Lernziele
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haben Sie verstanden, warum eine Heparintherapie eine Thrombozytopenie und Thrombosen verursachen kann.
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können Sie den 4T-Score anwenden.
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können Sie die Wertigkeit der Testverfahren für die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) einordnen.
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wissen Sie, wie Patienten mit HIT leitliniengerecht behandelt werden.
Einleitung
Pathophysiologie der HIT
Klinische Diagnose der HIT
Bestimmung der Thrombozytenzahl
4T-Score
Wahrscheinlichkeitskriterien | |||
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HIT-Verdachtskriterien | 2 Punkte | 1 Punkt | 0 Punkte |
Thrombozytopenie | Niedrigster Wert ≥ 20 Gpt/l und >50 % Abfall | Niedrigster Wert 10–19 Gpt/l oder 30–50 % Abfall (oder >50 % unmittelbar nach chirurgischem Eingriff) | Niedrigster Wert < 10 Gpt/l oder <30 % Abfall |
Tag des Auftretens des Thrombozytenabfalls | Tag 5–10 oder ≤1 bei früherer Heparintherapie (innerhalb der letzten 30 Tage) | Unbekannt, aber könnte zur HIT passen, bzw. >Tag 10 bzw. ≤Tag 1 bei früherer Heparintherapie (innerhalb der letzten 30 bis 90 Tage) | Tag < 4 (keine frühere Heparintherapie) |
Thrombosen oder andere Komplikationen | Gesicherte neue Thrombose, Hautnekrosen, anaphylaktische Reaktion (nach Heparinbolus) | Fortschreitende oder rezidivierende Thrombose, Verdacht auf Thrombose (noch nicht bestätigt) oder nicht nekrotisierende Hautläsionen | Keine Komplikationen |
Andere („oTher“) Gründe für Thrombozytenabfall | Keine | Denkbar | Definitiv |
Thrombozytopenie
Zeitliches Auftreten von Thrombozytopenie, Thrombosen oder anderen Komplikationen
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Größere Operationen setzen „die Uhr wieder auf Null“, sodass das kritische Zeitfenster ab dem Operationstag gerechnet wird. Entsprechend können Dialysepatienten, die jahrelang Heparin komplikationslos vertragen haben, in der 2. Woche nach einer Operation eine HIT entwickeln.
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Patienten, bei denen noch HIT-Antikörper zirkulieren, können mit Beginn der Heparingabe sofort mit einem Thrombozytenabfall reagieren. Gefährdet sind insbesondere Patienten, die innerhalb der letzten 30 (seltener 100) Tage Heparin bekommen haben. Dementsprechend werden diese Fälle mit 2 oder 1 Punkt(en) bewertet.
Thrombosen und andere Komplikationen
Andere („oTher“) Ursachen für eine Thrombozytopenie
Labordiagnostik der HIT
Management bei Verdacht auf HIT
Hoher 4T-Score (6–8 Punkte) oder gesicherte akute HIT
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Absetzen von Heparin und sofortiger Beginn mit einem kompatiblen Antikoagulans in therapeutischer Dosierung
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Keine Gabe von Vitamin-K-Antagonisten (VKA), bevor sich die Thrombozytenzahl wieder erholt und stabilisiert hat
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Kein(e) Vena-cava-Filter oder intravaskuläre Stent- oder Katheterimplantationen (Ausnahme Koronarstent bei akutem Myokardinfarkt)
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Keine prophylaktischen Thrombozytentransfusionen, auch nicht vor arterieller Embolektomie
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Ausschluss klinisch asymptomatischer tiefer Beinvenenthrombosen durch Ultraschalluntersuchung
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Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose durch vollständige Labordiagnostik (Antigentest und Funktionstest)
Mittlerer 4T-Score (4–5 Punkte)
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Negativer Antikörpernachweis im Antigentest – Fortsetzung der Heparingabe, tägliche Kontrolle der Thrombozytenzahl; liegt das Testergebnis nicht am gleichen Tag vor, sollte der Patient mit einem alternativen Antikoagulans behandelt werden, bis das Testergebnis vorliegt
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Positiver Antikörpernachweis im Antigentest – Heparingabe sofort stoppen, funktionellen Test anfordern, alternative Antikoagulation starten
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Thrombozytenzahl täglich weiter kontrollieren
Niedriger 4T-Score (≤3 Punkte)
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In der Regel sind Laboruntersuchungen nicht notwendig. Die Heparingabe kann fortgesetzt, und die routinemäßigen Thrombozytenkontrollen können durchgeführt werden.
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Der Patient sollte weiter beobachtet und im Verlauf wiederholt ein 4T-Score bestimmt werden. Wenn der 4T-Score nicht sicher (fehlende Informationen) durchgeführt werden kann, sollte in jedem Fall ein Antigentest durchgeführt werden.
Alternative Antikoagulanzien bei HIT
AT-abhängige FXa-Inhibitoren: Danaparoid, Fondaparinux | DTI: Argatroban, Bivalirudin | DOAK: Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban, Dabigatran | |
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Halbwertszeit | Lang (Danaparoid: 25 ha, Fondaparinux: 17 h) | Kurz (<2 h) | Mittel (7–9 h) |
Dosierung | Prophylaktische und therapeutische Dosierung | Therapeutische Dosierung; keine Prophylaxedosierung | Therapeutische Dosierungb; prophylaktische Dosierung nur für große orthopädische Chirurgie |
Monitoring | Anti-FXa | Indirekt (aPTT): Risiko der Unterdosierung durch falsch-hohe aPTT („aPTT confounding“) | Anti-FXa (FXa-Inhibitoren), verdünnte Thrombinzeit (Dabigatran) |
Verdünnte Thrombinzeit | |||
Effekt auf die INR | Nein | Erhöhen INR: Argatroban > Bivalirudin, Umstellung auf Vitamin-K-Antagonisten schwierig | Je nach zeitlichem Abstand zur Einnahme und Thromboplastinreagens kann die INR deutlich erhöht sein |
Hemmung des HIT-Pathomechanismus | Danaparoid hemmt die Thrombozytenaktivierung durch HIT-Antikörper (Fondaparinux hat keinen Effekt) | Kein Effekt | Kein Effekt |
Blutungsrisiko | Relativ niedrig | Relativ hoch (ca. 1 % pro Behandlungstag) | Relativ niedrig |
Antidot | Andexanet alpha (noch nicht zugelassen) | Nein | Andexanet alpha für die Xa-Inhibitoren (noch nicht zugelassen), Idarucizumab für Dabigatran |
Hemmung des gerinnselgebundenen Thrombins | Kein Effekt | Hemmt gerinnselgebundenes Thrombin | Dabigatran hemmt gerinnselgebundenes Thrombin |
Zulassungsstatus für HIT | Danaparoid: ja | Argatroban: ja | – |
Fondaparinux: nein | Bivalirudin: nein | ||
Elimination | Renal | Argatroban hepatobiliär Bivalirudin intravasal, renal | Vor allem renal |
Intensität und Dauer der Antikoagulation
Besondere Situationen
Patienten mit HIT in der Anamnese
Autoimmun-HIT
Fazit für die Praxis
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HIT ist eine klinische Diagnose, Laboruntersuchungen bestätigen diese.
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Der 4T-Score ermittelt die klinische Wahrscheinlichkeit der HIT; bei einem 4T-Score ≤ 3 Punkte ist eine HIT unwahrscheinlich.
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PF4/Heparin-IgG-Antikörper werden im Antigentest nachgewiesen (ohne Antikörper – keine HIT, aber Antikörper allein machen auch keine HIT).
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Nach positivem Antigentest immer Funktionstest durchführen!
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Positiver Antigentest und positiver Funktionstest sichern die Diagnose „HIT“.
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Bei der akuten HIT alle Heparine vermeiden und alternativ antikoagulieren.
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Für die Therapie der akuten HIT zugelassen sind Argatroban und Danaparoid; Fondaparinux und DOAK werden auch erfolgreich eingesetzt.
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Vitamin-K-Antagonisten sind bei der akuten HIT kontraindiziert.
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Eine Reexposition mit Heparin ist kurzzeitig möglich, wenn der Funktionstest negativ ist.
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Eine Autoimmun-HIT ist eine besonders aggressive Form der HIT mit schwerer Thrombozytopenie und fulminanten fortschreitenden Thrombosen auch ohne vorherige Heparinexposition (Trigger: große Operationen, bakterielle Infekte, Heparin).