Forschungsarbeiten beschäftigen sich schon sehr lange mit dem Verhalten und Erleben von lügenden Personen und Indikatoren zum Erkennen von Täuschungen. Hierbei haben sie verschiedene theoretische Modelle zur Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen vorgeschlagen (zur Übersicht der verschiedenen Modelle siehe DePaulo et al.
2003; Sporer und Köhnken
2008). Beispielsweise nimmt der Erregungsansatz an, dass Täuschungen bei Personen Erregungen hervorrufen (Zuckerman et al.
1981). Diese sollen demnach durch physiologische Reaktionen wie eine größere Pupillendilatation, erhöhtes Blinzeln und mehr Sprechfehler sichtbar sein. Der Emotionsansatz geht hingegen davon aus, dass täuschende Personen sich bei absichtlichen Falschaussagen „schuldig“ fühlen und Angst haben, enttarnt zu werden (Zuckerman et al.
1981). Dies soll unter anderem zu einem unruhigeren Verhalten und einem eher ausweichenden Antwortverhalten führen. Insgesamt gehen solche Ansätze von Unterschieden zwischen täuschenden und wahr aussagenden Personen aus, die anhand nonverbaler Indikatoren (z. B. Blickabwendung, Arm‑/Bein‑/Fußbewegungen), paraverbaler Indikatoren (z. B. Stimmhöhe, Antwortlatenz) und verbaler Indikatoren (z. B. Detailarmut, Plausibilität) sichtbar sein sollen. Um diese theoretischen Annahmen zu untersuchen, wurden zahlreiche Studien durchgeführt, deren Ergebnisse DePaulo et al. (
2003) in einer umfangreichen Metaanalyse zusammenfassten. Dabei analysierten sie 116 wissenschaftliche Studien mit insgesamt 120 unabhängigen Stichproben und 158 möglichen Lügenindikatoren. Im Widerspruch zu den theoretischen Modellen, konnten zwischen täuschenden und wahr aussagenden Personen nur wenig signifikante Unterschiede im non- und paraverbalen sowie im verbalen Verhalten gefunden werden. Für die wenigen Verhaltensweisen, zu denen es überhaupt signifikante Unterschiede gab, waren die Effekte derart klein, dass sie im Einzelfall – und somit auch im Polizeialltag – nicht hilfreich sind (siehe hierzu auch Luke
2019). Entgegen weit verbreiteter Annahmen (The Global Deception Research Team
2006) ist das Beobachten verbaler und nonverbaler Indikatoren somit ungeeignet, um Täuschungen zu erkennen. International führende Forschende zum Erkennen von Täuschungen beleuchteten in einem Artikel Methoden wie das
Behavior Analysis Interview3 (als Teil der Reid-Technik; Inbau et al.
2013), Mikroexpressionen
4 (sehr kurze Gesichtsausdrücke), neurolinguistisches Programmieren und den
Baseline Approach5 (als Teil der Reid-Technik) unter der Überschrift „pseudowissenschaftliches Erkennen von Täuschungen“ (Vrij et al.
2019). Sie weisen ausdrücklich auf die fehlende empirische Grundlage und Untauglichkeit dieser Ansätze hin, deren Anwendung individuell schwerwiegende und kostenintensive Konsequenzen für die Beteiligten nach sich ziehen können. Weiter kritisieren sie scharf, dass Ermittelnde in solchen Methoden immer noch unterrichtet werden, diese verwenden und es nicht illegal sei, solche unfundierten Schulungen anzubieten.
Während die Untauglichkeit solcher Ansätze und Methoden in der Forschungsgemeinschaft allgemein akzeptiert und nicht mehr diskutiert wird, finden solche Indikatoren in der internationalen Ermittlungspraxis und den Medien jedoch noch immer Anwendung und Zuspruch (Vrij et al.
2019). Beispielsweise ist auch in deutschen Veröffentlichungen zu lesen, dass Täuschungen anhand von Blickkontakt bzw. Blinzelfrequenz, Mikroexpressionen, Angst oder der Fußstellung festzustellen seien (z. B. Grieger-Langer
o. J.; Hofmann
2019; Nasher
2015; Schiwon
2016). Besonders bedenklich stimmt dabei, dass laut Referenzangaben dieser Publikationen auch Polizist*innen auf solche Angebote zurückgriffen.
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