Erschienen in:
02.11.2022 | Fall und Kommentare
Kommentar I zum Fall: „Eine Patientenverfügung brauche ich nicht, ich will nicht abgeschaltet werden“
verfasst von:
Prof. Dr. Tanja Krones
Erschienen in:
Ethik in der Medizin
|
Ausgabe 4/2022
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Auszug
Auf den ersten Blick erscheint die Antwort auf die finale Frage der Autor:innen einfach: Wenn keine medizinische Indikation vorliegt, ist der Wille und Wunsch eines Menschen oder seiner vertretungsberechtigten Angehörigen nach einer bestimmten Therapie insofern nachrangig, als dass keine Pflicht besteht, diese Behandlung durchzuführen. Bestehen Kontraindikationen im Sinne eines sicheren Schadens durch die Behandlung, darf diese nicht durchgeführt werden. Auf den zweiten Blick wird es aber komplizierter: Wie in den letzten Jahren zunehmend auch im deutschsprachigen Raum diskutiert wird (vgl. ZEKO
2022), sind die Begriffe „Indikation“, „Kontraindikation“, oder „Aussichtslosigkeit/Futility“ ethisch voraussetzungsreich. Sie beschreiben formal Abschätzungen und Bewertungen von Risiko- und Nutzenverhältnissen (Indikation/Kontraindikation), beziehungsweise Wahrscheinlichkeiten für (ungünstige) Ergebnisse (Aussichtslosigkeit/Futility). Diese sind von ihrer konzeptuellen Anlage her nicht rein „objektiv“, sondern enthalten Werturteile. Auch wenn es Situationen gibt, die eindeutig aussichtslos sind, da keine physiologische Wirksamkeit erwartet werden kann (z. B. keine physiologische Reaktion auf einen Reanimationsversuch), liegt jenseits dieser Eindeutigkeit eine grosse Grauzone, in welcher der Respekt vor der Autonomie eine weitestgehende Einbeziehung des (aktuellen, vorausverfügten oder mutmasslichen) Willens der Patient:innen erfordert. …