Kongenitale geteilte melanozytäre Nävi (CMN) des Ober- und Unterlids sind seltene pigmentierte Veränderungen der Augenlider. Diese Muttermale sind auch als „kissing nevi“, „panda nevi“, „split ocular nevi“ bekannt und wurden erstmals 1919 von Fuchs beschrieben. Aus der Literatur sind bisher etwa 120 solcher Fälle bekannt. CMN sind entweder seit der Geburt vorhanden (kleine Nävi finden sich bereits bei ca. 1 % der Neugeborenen), oder sie manifestieren sich überwiegend im ersten Lebensjahrzehnt. Diese seltene melanozytäre Veränderung der Augenlider sollte regelmäßig kontrolliert werden, denn gemäß der Literatur kann es zu einer malignen Entartung kommen. Die tatsächliche Inzidenz dafür ist jedoch sehr variabel und reicht von 2 bis 40 %, je nach Dauer des Follow-up, mit durchschnittlich 14 % auf die gesamte Lebensdauer. Zudem können CMN an den Augenlidern als kosmetisch störend empfunden werden und zu funktionellen Problemen des Auges führen. Eine therapeutische Entfernung mittels Dermabrasion, Kryotherapie, Laserbehandlung oder chirurgische Exzision mit ophthalmoplastischer Deckung ist aufgrund des geringen Entartungsrisikos selten medizinisch indiziert. Sie kann aber bei sekundärer Amblyopie bei Ptosis, Kompression der Puncta lacrimalia, Epiphora oder basierend auf einem kosmetischen Wunsch durchgeführt werden. Notwendig wird die Therapie hingegen bei einer suspekten Erscheinungsform oder Beeinträchtigung der Lidfunktion und um mögliche Hänseleien und grausamen Spott bei Kindern zu vermeiden.
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Kongenitale geteilte melanozytäre Nävi (CMN) des Ober- und Unterlids sind seltene pigmentierte Veränderungen der Augenlider, die auch als „kissing nevi“, „panda nevi“, „split ocular nevi“ bekannt sind. In der deutschen Literatur wurde dieses Phänomen erstmals von Fuchs im Jahr 1919 beschrieben [13]. Ehlers präsentierte in seiner Publikation aus dem Jahr 1969 eine Gruppe mit 10 Patienten [26]. Weltweit wurden in der Literatur bisher 120 solcher Phänomene beschrieben, die größte Gruppe davon mit 73 Patienten durch Jia et al. im Jahr 2010 [26]. Bei einem geteilten Nävus sind am oberen und unteren Augenlid gleichzeitig zwei getrennte Nävi vorhanden, die bei geschlossenem Auge eine Einheit bilden (Abb. 1; [14]). Meistens sind diese im medialen Bereich des Augenlids lokalisiert, obwohl sie auch in den medialen Lidwinkeln auftreten können. Die Augenlider sind bei Weitem die häufigste Lokalisationsstelle eines geteilten Nävus. Dieses Phänomen wurde aber auch an anderen Stellen des Körpers beschrieben, wie beispielweise Fingerzwischenräume, Penis und Skrotum, jedoch viel seltener [7, 22]. Die Manifestation an gegenüberliegenden Arealen von Ober- und Unterlid ist Ausdruck der Embryonalentwicklung. Die Augenlider fusionieren in der 8. bis 10. Woche post conceptionem (p.c.) – das angegebene Alter in Wochen ist das Alter nach der Befruchtung ohne Bezug auf das Gestationsalter. In diesem Zeitraum beträgt die Scheitel-Steiß-Länge 40 ± 2 mm. Die Anlage des Nävus erfolgt im Stadium der fusionierten Lider [14, 15]. Die Melanoblasten als Vorläufer der Melanozyten wandern als Abkömmlinge des Neuroektoderms während der Embryogenese aus der dorsalen Neuralleiste über die Dermis in die Epidermis in die verschiedenen Regionen des Embryos [3, 16, 21]. Während dieses Prozesses erfolgt die Wanderung zur Unterseite der embryonalen Epidermis der Kopfhaut und des Gesichts [14, 17]. Aufgrund ihrer Herkunft von der Neuralleiste können Melanozyten lokalisierte Proliferationen in den junktionalen, compound und intradermalen Nävi zeigen [21].
Abb. 1
Bei einem kongenitalen geteilten melanozytären Nävus sind am oberen und unteren Lid gleichzeitig zwei separate Nävi vorhanden (a), die bei geschlossenem Auge eine Einheit bilden (b) Mod. nach Gaca et al. [14]
Während der 20. Woche p.c. (195 ± 15 mm) beginnen sich die Augenlider zu trennen, nachdem sich die Lipide in der dermoepidermalen Verbindungszone ansammeln. Als Konsequenz der späteren Trennung von Ober- und Unterlid in der 28. bis 30. Woche p.c. (280 ± 33 mm) kommt es zur Teilung des Nävus (Abb. 2; [14, 15]). Daraus lässt sich schließen, dass der Nävus an dieser Stelle spätestens zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden sein muss. Naidoff et al. schlussfolgern, dass CMN entweder bei der Geburt vorhanden sind (kleine Nävi finden sich bereits bei ca. 1 % der Neugeborenen) oder sich überwiegend im ersten Lebensjahrzehnt manifestieren [41]. Erworbene melanozytäre Nävi entwickeln sich neu vor allem in den ersten zwei Lebensjahrzehnten und lassen sich in gewöhnliche und atypische melanozytäre Nävi unterscheiden. Die Differenzialdiagnose des geteilten Nävus umfasst die Papillome, die Neurofibrome sowie die Epitheliome. In der Vergangenheit wurden auch die Tuberkulome und die Syphilide dazu gezählt [11]. Entsprechend der Charakteristik ist der Nävus eher mikronodulär und stark pigmentiert, gelegentlich mit Behaarung, während ein Papillom rau und zerklüftet ist. Gemäß Westfall et al. befallen Papillome die Zilien tendenziell nicht [50]. Es zeigt sich, dass historisch gesehen zwei Klassifikationssysteme verwendet wurden, um kongenitale Nävi zu beschreiben, entweder basierend auf der Gesamtgröße des Nävus oder entsprechend ihrer Histologie.
Abb. 2
Die pränatale Entwicklung der Augenlider. a Die Augenlider fusionieren. Mesenchymale Zellen kondensieren und formen Primordien der Wimpernfollikel und ihrer Anhängsel, der Tarsalplatte (TP) und des Orbicularis oculi (OO), 9. Woche p.c. (40 ± 2 mm). b Die Augenlider sind in separate Schichten unterteilt. An den Lidrändern sind rudimentäre Wimpern, Talg- und Schweißdrüsen erkennbar sowie eine primordiale Tarsalplatte (PTP), 14. Woche p.c. (121 ± 11 mm). c Obwohl die Augenlider von außen noch verwachsen zu sein scheinen, hat die Trennung bereits begonnen. Eine Verzweigung der Meibom-Drüsen, Verlängerung der Tarsalplatte, Weiterentwicklung von Orbicularis oculi und Wimpernfollikel findet statt, 20. Woche p.c. (195 ± 15 mm). d Die Lider sind inzwischen vollständig getrennt. Meibom-Drüsen (MD) nehmen an Länge zu und sind in 2/3 der Länge der Tarsalplatte vorhanden, 32. Woche p.c. (301 ± 33 mm), STM Superior tarsalis Muskel. e Aussehen bei der Geburt. (Mod. nach Gaca et al. [14, 15])
Basierend auf dem maximalen Durchmesser werden kleine (< 1,5 cm), mittelgroße (1,5–19,9 cm) und große Nävi (> 20 cm) unterschieden. Die überwiegende Mehrheit der angeborenen Nävi ist gemäß dem Durchmesser der kleinsten Gruppe zuzuordnen. Das histologische Klassifikationssystem wurde in drei Hauptkategorien eingeteilt – melanozytär, zellulär oder compound. Interessanterweise wurde von Ehlers für seine Patienten kein histologischer Unterschied zwischen Ober- und Unterlid beschrieben [11]. Auch eine maligne Entartung bei kleinen oder mittleren Nävi wurde bisher nicht beobachtet [11, 20]. Das Risiko einer malignen Transformation in ein malignes Melanom ist bei großen kongenitalen Nävi hingegen bekannt. Bei kleinen und mittelgroßen Nävi, die häufiger bei geteilten Nävi auftreten, ist dies jedoch weniger klar [29, 37, 49]. Die tatsächliche Inzidenz dafür ist sehr variabel und reicht von 2 bis 40 % je nach Dauer des Follow-up mit durchschnittlich 14 % auf die gesamte Lebensdauer wie McDonnell et al. ausführen [37]. Aus diesem Grund müssen Nävi der Augenlider regelmäßig kontrolliert werden. Patientenanamnese und Erstellung standardisierter Fotos sind wegweisend, um die Veränderung des Wachstums, der Ausdehnung und der Farbe beurteilen zu können. Eine therapeutische Entfernung mittels Dermabrasion, Kryotherapie, Laserbehandlung oder chirurgischer Exzision mit ophthalmoplastischer Deckung ist aufgrund des niedrigen Entartungsrisikos selten medizinisch indiziert. Diese kann bei sekundärer Amblyopie bei Ptosis, Kompression der Puncta lacrimalia und Epiphora bei einer verdächtigen Erscheinungsform oder bei kosmetischem Wunsch erfolgen [36, 56]. Die Indikation für eine Behandlung basiert im Wesentlichen auf drei Zielen: (a) Behebung funktioneller Probleme, (b) Prophylaxe der malignen Entartung oder (c) kosmetische Verbesserung des Befundes.
Behandlung
Nichtchirurgisches Vorgehen
Dermabrasion
Die hochtourige Dermabrasion mit Diamantfräsen wurde als potenziell erfolgreiche Behandlung für den kongenitalen geteilten melanozytären Nävus bereits von Johnson im Jahr 1977 und Miller und Becker im Jahr 1979 beschrieben unter der Voraussetzung, dass sich dieser nur auf die oberflächliche Dermis beschränkt. Das Ziel der Behandlung ist die ästhetische Verbesserung durch die Reduktion der oberflächlichen pigmentierten Nävusanteile [28, 39]. Studien berichten über das Wiederauftreten des Nävus bereits vier Wochen nach der Behandlung, wenn dieser in der Subdermis oder der tieferen Dermis lokalisiert war [11, 37]. Aufgrund der sehr häufigen Repigmentierung und Narbenbildung können häufig keine wesentlichen ästhetischen Verbesserungen erzielt werden. Angesichts der empfindlichen Region muss bei der Behandlung die Notwendigkeit einer Sedierung oder sogar einer Vollnarkose in die Erwägung gezogen werden [9, 28, 39].
Kryotherapie
Die Kryotherapie ist eine alternative Behandlungsmöglichkeit, da pigment- und epithelbildende Zellen sehr kälteempfindlich sind [23]. Bereits Ende der 1960er-Jahre wurde von Ehlers die Anwendung insbesondere bei geteilten Nävi beschrieben. Er berichtete über die Anwendung von „CO2-Freezing und Diathermie-Koagulation“ bei einem Jungen und einer erwachsenen Frau, jedoch ohne Wirkung [11]. In der heutigen Ophthalmologie werden dabei Kryogeräte eingesetzt, die basierend auf der Gasentspannung von N2O oder CO2 bis −70 °C und der Verdampfung von flüssigem Stickstoff (LN2) bis −196 °C arbeiten. Bei der Behandlung des Nävus wird hauptsächlich der Effekt der Kryodestruktion genutzt, d. h. dass das Gewebe mindestens auf eine Temperatur von −40 °C mit einer Gefriergeschwindigkeit von mehr als 100 °C pro Minute abgekühlt wird. Dabei kommt es zu einer intrazellulären Eisbildung. Die tumordestruktive Wirkung der Kryotherapie reicht nur ca. 6 mm in die Tiefe. Aus diesem Grund wird der Einsatz dieser Behandlungsmöglichkeit nur eingeschränkt für Nävi mit einer größeren Tiefenausdehnung empfohlen [5, 25, 32, 34].
Laserbehandlung
Die Laserbehandlung als Behandlungsmöglichkeit ist umstritten. Es existiert keine veröffentlichte Literatur über den Einsatz zur Behandlung von kongenitalen geteilten melanozytären Nävi. Verschiedene Studien von Marghoob et al. beschreiben die Verwendung des gütegeschalteten Rubin-Lasers (694 nm), des gütegeschalteten Neodym-Lasers (Yttrium-Aluminium-Granat [Nd-YAG] 532 und 1064 nm) und eines CO2-Lasers bei der Behandlung von kongenitalen melanozytären Nävi im Kopf- und Halsbereich [35]. Hohe Rezidivraten von bis zu 50 % und die Notwendigkeit von wiederholten Behandlungen haben für Kritik an dieser Methode gesorgt. Gemäß Al-Hadithy et al. ist eine Laserbehandlung eine mögliche Option zur Behandlung großer Nävi im periorbitalen Bereich (flachere, periphere Anteile der Nävi), um ihre Fläche für die spätere chirurgische Exzision zu verkleinern [1]. Es besteht jedoch ein potenzielles Risiko, dass die Laserbehandlung die maligne Transformation beschleunigen kann. Veröffentlichungen dazu in der Literatur gibt es bisher keine [1, 19].
Chirurgisches Vorgehen
Das Augenlid unterteilt sich anatomisch in eine anteriore Lidlamelle, die sich aus der Lidhaut und dem M. orbicularis oculi zusammensetzt, und in eine posteriore Lamelle, bestehend aus Tarsus und Bindehaut. Die sog. graue Linie markiert dabei als anatomische Landmarke den Übergang zwischen vorderer und hinterer Lamelle (Abb. 3). Wu-Chen et al. kamen zu dem Schluss, dass eine anfängliche vollständige Exzision im gesunden Gewebe entscheidend ist, um ein erneutes Wachstum und die Notwendigkeit weiterer chirurgischer Eingriffe in der Zukunft zu vermeiden [51]. Nach der chirurgischen Resektion sollte eine anschließende Deckung des entstandenen Defekts sich auf die Wiederherstellung aller Bestandteile konzentrieren. Patrinely und Papadopoulos wiederum haben sich bei einem niedrigen Entartungsrisiko für eine unvollständige Exzision ausgesprochen, wenn kritische Strukturen reseziert werden sollen, wodurch die Rekonstruktion weniger kompliziert wird. Sie plädieren für eine einfache Shave-Exzision bei solchen Läsionen und nicht für eine vollständige Resektion in voller Dicke [43].
Abb. 3
Die Grenze zwischen der anterioren Lidlamelle (AL), Haut, M. orbicularis oculi (OO) und der posterioren Lamelle (PL) markiert die graue Linie (GL). Tarsus (T), tarsale Konjunktiva (KO), Müller- und Levatormuskel. Sie ist auf dem hinteren Drittel der Lidkante ventral der Öffnungen der Meibom-Drüsen (ÖMD) erkennbar. Meibom-Drüse (MD) Mod. nach Gaca et al. [18]
Die zur Verfügung stehenden chirurgischen Techniken lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, die sich miteinander im klinischen Alltag kombinieren lassen:
Transplantationen und
Lappen.
Bei der Rekonstruktion der vorderen Lidlamelle mit einem freien Hauttransplantat für die hintere Lidlamelle darf nur ein Lappen und kein zweites freies Transplantat verwendet werden. Im Fall einer Rekonstruktion der hinteren Lamelle mit einem freien Transplantat muss die vordere Lidlamelle mit einem Lappen versorgt werden und darf kein zweites freies Transplantat erhalten. Das verwendete Gewebe kann vom ipsilateralen oder kontralateralen Auge stammen oder auch von anderen Körperregionen. Daneben kann auch künstliches oder sogar fremdes Stützgewebe eingebracht werden (Allotransplantation).
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Vollhauttransplantation
Wenn der lokale Lappen nicht verfügbar oder als sekundäre Option bei einer breiten Narbe nach einer vorangegangenen Exzision nicht vorhanden ist, sollte eine Defektdeckung nach Möglichkeit mit einer Vollhauttransplantation erfolgen. Das Transplantat besitzt eine ähnliche Güte wie ein lokaler Lappen und besteht aus allen Hautschichten mit Ausnahme des Unterhautfettgewebes. Die Schrumpfungstendenz ist gering. Bei der Auswahl der Entnahmestelle ist zu berücksichtigen, dass die Eigenschaften der entnommenen Vollhaut den Eigenschaften der Haut der zu rekonstruierenden Region ähnlich sind, da die Eigenschaften der Donorstelle, wie beispielsweise Pigmentierung, Behaarung und Schweißdrüsen, erhalten bleiben. Als geeignete Entnahmestellen stehen u. a. die Retroaurikulärregion, die Ellenbeuge oder die Leiste zur Verfügung. Als Therapiebeginn wird in der Literatur frühestens die zweite Hälfte des ersten Lebensjahrs empfohlen [43].
Transplantation eines autologen Kulturmediums
Klinische Erfahrungen mit dieser Methode, speziell für geteilte Nävi, lassen sich auf einen Fall von Alfano et al. zurückzuführen [2]. Die Autoren präsentieren einen Fall eines 25-jährigen Mannes mit kongenitalem geteiltem Nävus, der die Haut und die Bindehaut der oberen und unteren Augenlider betrifft. Nach chirurgischer Entfernung des Nävus und der Rekonstruktion der Augenlider mit lokalen Hautlappen und lateraler Kanthopexie wurden die verbleibenden Zellen mittels Biopsie entnommen. Innerhalb von 21 Tagen wurde ein autologes Bindehautepithel kultiviert, das anschließend an der Rekonstruktionsstelle eingesetzt wurde. Innerhalb von 3 Tagen hatten sich eine vollständige Konjunktivakontinuität gezeigt. Bei einer 6‑jährigen histopathologischen und elektronenmikroskopischen Follow-up-Untersuchung der transplantierten Bindehaut wurden identische Eigenschaften verglichen mit der umgebenden Bindehaut nachgewiesen.
Lokaler Lappen
Der lokale Gewebetransfer, bestehend aus verschiedenen muskulokutanen und tarsokonjunktivalen Lappen, in Kombination mit einer Hauttransplantation scheint insbesondere bei den kleinen und mittleren Defekten sehr gute kosmetische Ergebnisse mit minimalen Komplikationen zu erzielen. Zu den weiteren Vorteilen gehören eine gute Gewebeanpassung an die Empfängerstelle in Bezug auf Farbe, Elastizität und Dicke. Darüber hinaus kann die Entnahmestelle oft ohne sekundäre Deformität direkt verschlossen werden. Zu den in der Literatur beschriebenen Hauptkomplikationen zählen die Sperrigkeit des Transplantats und eine Nekrose der distalen Spitze, was jedoch selten vorkommt [43].
Entfernte gestielte Lappen
In der Literatur werden zwei Arten von gestielten Lappen für die Rekonstruktion mittelgroßer bis großer geteilter Nävi beschrieben: der postaurikuläre superfizielle muskuloaponeurotische System (SMAS)-gestiellte Lappen und ein Lappen unter Einbezug der Arteria temporalis superficialis („Tulpen-“/STA-Lappen). Zhu et al. haben sechs Patienten mit diesen Lappenplastiken behandelt – drei erhielten postaurikuläre SMAS-gestielte Lappen, während die anderen drei STA-Lappen bekamen („reversal superficial temporal artery“) [56]. Cologlu et al. beschreiben eine Behandlung mit einem ähnlichen axialen zweilappigen STA-Lappen bei fünf Patienten mit großen lateralen Kanthusdefekten [8, 26]. Zu den Vorteilen der Verwendung des Lappens gehört die einmalige Rekonstruktion großer Defekte mit gutem kosmetischem Ergebnis bei minimaler Nekrose an der Entnahmestelle. Als Komplikationen bei dieser Technik können eine venöse Obstruktion oder eine partielle epidermale Nekrose auftreten. Weitere mögliche Auswirkungen bei den Lappentechniken sind übermäßige Sperrigkeit, größere „Facelift-Narben“ an der Entnahmestelle und erhöhte technische Schwierigkeiten [43].
Jia et al. haben in ihrem Review 73 Fälle beschrieben und ausgewertet, die das gesamte Spektrum des chirurgischen therapeutischen Managements abbilden [26]. Die komplexe chirurgische Rekonstruktion jedes Defekts muss individuell abgestimmt und passend zum Ausgangsbefund durchgeführt werden, da ein geteilter Nävus ein breites Spektrum an Beteiligung des Augenlids und der umgebenden Gesichtsstrukturen beinhalten kann. Eine Ergänzung dieser Behandlungsmethoden durch biotechnologische Gewebezubereitungen oder Gentherapie in der Zukunft könnte sogar die oft sehr anspruchsvollen chirurgischen Methoden erleichtern oder sogar überflüssig machen.
Zukünftige potenzielle Behandlung
Die aktuelle regenerative Medizin bezieht sich auf den Bereich, der sich mit der Entwicklung neuer Therapien zur Regeneration, zur Wiederherstellung oder zum Ersatz von erkranktem oder beschädigtem Gewebe und Organen beschäftigt [10]. Das übergeordnete Ziel dieser vergleichsweisen jungen Disziplin ist die Entwicklung und In-vitro/vivo-Generierung neuartiger, zellbasierter Therapien. Eine der wichtigsten Therapiestrategien, die sich in den letzten Jahren sehr rasch entwickelt hat, ist die Stammzellentherapie. Unter physiologischen Bedingungen ist das Potenzial des Körpers, Stammzellen zu bilden, während des gesamten Lebens unbegrenzt (mit unterschiedlichen Raten in verschiedenen Geweben). Die meisten Stammzellen befinden sich in der Epidermis, die sich alle vier Wochen vollständig erneuert [30]. Die Fähigkeit dieser Zellen zur Selbsterneuerung und Multipotenz, die in vitro vermehrt und potenziell in ganz bestimmte „erwünschte“ Zelltypen differenziert werden können, werden hierbei gezielt genutzt. Auch in der Augenheilkunde besteht für verschiedene Erkrankungen das Interesse daran, zunehmend zellbasierte Therapien als therapeutische Anwendungsmöglichkeiten unter Verwendung von embryonalen und gewebespezifischen Stammzellen zu nutzen [4]. Das dafür erforderliche Wissen über die pränatale Lidentwicklung lässt sich sehr gut aus Mausmodellen ableiten. Die Entwicklung der Augenlider hat gemeinsame Merkmale im gesamten Stammbaum der Säugetiere, insbesondere bei lebendgebärenden Säugetieren und bei Mäusen [42, 55], denn der Lidschluss ist ein normaler biologischer Vorgang in der Entwicklung aller Säugetiere (Abb. 4). Bei der Maus werden die Prozesse der Lidentwicklung und des Lidschlusses in fünf Schritten abgeschlossen [12, 40, 45]. Basierend auf den Mausmodellen, bei denen mit verschiedenen Techniken wie Nullmutationen, Punktmutationen, Mikrodeletionen, Gen-Insertionen oder chromosomalen Umlagerungen die Keimbahn und die Erzeugung von Mausmutanten modifiziert wurden, haben unser Wissen über die embryonale und fetale Entwicklung der Augenlider und über Entwicklungsstörungen der Augenlider (insbesondere im Zusammenhang mit der Lidfusion und dem Versagen der Wiedereröffnung) erweitert [6, 38, 44]. „Grainyhead-like epithelial transactivator 1“ (Get1, auch als „grainyhead-like 3“, Grhl3, bezeichnet) reguliert wichtige Aspekte des terminalen Differenzierungsprogramms und der Barrierebildung der Mausepidermis [46, 53]. Bei Säugetieren ist Get1, als eines der drei Säugetier-Grainyhead-Gene, ebenfalls am umfassendsten untersucht [31, 46, 47]. Das Gen wird stark an der Vorderkante des sich entwickelnden Augenlids und an der Vorderkante von Wunden exprimiert (Abb. 4). Der Phänotyp des offenen Auges von Get1-Knock-out-modifizierten Mäusen bei der Geburt bietet die Gelegenheit, die Rolle von grainyhead-ähnlichen Genen wie Get1 beim Verschluss von Epithelstrukturen zu untersuchen. Obwohl es Beweise für die Rolle von Grainyhead-Genen beim Epithelverschluss gibt, zeigt sich, dass sowohl die molekularen als auch die zellulären Mechanismen, die am Get1-abhängigen Verschluss beteiligt sind, noch unzureichend beschrieben sind. Die Ergebnisse von Yu et al. deuten darauf hin, dass Get1 die Aktinpolymerisation, die Filopodienbildung, die Veränderung der Zellform von Keratinozyten und die rechtzeitige Bildung der Vorderkante beim Lidschluss fördert. Die Deletion des Gens Get1 führt zu einem verzögerten Lidschluss [52]. Aus den Mausmodellen ist weiterhin bekannt, dass eine Beeinträchtigung der Aktivin-Signalübertragung zu einer verzögerten Heilung von Hautwunden führte, wie Wankell et al. bei ihren Untersuchungen zeigen konnten [48]. Auch Li et al. haben gezeigt, dass bei c‑Jun-Null-Mäusen (c-Jun ist wesentlich für die Organisation der epidermalen Leitkante) eine verzögerte Wundheilung der Haut auftrat. Zusätzlich wurde auch eine verminderte Tumorbildung bei Mäusen, denen es an TGFα- oder EGFR-Signalübertragung fehlte, nachgewiesen [33, 54]. Jin et al. haben gezeigt, dass bei GPR48−/−-Mäusen eine verzögerte Ausdehnung der Leitkanten der Lidwurzeln, eine verminderte Filopodienbildung sowie eine verringerte Bildung von abgerundeten Peridermzellen an den Lidrändern auftreten [27]. GPR48, auch bekannt als LGR4, gehört zur Familie der Leucin-reichen G‑Protein-gekoppelten Rezeptoren (LGR), deren Mitglieder eine Unterfamilie von G‑Protein-gekoppelten Transmembranrezeptoren bilden [24]. Es wird während der Embryonalentwicklung im Epithel und in den apikalen mesenchymalen Zellen der Augenlider stark exprimiert. Die Studien von Jin et al. betonen, dass durch die positive Beeinflussung des EGFR-Signalweges durch GPR48 die Zellproliferation und Migration der Augenlidentwicklung gefördert wird [27]. Das volle Verständnis für den molekularen Mechanismus, der dem GPR48/EGFR-vermittelten Signalweg zugrunde liegt, sowie die Identifizierung anderer molekularer Mechanismen, die für den Lidschluss wichtig sind, kann zur Anwendung von modifizierten Stammzellen führen, die bei einer Dysregulation der Epithelzellmigration und Morphogenese eingesetzt werden können. Es ist denkbar, dass die Ergänzung der genannten Behandlungen durch biotechnologische Gewebepräparate oder die Gentherapie in Zukunft sehr anspruchsvollen Behandlungsmethoden inkl. der verschiedenen chirurgischen Ansätze erleichtern oder sogar ablösen könnten.
Abb. 4
Eine schematische Darstellung der verschiedenen Rollen von Get1 bei der Augenlidentwicklung. Die Entwicklung und die Augenlidfusion von Säugetieren folgt einem schrittweisen Ablauf, bei dem sich zunächst die primitive Lidwurzel bildet. Danach breitet sich die Vorderkante vom Lidrand mit starker Get1-Expression zentripetal aus. Dieser besteht aus Keratinozyten. Durch die Blattmigration der Keratinozyten wird das Auge schließlich bedeckt. Nach der Fusion des Augenlids legen sich die Lidwurzeln aneinander, und der größte Teil des Epithelblatts der Vorderkante wird abgestoßen. Neben der Migration ist auch die Keratinozytenproliferation in der Basalschicht der Lidwurzel für einen normalen Lidschluss erforderlich. Get1 spielt eine frühe Rolle bei der Bildung und der Migration der Keratinozyten der Vorderkante (a) und später eine Rolle bei der Bildung der epidermalen Barriere nach dem Lidschluss (b). Während der Bildung der Vorderkante aktiviert Get1 die F‑Aktin-Polymerisation über den TGFα/EGFR/ERK-Signalweg. F‑Aktin-Fasern regulieren außerdem die Veränderung der Zellform und die Bildung von Filopodien, um die Keratinozytenmigration und den Lidschluss zu fördern. Get1 fördert die Bildung der Hautbarriere durch direkte oder indirekte Regulierung von Genen, die die Strukturproteine und vernetzende Enzyme, Adhäsionsmoleküle und Lipid metabolisierende Enzyme kodieren. HS Hornschicht, KS Körnerschicht, BS Basalschicht, KO Konjunktiva. (Mod. nach Yu et al. [52])
Das Wissen über die multifaktorielle, zeitlich präzise und komplexe embryologische und fetale Morphogenese der Augenlider, die eine ganze Reihe streng regulierter morphogenetischer Entwicklungsschritte beinhaltet, führt nicht nur zum Verständnis bei der Entstehung von normalen Variationen in der Lidstruktur. Es beinhaltet auch ein Verständnis dafür, wie angeborene Missbildungen im Lidbereich auftreten können, wenn die normale Entwicklung fehlschlägt. Die Identifizierung und Verknüpfung von Signalkaskaden mit regulatorischen Genen bei kongenitalen Veränderungen könnte in der Zukunft nicht nur den Weg für eine fortschrittliche molekulare Diagnostik ebnen, sondern auch bei der Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten, bei denen beispielsweise induzierte Stammzellen zur Geweberegeneration eingesetzt werden. Die Entwicklung innovativer Therapien und Medizinprodukte, mit deren Hilfe körpereigene Regenerationsprozesse initiiert und gesteuert werden können, könnte ein Weg für eine bessere postoperative Wundheilung und Narbenreduktion sein und im klinischen Alltag zur Anwendung kommen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
P.J. Gaca, R. Rejdak, M.D. Toro, M. Lewandowicz, A. Kopecky, G.M. Somfai, R. Nowak und L.M. Heindl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Bis 2050 wird etwa jedes dritte Kind in Europa kurzsichtig sein [1]. Zur Vermeidung sehkraftgefährdender Folgekomplikationen ist die Progressionsverlangsamung der pädiatrischen Myopie* – z. B. mit niedrig dosiertem Atropin – von zentraler Bedeutung [2,3].