Hintergrund
Ziel der Arbeit
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Wie charakterisieren die Expert*innen das Gesundheitsverhalten ambulanter Pflegekräfte in den Themenbereichen „Ernährungs- und Trinkverhalten“, „Rauchen“, „körperliche Aktivität“ und „Stress“?
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Welche existierenden BGF-Maßnahmen sind den Expert*innen bekannt?
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Welche Hindernisse und Herausforderungen sind bei der BGF-Implementierung zu erwarten?
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Welche Lösungsstrategien im Umgang mit den Hindernissen und Herausforderungen erachten die Expert*innen als sinnvoll?
Material und Methoden
Studiendesign
Rekrutierung und Teilnehmer
Nr. | Demografiea | Tätigkeitsbereich und pflegebezogene Berufserfahrungen |
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1 | w, ≥ 41 | Ambulante Pflege; Leitung Sozialstation (etwa 50 Beschäftigte) eines freien Trägers (<500 Beschäftigte) mit Schwerpunkt in der ambulanten Kranken- und Altenpflege, sowie Leitung und Stellvertretung eines ambulanten Intensivpflegedienstes (etwa 50 Beschäftigte) |
2 | m, ≥ 41 | |
3 | m, 18–40 | |
4 | w, ≥ 41 | Stationäre Pflege; Expert*innen für die zielgruppenspezifische Patientenbetreuung sowie Weiterbildung und Akademisierung von Pflegekräften im stationären Setting |
5 | w, 18–40 | |
6 | w, ≥ 41 | Funktionäre aus Verbänden der Pflegeberufe als Bindeglied zwischen Pflegepraxis und Politik |
7 | m, ≥ 41 | |
8 | w, 18–40 | Wissenschaftler*innen mit Projekterfahrung zur Arbeits- und Gesundheitssituation von Pflegekräften mit Migrationshintergrund und Gesundheitszustand und -verhalten von Auszubildenden in der Pflege |
9 | w, 18–40 | |
10 | m, 18–40 |
Vorgehen
Informations- und Datenverarbeitung
Ergebnisse
Gesundheitsverhalten
Körperliche Aktivität
BV: Ein Alltag in der Pflege ist grundsätzlich sehr stressbehaftet. Man […] bewegt sich im Alltag schon sehr viel. Man kommt nach Hause, ist müde und ist froh, einfach mal die Füße hochzulegen und nichts zu machen.
BV: Ich kann sehr selten Teamsport machen. […], wenn es da keine Flexibilität in den Dienstplänen gibt, und ich [nicht] sagen kann […]: Mittwochabend möchte ich definitiv keinen Spätdienst machen, weil ich da […] Handball […] habe.
Ernährungs- und Trinkverhalten
AP: […] ich weiß auch, dass Pflegekräfte sagen, sie können nicht so viel trinken. Sie wissen nicht, wo sie auf Toilette gehen können. Natürlich können sie reinkommen ins Büro und so weiter. Aber das machen die nicht. Also trinken sie eher nichts.
AP: […] es gibt Pausenzeiten. Das heißt, die Büros sind mittags gefüllt mit Mitarbeitern, die dort ihre Mahlzeiten zu sich nehmen. Klar gibt es welche, die […] unterwegs im Fahren dann etwas essen […].
AP: Und dann haben wir diese klassische Phase, Zustand nach Frühdienst, […], völlig ausgehungert und nun liegt die [Schokolade] da. […] wir können […] unseren Kunden nicht sagen, wir möchten gerne […] Nüsschen statt Schokolade. [lachen]
Rauchen
BV: […] vor zwanzig Jahren, da bin ich in den Pflegedienst reingekommen, da schlug einem […] eine Wolke entgegen, das ist […] heutzutage nicht mehr so. […] in der Mitte war so ein Riesen-Aschenbecher, wo alle schnell […] geraucht [haben]. […] ich glaube, das gibt es nicht mehr.
Stressbelastung
BV: […] bei der Tourendisposition fängt das Ganze ja an. […] Ich habe das von Pflegediensten gehört, die sagen: „Ja, da musst du aber beim Nächsten immer in zehn Minuten sein. Und wenn du das nicht schaffst, […] dann wird es dir von der Zeit abgezogen.“ […] (AP: „Ich wüsste jetzt einen.“) […] man kriegt da manchmal so Absonderlichkeiten mit, das kann nicht wahr sein.
AP: […] sie machen oft ihre Pause nicht, wollen es gar nicht. […] wir verpflichten sie eigentlich dazu […].
BV: X ist krank geworden, hat aber gerade erst Bescheid gesagt. Ja, danke schön, hättest du auch gestern Abend sagen können. […] und wer macht das jetzt eigentlich? Natürlich macht das jemand. […] der Job muss gemacht werden. Die Patienten müssen versorgt werden. Das ist immer die Einstellungsvoraussetzung […], die mentale und auch die vom Arbeitgeber. […] Das sind viele Faktoren, die da auf einen drücken.
BV: Wie kriege ich da überhaupt Entspannung rein […]? Dass ich sage, ja gut, dann ist das eben zehn Minuten später […] und ich muss nicht immer in dieser Alarmstimmung unterwegs sein. Hilfe, ein Notfall, ich muss da hin […]. Und da bin ich heilfroh, wenn dann die Schicht vorbei ist […].
AP: […] der Mitarbeiter [ist] vor Ort […] und kriegt alles mit, was er nicht wissen will. […] auch umgekehrt gibt er zwangsläufig […] was von sich Preis. Da ist […] Distanz-Nähe-Verschiebung eben das große Thema und das macht natürlich Stress. Ich hatte jetzt gerade wieder den Fall, dass eine Mitarbeiterin […] sich den Klienten zu dicht rangeholt hat und dann irgendwann ist es eskaliert und dann war auch die Erde so verbrannt, dass sie da nicht mehr eingesetzt werden konnte.
Betriebliche Gesundheitsförderung
Verhaltensprävention
AP: Wir kaufen dann noch Vitamin C. Also nicht nur Obst, sondern Vitamin C in Tees oder in Pulverform […]. Wer mag, kann das nehmen. […] ernährt euch gesund […] und tu was Gesundes für dich und uns ist es wichtig.
Verhältnisprävention
AP: […] da ist halt das einzige Steuerungsinstrument wirklich, den Mitarbeitern einen gewissen Freiraum bei der Dienstplangestaltung mit einzuräumen, […] die müssen da […] ein Mitspracherecht haben. Und möglichst […] Festwünsche, […] die […] immer bestehen […], sonst hast du irgendwann die Krankmeldung auf dem Tisch.
Hindernisse und Herausforderungen betrieblicher Gesundheitsförderung
Hinderliche Arbeitsbedingungen
Perspektive der Arbeitgebenden
BV: Ich versuche […], dass ich meine Dienste vollkriege, dass ich […] das mit meinem begrenzt vorhandenen Pflegepersonal auf die Reihe bekomme. Dann kann es sehr schnell dazu kommen, dass […] das Gesundheitsverhalten […] eine Randerscheinung ist für mich, […] die Gesundheit meiner Pflegekräfte […] nicht erste Priorität der Leitungsebene ist, definitiv nicht.
AP: Ich kann Bereitschaft schaffen, aber ich kann die [Beschäftigten] nicht umerziehen. Wenn sich jemand von Cola und Pommes ernähren will, dann kann ich das auch nicht ändern. Will ich auch nicht.
BV: […], dass man da gar nicht […] mit „Wir machen einen Kurs Stressmanagement“ […] komm[t], weil […] die Pflegekräfte […] in Interviews gesagt haben: „Die Verantwortung liegt da wieder bei mir, aber eigentlich ist es Aufgabe des Arbeitgebers, mir […] Verhältnisse zu schaffen, dass ich eben nicht diese Stressbelastung habe.“
Einflussfaktoren auf die Teilnahmebereitschaft der Beschäftigten
BV: Wenn dann die Frage kommt: „Nutzen Sie das auch?“ […] – „Nein, wenn ich nach Hause komme, lege ich doch lieber schnell die Füße hoch, als dass ich noch irgendwo ins Fitnessstudio gehe“.
Lösungsstrategien
AP: Wenn die Leitung es macht, zeigt es, dass es wichtig ist. […] Und ich glaube, dass […] gerade auf die jüngeren Kollegen, die hinten nachkommen, die müssen das gleich […] sehen, dass es […] eine Rolle spielt.
Diskussion
Die Arbeitsbedingungen in der ambulanten Pflege können sich negativ auf das Gesundheitsverhalten der Beschäftigten auswirken
Die körperlichen und mentalen Arbeitsbelastungen limitieren die Bereitschaft der ambulanten Pflegekräfte für die Teilnahme an BGF
Für nachhaltige BGF müssen verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen sowohl zielgruppen- als auch branchenspezifisch sein
Stärken und Limitationen
Fazit für die Praxis
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Zur Reduzierung der Stressbelastung ambulanter Pflegekräfte sollten verhältnispräventive Maßnahmen, wie die Optimierung von Schicht‑, Touren- und Pausenzeitplanung herangezogen werden.
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Damit verhaltenspräventive Angebote frequentierter genutzt werden, müssen die Beschäftigten für die Notwendigkeit von betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) für ihre Gesundheit sensibilisiert werden. Auch der partizipative Einbezug der ambulanten Pflegekräfte in die fortlaufende Optimierung bestehender Angebote und Entwicklung neuer Maßnahmen der BGF kann hierbei unterstützen.
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Um die aktuelle Evidenz zu stärken und zusätzliche Ansatzpunkte für die BGF in der ambulanten Pflege zu identifizieren, braucht es systematische, qualitative und quantitative Basiserhebungen zu den Gesundheitskompetenzen und zum Gesundheitsverhalten, insbesondere zu den Themen „Stressbelastung“, „Regeneration“, „Ernährungsverhalten“, „körperliche Aktivität“ und „Rauchen“.