Erschienen in:
02.02.2017 | Psychotherapie | Originalarbeit
Zur Lage der professionellen Psychotherapie
Nach DSM-5, Neurohype und RCT-Dominanz
verfasst von:
Prof. Dr. Michael B. Buchholz
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
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Ausgabe 3/2017
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Zusammenfassung
Meine 1999 veröffentliche Theorie „Psychotherapie als Profession“ wird Grundlage zu einer Reflexion auf den Stand von heute: Die psychotherapeutische Forschung hat die „talking cure“ in ihren Effektstärken und „Outcome“-Maßen erheblich rehabilitiert; weder die technische („Interventionen“ bei „Störungen“) noch die medizinische Metapher (Stiles und Shapiro 1989), haben halten können, was sie versprachen; „Randomized-controlled-trial“-(RCT)-Methodologie hat strenge Logik, weniger jedoch Praxisrelevanz für sich. Diese Forschungsumwelt kontrastiert mit einer politischen Umwelt, wie sie durch eine „Direktausbildung“, vom Psychotherapeutentag im Herbst 2015 beschlossen, geschaffen würde. Sie würde medizinische Orientierungen in die Ausbildung bringen, wie sie derzeit in der Forschung infrage gestellt werden.
Andere scharfe Konfliktlagen sind: Zwar gibt es Frontlinien zwischen verschiedenen therapeutischen Schulen, vor allem Verhaltenstherapie (VT) bzw. Cognitive Behavior Therapy (CBT) und psychodynamischen Richtungen. Doch verläuft die wichtigere Frontlinie der „psychotherapy wars“ (Woolfolk 2015, S. 34 spricht sogar von „civil wars“) zwischen einer humanwissenschaftlichen und einer technisch-pharmakologischen Auffassung der Psychotherapie. Die Erfolge der Letzteren sind fragiler als ihre Propaganda. Was bleibt und wirkt, ist eine humanwissenschaftliche, durchaus auch humanistische Rehabilitierung therapeutischer Orientierungen, die in professioneller Konversation vermittelt werden. Die Profession könnte in diesem günstigen historischen Augenblick die Freiheit zurückgewinnen, humanwissenschaftliche Orientierung und therapeutische Gesprächskunst selbst ins Gespräch zu bringen. Die alte Frontstellung zwischen „Hermeneutikern“ und „Empirikern“ kann durch eine dritte Position überwunden werden. Es gibt eine neue, eine „andere Empirie“: die des Gesprächs.