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Open Access 09.04.2024 | Hämangiom | Kasuistiken

Bilaterale arteriovenöse Irismalformationen

Erschienen in: Die Ophthalmologie

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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Falldarstellung

Anamnese

Eine 46-jährige Patientin stellte sich zur Abklärung in unserer Klinik vor, da dem niedergelassenen Augenarzt bei einer Routinekontrolle aufgrund von Myopie erstmalig am rechten Auge temporal eine verstärkte Gefäßzeichnung/Gefäßanomalie der Iris aufgefallen war. Eine Sehverschlechterung oder andere Beschwerden habe sie nicht. Allergien seien gegen Pferdehaar, Hausstaub und Gräser bekannt. Die Allgemeinanamnese und die Familienanamnese bezüglich Gefäßanomalien waren blande.

Befund

Bei Erstvorstellung war der Visus beidseits mit eigener Brille sehr gut (R/L: ccs 0,9; Autorefraktion: RA: S −4,50, C −2,00, A 179°; LA: S −3,75 C −2,50 A 17°) und der Tensiowert lag beidseits bei 10 mm Hg. Spaltlampenmikroskopisch zeigten sich beidseits reizfreie Befunde bis auf beidseitige Irisgefäßanomalien in blau-grünem Irisstroma, die vom Limbus bis zum Pupillarsaum zogen. Am rechten Auge befanden sich diese Gefäßveränderungen bei 8 und 10 Uhr und imponierten deutlich dilatiert und korkenzieherartig konfiguriert (Abb. 1). Auf dem linken Auge präsentierten sich ebenfalls dilatierte und gekräuselte Irisgefäße bei 2 und 9.30 Uhr (Abb. 2). Zudem war auf dem linken Auge ein erweitertes episklerales Gefäß – ein „sentinel vessel“ [1] – bei 6 Uhr erkennbar. Diese „Wächtergefäße“ können zum Teil auch in der Gonioskopie dargestellt werden [2] und finden sich häufig im gleichen Quadranten wie die arteriovenöse Malformation (AVM) [1]. Bei dieser Patientin war der Kammerwinkel jedoch zirkulär gefäßfrei und unauffällig. Fundoskopisch zeigten sich keine retinalen oder papillären Gefäßanomalien bei zentral anliegender Netzhaut. In der optischen Kohärenztomographie war die Netzhautschichtung regelrecht.
Um die Malformationen genauer zu untersuchen, wurde eine Vordere-Augenabschnitts-Fluoreszenzangiographie (VAA-FA; Abb. 3 und 4) durchgeführt. Hierin imponierten die Gefäßmalformationen arteriovenös und komplex mit in sich geschlängelten Gefäßen und Gefäßüberschneidungen [1].
Zum Ausschluss eines parabulbären tumorösen Geschehens wurde beidseits eine B‑Scan-Sonographie der Orbita gemacht, die unauffällig war. Eine Ultraschallbiomikroskopie dient dem Ausschluss von malignen Differenzialdiagnosen wie Iris- oder Ziliarkörpermelanom und sollte insbesondere bei Vorliegen eines „sentinel vessel“ genutzt werden [3].

Diagnose

Bei der Patientin zeigen sich bilaterale komplexe arteriovenöse Irismalformationen ohne weitere Pathologien. Die Literaturrecherche ergab bisher nur die Beschreibung unilateraler Iris-AVM, sodass dies bei gleichem klinischem Bild der erste beschriebene Fall einer bilateralen Manifestation von Iris-AVM eines Erwachsenen ohne gleichartige systemische Beteiligung ist. Bereits vorbeschrieben ist der Fall eines zwei Monate alten Mädchens mit diffusen Hämangiomen an Haut, Leber, Herz, Zerebellum und Iris [4]. Gegebenenfalls sollte zwischen diesen beiden Fällen eine Unterscheidung in razemöse, kapilläre und kavernöse Hämangiome vorgenommen werden. Razemöse Hämangiome finden sich vor allem bei Erwachsenen mit einem Durchschnittsalter von 55 Jahren, während kapilläre und kavernöse Hämangiome bei Kindern auftreten [5].

Therapie und Verlauf

In der Verlaufskontrolle nach 10 Monaten zeigten sich die arteriovenösen Malformationen und die weiteren klinischen Befunde stabil. Lokale Komplikationen wie Tensioerhöhung oder spontanes Hyphäma mit konsekutiver okulärer Hypertension [6] waren nicht aufgetreten. Eine cMRT war trotz Empfehlung bisher nicht durchgeführt worden.

Diskussion

In dem vorgestellten Fall handelt es sich um einen bilateralen Fall arteriovenöser Irismalformationen, auch bekannt als razemöses Irishämangiom [7]. Unter arteriovenösen Gefäßveränderungen versteht man angeborene oder erworbene Kontinuitäten zwischen Arterien und Venen ohne Zwischenschaltung eines Kapillarbetts. AV-Malformationen können im ganzen Körper vorkommen, sind aber im Bereich der Iris sehr selten. Hier beschreiben sie mindestens ein abnormal großes Irisgefäß, das vom Kammerwinkel zur Pupille und unter Bildung einer Schleife zurück zum Kammerwinkel zieht [1]. Im vorliegenden Fall präsentierten sich – eingeteilt nach Shields et al. – komplexe Gefäßmalformationen. Davon abzugrenzen wären einfache AV-Malformationen ohne Kreuzungen oder Schlängelungen [1]. Für retinale AV-Malformationen wurde von Archer et al. eine Klassifikation in drei Gruppen entworfen. Möchte man diese Klassifikation für retinale Malformationen auf Irismalformationen übertragen, kann anhand des angiographischen Bildes mit leichter Gefäßleckage und reduzierter Irisperfusion im Bereich der Veränderung von AV-Malformationen der Gruppe 2 gesprochen werden [2]. Diese Gruppe beschreibt Malformationen mit direkter Verbindung zwischen dem arteriellen und venösen Schenkel ohne die Zwischenschaltung eines arteriolären oder kapillären Elements [8].
Die Pathogenese der AV-Irismalformationen ist nicht abschließend geklärt; eine mögliche Theorie beschreibt die Entstehung der Irismalformationen während der Embryogenese als Reaktion auf eine fehlerhafte Irisvaskularisation. Dies führt zur sekundären Dilatation angrenzender Blutgefäße, um die defekte Zone zu umgehen. Für eine kongenitale Entstehung sprechen mehrere Kriterien: die klinische und fluoreszenzangiographische Ähnlichkeit zu retinalen Malformationen sowie das leichte Übersehen der Malformation, gerade bei feinen und im Irisstroma versteckten Gefäßen. Für erworbenes Auftreten hingegen spricht, dass das mittlere Patientenalter, wie auch in diesem Fall, bei ca. 50 Jahren liegt und die Irismalformation erst nach mehreren Augenuntersuchungen entdeckt wird [1].
Nach Shields et al. treten AV-Irismalformationen etwas häufiger in der temporalen Hemisphäre auf und nehmen weniger als ein Viertel der Iris ein. Warum diese Verteilung bevorzugt vorliegt, ist nicht geklärt [1]. Zudem finden sich die Veränderungen öfter bei hellen Augen, was wohl auf die leichtere Erkennbarkeit zurückzuführen ist [1]. Malformationen in dunklem Irisstroma könnten damit möglicherweise unterdiagnostiziert sein. Ein bilaterales Vorliegen von Irisveränderungen ist selten [9]. Um die Malformation komplett darstellen zu können, ist die Vordere-Augenabschnitts-Fluoreszenzangiographie das diagnostische Mittel der Wahl [1]. In 50 % der Fälle traten bei Shields et al. „sentinel vessels“ im Quadranten der Irisveränderung auf, die möglicherweise mit der Irismalformation zusammenhängen [1], was in Einzelfällen dargestellt werden konnte [2]. Auch am linken Auge der dieser Patientin fand sich ein erweitertes episklerales Gefäß, wenn auch nicht im gleichen Quadranten wie die Malformation. Differenzialdiagnosen im Rahmen von Neovaskularisationen und retinaler Ischämie müssen ausgeschlossen werden. Auch hierfür dient die Fluoreszenzangiographie: Bei AV-Irismalformationen zeigt sich eine frühe Hyperfluoreszenz ohne starke extravasale Komponente [6] bei reduzierter Perfusion im Bereich des Irissektors mit der Malformation [10]; erworbene Gefäßveränderungen, wie Irisneovaskularisationen, weisen hingegen eine starke Gefäßleckage auf [1]. Risikofaktoren für okuläre Ischämie (z. B. arterielle oder venöse Gefäßverschlüsse, das okuläre Ischämiesyndrom oder Vaskulopathien) sollten abgeklärt werden [6]. Dasselbe gilt für maligne Differenzialdiagnosen: Iris‑, Ziliarkörpermelanome oder andere Irisgefäßtumoren [1] sollten aufgrund der Gefäßnetzneubildung bei malignem Geschehen mittels multimodaler Bildgebung [11] ausgeschlossen werden. Auch die Durchführung einer Optische-Kohärenztomographie-Angiographie könnte zur Darstellung der Malformationen genutzt werden, da sie eine schnellere, nichtinvasive Beurteilung der Irismikrovaskularisation erlaubt. Gleichzeitig ist diese Untersuchungsmethode jedoch durch Bewegungsartefakte und die Unfähigkeit, Flussmuster, insbesondere Gefäßleckagen, zu detektieren, limitiert [12]. Vor allem bei Einbettung der vaskulären Strukturen in das Irisstroma und der dadurch erschwerten Diagnostik kann die multimodale Bildgebung in der Differenzialdiagnostik hilfreich sein [13]. Die vorwiegende Lokalkomplikation stellen vorübergehende Hyphämata dar [5], oft rezidivierend [13]. Eine Assoziation zu systemischen oder ophthalmologischen Krankheiten bei razemösen Irishämangiomen ist nicht bekannt [11]. Zudem wird eine Magnetresonanztomographie des Schädels zum Ausschluss zerebraler Gefäßanomalien empfohlen.

Fazit für die Praxis

  • Arteriovenöse Irismalformationen können uni- und bilateral auftreten. Verlauf und Ausprägung können am besten mittels VAA-FA dargestellt werden.
  • Die häufigste Lokalkomplikation ist ein Hyphäma.
  • Differenzialdiagnosen wie Rubeosis iridis im Rahmen anderer okulärer Erkrankungen und Tumoren müssen ausgeschlossen werden; eine multimodale Bildgebung mittels VAA-FA, UBM, OCT und OCT-Angiographie dient der Diagnostik.
  • Eine Therapie ist nicht notwendig.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

L. Gluth, H. Helbig und V. Radeck geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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Literatur
8.
Zurück zum Zitat Archer DB, Deutjan A, Ernest JT, Krill AE (1973) Arteriovenous communications of the retina. Am J Ophthalmol: 224–241 Archer DB, Deutjan A, Ernest JT, Krill AE (1973) Arteriovenous communications of the retina. Am J Ophthalmol: 224–241
Metadaten
Titel
Bilaterale arteriovenöse Irismalformationen
Publikationsdatum
09.04.2024
Erschienen in
Die Ophthalmologie
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-024-02020-w

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