Erschienen in:
01.08.2008 | übersicht
Der § 105 JGG: Entwicklungspsychologische Erkenntnisse und gutachterliche Praxis1
verfasst von:
Prof. Dr. med. Michael Günter
Erschienen in:
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie
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Ausgabe 3/2008
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Zusammenfassung
Der § 105 Jugendgerichtsgesetz wird in der Öffentlichkeit immer wieder kontrovers diskutiert. Die vorliegende Arbeit stellt entwicklungspsychologische Grundlagen und gutachterliche Praxis der Reifebeurteilung bei Heranwachsenden nach § 105 JGG dar. Entwicklungspsychologische Befunde zeigen deutlich, dass Heranwachsende in vielen psychischen Funktionsbereichen noch wie Jugendliche organisiert sind. Dies gilt insbesondere für Persönlichkeitsmerkmale, die bei Straftaten relevant sind, wie Risikoverhalten, Wahrnehmung von Risiken, Impulssteuerung, Planungshorizont, Selbstkontrolle, Einfluss der Gleichaltrigengruppe, Reizstimulation und ähnliches. In besonderem Maße wird eine derartige Entwicklungsretardierung verstärkt durch die für delinquente Jugendliche typischen psychosozialen Belastungen. Hinzu kommt eine generelle Verlängerung jugendtypischer Verhaltensweisen bis weit ins dritte Lebensjahrzehnt. Dimensionen der Reifebeurteilung gem. § 105 JGGwerden ebenso vorgestellt, wie Problembereiche der gutachterlichen Beurteilung. Auf rechtstatsächlicher Seite stellen erhebliche Diskrepanzen zwischen den einzelnen Bundesländern eine schwere Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Daher ist aus entwicklungspsychologischen wie aus Gleichbehandlungsgründen eine Regelung zu empfehlen, bei der Heranwachsende generell noch dem Jugendstrafrecht unterworfen werden.