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Erschienen in: Forum der Psychoanalyse 4/2009

01.12.2009 | Originalarbeit

Psychoanalyse und Psychotherapie, Bildung und Erziehung

verfasst von: Prof. Dr. disc. pol. Jürgen Körner, Dipl.-Psych.

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 4/2009

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Zusammenfassung

Psychotherapie und Psychoanalyse bilden vor allem im deutschsprachigen Raum einen ähnlichen Gegensatz wie Erziehung und Bildung: Psychotherapie und Erziehung wirken absichtsvoll und zielgerichtet auf einen Patienten oder Zögling ein, während Psychoanalyse und Bildung das Ideal eines von äußeren Einflüssen weitgehend freien Entwicklungsprozesses verfolgen. Der vorliegende Beitrag soll zeigen, dass diese Gegensatzpaare künstlich in Extreme zerlegt worden sind. Beide sollen folgende Paradoxa lösen: das pädagogische Paradoxon „Wie ist Freiheit möglich bei dem Zwange?“ und das psychoanalytische Paradoxon „Wie ist Unabhängigkeit möglich bei dieser Abhängigkeit?“ Es könnte aber gelingen, den unfruchtbaren Gegensatz in beiden Fällen zu überwinden und das jeweils gefürchtete Paradoxon in der Schwebe zu halten.
Fußnoten
1
Letzte Fassung vom 19.02.2009, gemeinsamer Bundesausschuss gemäß § 91 SGB V.
 
2
Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie wurde ja maßgeblich von Heigl-Evers konzeptualisiert (Heigl Evers u. Ott 1998).
 
3
Vielleicht handelt es sich ja um einen Zufall, aber die jüngeren Bestrebungen einer Hochschulreform im Anschluss an die Bologna-Erklärung ähneln in ihrer Zweigliedrigkeit von „Bachelor“- und „Master“-Studiengängen jener Hierarchisierung von Erziehung und Bildung: Im Bachelor-Studiengang soll berufsbezogen ausgebildet werden, aber der Master-Studiengang widmet sich der Entfaltung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
 
4
Ilien formuliert es so: „Pädagogik ist Fremdförderung zur Selbstwerdung“ (a.a.O., S. 9).
 
5
Annelise Heigl-Evers berichtete von einem Patienten, der seiner Freundin einen wütenden Brief geschrieben hatte und diesen in der Therapiestunde vorlas. Sie sagte ihm: „An Stelle Ihrer Freundin wäre ich jetzt aber beleidigt.“ Der Patient war sehr überrascht: Er habe doch nur die Wahrheit geschrieben.
 
6
Hierzu passt Freuds Idee von der Psychoanalyse als einer Nacherziehung (1915, S. 365).
 
7
Ähnlich die Forderung nach „gleichschwebender Aufmerksamkeit“.
 
8
Auf dieser Annahme beruhte ja das Assoziationsexperiment von C.G. Jung, die „Asso-Reihe“.
 
9
Diese Hinweise verdanke ich Albert Ilien.
 
10
Herder war selbst von 1765 bis 1769 Lehrer an der Domschule in Riga. Seine Schüler schwärmten von seiner humanen Ausstrahlung. Später (1787) verfasste er ein Buchstaben- und Lesebuch für den Elementarunterricht und gründete 1788 ein Lehrerseminar.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Psychoanalyse und Psychotherapie, Bildung und Erziehung
verfasst von
Prof. Dr. disc. pol. Jürgen Körner, Dipl.-Psych.
Publikationsdatum
01.12.2009
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 4/2009
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-009-0023-y

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