Eigentlich hatten Experten mit einer Zunahme an Rhythmusstörungen bei Patienten mit einem ICD während der Corona-Pandemie gerechnet. Doch in den USA ist genau das Gegenteil eingetreten. Jetzt beginnt die Suche nach Erklärungen für dieses Phänomen.
Damit hatten die Wissenschaftler nicht gerechnet: Während der COVID-19-Pandemie sind die mittels Implantat-Fernüberwachung detektierten ventrikulären Rhythmusstörungen in den USA stark zurückgegangen. Mit jeder Woche, in der die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen andauerten, nahm die Arrhythmie-Last weiter ab (p < 0,001).
32% weniger Rhythmusstörungen
Letztlich sind bei den ICD-Trägern während eines Beobachtungszeitraumes von 100 Tagen (zwischen 21. Januar bis 29. April) 32% weniger behandlungsbedürfte ventrikuläre Arrhythmie-Episoden aufgetreten als in einem selben Zeitraum des Vorjahres, nach Adjustierung auf das Alter und den Bundesstaat, in welchem die Patienten lebten (Inzidenz Rate Ratio, IRR: 0,69; p ˂ 0,001). Besonders niedrig waren die Raten in den Wochen 9 bis 11, als in Abhängigkeit der jeweiligen Bundesstaten die „stay-at-home“-Anordnungen propagiert worden sind.
Arrhythmie-Last besonders niedrig bei hohen Fallzahlen
In den Staaten mit den höchsten SARS-CoV-2-Inzidenzen war die Arrhythmie-Last während dieser Zeit besonders niedrig. Dort waren 39% weniger behandlungsbedürfte Rhythmusstörungen aufgetreten als in Staaten mit geringen Fallzahlen (Odds Ratio, OR: 0,61; p < 0,001). Die Studienautoren um Dr. Catherine O’Shea vermuten deshalb, dass ihre Beobachtungen tatsächlich etwas mit der Pandemie bzw. mit den damit verbundenen Änderungen der Lebensumstände zu tun haben. Dafür spreche auch, dass die Arrhythmie-Last mit zunehmender Dauer des sozialen Lockdowns immer weiter abgenommen habe, führen die Kardiologen von Universität von Adelaide ihre Annahme aus.
Warum kam es anders als erwartet?
Ursprünglich sind die Kardiologen allerdings genau vom Gegenteil ausgegangen: „Wir nahmen an, dass COVID-19 mit einem Anstieg an ventrikulären Arrhythmien assoziiert ist.“ Wegen der ökonomischen Umstände, der sozialen Isolation und der Angst vor Ansteckung, was alles mit Stress verbunden sei.
Nun, es kam anders und O’Shea und ihr Team mussten alternative Erklärungsansätze finden. Warum erlitten die Patienten weniger Rhythmusstörungen als sonst? Eine Ursache könnte ihrer Ansicht nach in den veränderten Arbeitsbedingungen liegen. Seit der Pandemie arbeiteten mehr Menschen von Zuhause, wodurch sich ihr Stresslevel womöglich reduziert habe. Darüber hinaus haben sich die Menschen in dieser Zeit weniger körperlich angestrengt, was ebenfalls eine Erklärung für die geringeren Arrhythmie-Raten sein könnte.
Keine Sportereignisse – weniger Stress?
Und auch die ausgefallenen Sportereignisse könnten laut der Studienautoren eine Rolle gespielt haben. Denn: Während solcher Events steigt in der Regel das Stresslevel, weil die Menschen mit fiebern. In einigen Studien ließ sich sogar ein Anstieg an Rhythmusstörungen während bestimmter Großereignisse nachweisen, beispielsweise während der WM in Deutschland im Jahr 2006. Gibt es keine nervenaufreibenden Sportereignisse, ist die Anspannung in der Bevölkerung geringer und damit auch das Risiko für Rhythmusstörungen, so die Theorie.
Zu guter Letzt könnten sich die US-Kardiologen vorstellen, dass die alleinige Konzentration auf das häusliche Umfeld ohne sonstige Ablenkungen wie Restaurantbesuche zu einer verbesserten Therapieadhärenz beigetragen haben könnten, weil sich die Patienten beispielsweise mehr mit ihrer Medikation und ihren Lebensstil auseinandergesetzt haben.
Bisher nur Spekulationen
Letztlich lassen sich all diese Theorien aber nicht beweisen, weil in der Analyse keine Daten zum Lebensstil und dahingehender möglicher Veränderungen dokumentiert worden sind.
Eingeflossen in die Analyse sind allein die automatisch generierten Aufzeichnungen des Remotemonitoring von Patienten, die einen ICD, subkutanen ICD oder eine kardiale Resychronisations-Therapie mit Defibrillator (CRT-D) implantiert hatten. Während der Pandemie wurden Daten von insgesamt 5.963 Implantat-Trägern generiert. Der direkte Vergleich fand aber nur zwischen den Patienten statt, die nicht nur während der Corona-Zeit, sondern auch im Kontrollzeitraum des Vorjahres fernüberwacht wurden, 2.458 an der Zahl.