Erschienen in:
05.01.2023 | Patientenverfügung | Leitthema
Wenn der Sterbeprozess nicht zum Tod führt
Legitimität ärztlichen Handelns am Ende des Lebens
verfasst von:
Prof. Dr. med. Ulrich Kunzendorf, Dr. jur. Friederike Kunzendorf
Erschienen in:
Die Nephrologie
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Ausgabe 2/2023
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Zusammenfassung
Bei einigen Patienten tritt der Tod nicht mehr als ein Ereignis ein, sondern steht am Ende eines längeren Sterbeprozesses. Insbesondere bei Patienten mit einer primären oder sekundären Hirnschädigung können die Körperfunktionen über Wochen und Monate dank moderner Medizintechnik aufrechterhalten werden, ohne dass diese Patienten jemals wieder die Chance haben, das Bewusstsein zu erlangen. Wie lange dieser Sterbeprozess dauert, liegt dann an der Intensität und Dauer der medizinisch-technischen Maßnahmen. Dabei ist die Haltung der Bevölkerung in Deutschland hinsichtlich der Frage nach lebenserhaltenden intensivmedizinischen Maßnahmen gespalten. Während 57 % der Befragten laut Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Angst davor haben, nur durch „Maschinen“ am Leben gehalten zu werden, sorgen sich 30 % der Befragten, dass die medizinischen Maßnahmen nicht ausgeschöpft werden und der Tod vorzeitig eintritt [
1]. Soweit eine Patientenverfügung vorliegt bzw. ein klar geäußerter Wille erkennbar ist, sind die rechtliche und die medizinische Situation eindeutig. Der Arzt hat den selbstbestimmt geäußerten Willen des Patienten zu achten und zu befolgen. Eine deutlich schwierigere Problematik ergibt sich jedoch, wenn dieser Wille gerade nicht erkennbar oder klar geäußert ist. Dabei stellen sich in diesem Problemfeld hochkomplexe ethische, rechtliche und soziale Grenzfragen: Sollte die Limitierung medizinisch-technischer Maßnahmen unter bestimmten Umständen erlaubt sein? Welche Kriterien sollten einer solchen Entscheidung zugrunde gelegt werden? Wer ist befugt, diese Entscheidung zu treffen? Brauchen wir ein konsentiertes Prozedere, das zur Entscheidung führt? Der vorliegende Artikel betrachtet diese Fragen und will damit die Diskussion zu einer Problematik intensivieren, die durch den rasanten medizinischen Fortschritt in Zukunft noch deutlich an Bedeutung zunehmen wird.