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Erschienen in: Ethik in der Medizin 3/2016

15.07.2016 | Kontroverse

Odysseus-Verfügungen mit besonderer Berücksichtigung der Tiefen Hirnstimulation. Contra

verfasst von: Elsa Romfeld, M.A.

Erschienen in: Ethik in der Medizin | Ausgabe 3/2016

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Auszug

Es ist eine Tatsache, dass dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht nur in der westlichen Medizinethik, sondern generell in unserer Kultur ein hoher Wert beigemessen wird. Um seine Autonomie auch bei Einwilligungsunfähigkeit weitestgehend zu bewahren, gilt dem mündigen Bürger die Patientenverfügung spätestens seit ihrer gesetzlichen Regelung in Deutschland im Jahre 2009 als probates Mittel.1 Einen Sonderfall der Patientenverfügung bildet die „Odysseus-Verfügung“, die, neben den Anweisungen zum Durchführen oder Unterlassen medizinischer Maßnahmen, den Zusatz enthält, abweichenden späteren Behandlungspräferenzen ihres Verfassers nicht zu folgen. Mit dieser Meta-Anweisung will er – wie einst Odysseus – zum Zeitpunkt der Verfügung (T1) sicherstellen, dass sein gegenwärtiger Wille (W1) zu einem zukünftigen Zeitpunkt (T2) wirkmächtig bleibt, sogar wenn er zum Zeitpunkt T2 einen anderen Willen (W2) äußerte. Ein potentieller Konflikt zwischen W1 und W2 wird also durch Selbstbindung vorwegnehmend zugunsten von W1 entschieden.2
Fußnoten
1
Siehe dazu § 1901a Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
 
2
Siehe ausführlicher dazu ([4], S. 104–107).
 
3
Und sei es die existenzielle Entscheidung, mit bestimmten Kompetenzeinbußen, etwa bei fortgeschrittener Demenz, doch weiterleben zu wollen.
 
4
Siehe dazu z. B. ([1], S. 291 f.).
 
5
Unabhängig davon, kann es notwendig sein, jemandem eine therapeutische Maßnahme zu versagen oder diese abzubrechen (z. B. zum Schutze Dritter); das ist aber kaum sinnvoll in den Mantel der Selbstbestimmung zu kleiden.
 
6
Es ist für die Problematisierung in diesem Rahmen nebensächlich, ob es sich um „Persönlichkeitsvarianten“, unterschiedliche „Persönlichkeiten“ oder verschiedene „Identitäten“ handelt. Ginge man von Letzterem aus, würde das eher die Intuition stärken, dass nicht die eine über die andere verfügen darf.
 
7
Zur Dworkin-Dresser-Debatte siehe u. a. ([5], S. 324–329).
 
8
So nennt z. B. Hallich gute Gründe dafür, „critical interests“ auch von „experiential interests“ aushebeln zu lassen; vgl. Oliver Hallich (2015) Prolonged autonomy? The principle of precedent autonomy and the binding force of advance directives in dementia (unveröffentlicht).
 
9
Hier im engeren Sinne der „critical interests“ gebraucht.
 
10
„Wir irren uns empor“ ist eine auf Odo Marquard zurückgehende und durch Gerhard Vollmer bekannt gewordene Kurzcharakterisierung der Wissenschaftstheorie Karl Poppers: Fortschritt existiert, weil wir aus unseren Fehlern lernen können. Falsifikationen sind freilich ihrerseits nie endgültig, die Suche nach der „Wahrheit“ nie abgeschlossen. Analog gilt das für die Erfahrungsbildung von P bzw. p.
 
11
Idealerweise evaluiert und wiederholt man das in regelmäßigen Abständen.
 
12
Vorsichtig in diese Richtung weist der Vorschlag von Brukamp, Wertvorstellungen, Überzeugungen, Wünsche etc. des Patienten vor Beginn der THS in einer „Wertanamnese“ zu dokumentieren, um diese nach Therapiebeginn bei Bedarf als Erinnerungshilfe heranzuziehen (vgl. [2], S. 148).
 
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Aicher S (2013) Odysseus-Verfügungen als Mittel zur Selbstbestimmung in der Psychiatrie? In: Ach JS (Hrsg) Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin. Mentis, Münster, S 282–300 Aicher S (2013) Odysseus-Verfügungen als Mittel zur Selbstbestimmung in der Psychiatrie? In: Ach JS (Hrsg) Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin. Mentis, Münster, S 282–300
2.
Zurück zum Zitat Brukamp K (2013) Psychische Nebenwirkungen der tiefen Hirnstimulation – medizinische Tatsachen und ethische Lösungsansätze. In: Manzeschke A, Zichy Z (Hrsg) Therapie und Person. Ethische und anthropologische Aspekte der tiefen Hirnstimulation. Mentis, Münster, S 135–153 Brukamp K (2013) Psychische Nebenwirkungen der tiefen Hirnstimulation – medizinische Tatsachen und ethische Lösungsansätze. In: Manzeschke A, Zichy Z (Hrsg) Therapie und Person. Ethische und anthropologische Aspekte der tiefen Hirnstimulation. Mentis, Münster, S 135–153
3.
Zurück zum Zitat Quante M (2002) Personales Leben und menschlicher Tod. Suhrkamp, Frankfurt a. M., S 268–295 Quante M (2002) Personales Leben und menschlicher Tod. Suhrkamp, Frankfurt a. M., S 268–295
4.
Zurück zum Zitat Romfeld E (2014) Grenzen der Vorausverfügung am Lebensende. In: Hoffstadt C et al (Hrsg) Zwischen Vorsorge und Schicksal. Über die Beherrschbarkeit des Körpers in der Medizin. Projekt, Bochum, S 103–114 Romfeld E (2014) Grenzen der Vorausverfügung am Lebensende. In: Hoffstadt C et al (Hrsg) Zwischen Vorsorge und Schicksal. Über die Beherrschbarkeit des Körpers in der Medizin. Projekt, Bochum, S 103–114
5.
Zurück zum Zitat Schmidthuber M (2013) Überlegungen zu den Grenzen der Patientenverfügung für die Selbstbestimmung von Demenzbetroffenen im Anschluss an die Dworkin-Dresser-Debatte. In: Ach JS (Hrsg) Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin. Mentis, Münster, S 317–334 Schmidthuber M (2013) Überlegungen zu den Grenzen der Patientenverfügung für die Selbstbestimmung von Demenzbetroffenen im Anschluss an die Dworkin-Dresser-Debatte. In: Ach JS (Hrsg) Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin. Mentis, Münster, S 317–334
Metadaten
Titel
Odysseus-Verfügungen mit besonderer Berücksichtigung der Tiefen Hirnstimulation. Contra
verfasst von
Elsa Romfeld, M.A.
Publikationsdatum
15.07.2016
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Ethik in der Medizin / Ausgabe 3/2016
Print ISSN: 0935-7335
Elektronische ISSN: 1437-1618
DOI
https://doi.org/10.1007/s00481-016-0406-8

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