Relation zur subjektiven Schlafstörung und ist geringer ausgeprägt als bei der
Psychophysiologischen Insomnie. Es stellt eine wissenschaftliche Herausforderung dar, zu klären, warum diese Patienten eine so massive Diskrepanz zwischen objektivem Befund und subjektivem Befinden entwickeln (Edinger und Krystal
2003). Möglicherweise gibt es hierbei einen Zusammenhang zu einer Fragmentierung des
REM-Schlafs (Riemann et al.
2012).