Menschen mit einer körperdysmorphen Störung (KDS) machen sich übermäßig Sorgen und beschäftigen sich exzessiv mit einer objektiv nichtexistenten – oder zumindest von anderen als unerheblicher Defekt angesehenen – Veränderung in ihrem Erscheinungsbild. Sie können vor ihren eigenen Augen nicht bestehen, fühlen sich hässlich, sind überzeugt, dass ihre Nase, ihr Körperbau, ihre Haut sie entstellen. Je mehr sie sich mit ihrem Aussehen beschäftigen, umso mehr richtet sich der Blick auf die scheinbaren Schönheitsmakel und verfestigt sich der Eindruck der eigenen Unattraktivität. Die Betroffenen empfinden sich nicht als krank; vielmehr sind sie überzeugt, dass es ein körperlicher Makel ist, der sie immer wieder vor den Spiegel zwingt. Solche Patienten suchen einen Hautarzt auf, manche auch einen plastischen Chirurgen, um ihrem Schönheitsideal näherzukommen – dieses bleibt aber für die Patienten aufgrund ihrer verzerrten Körperwahrnehmung unerreichbar.
Wir leben in einer Zeit, in der „gutes Aussehen“ immer mehr an Bedeutung zunimmt und in der Menschen mit makellosem Gesicht und mit schöner Haut bessere Chancen im Leben haben. Dementsprechend rückt die körperdysmorphe Störung (KDS) als eine zeitspezifische und relevante Erkrankung immer mehr in das wissenschaftliche Interesse von Psychologie und Medizin, insbesondere der Psychosomatik und Dermatologie [1, 2]. Die Diagnose einer KDS ist schwierig zu stellen, da sowohl differenzialdiagnostisch als auch komorbid andere psychiatrische Erkrankungen abzugrenzen sind. Ebenso sind die Vermittlung zum zuständigen Facharzt und das Erreichen einer hinreichenden Patienten-Compliance, wenn einmal eine Therapie festgelegt wurde, meist problematisch [1, 2].
Grundlagen
Unter KDS versteht man eine Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Die Betroffenen empfinden ihren Körper oder einzelne Körperteile als hässlich oder entstellt, wobei sich dies häufig auf das Gesicht oder den Kopf bezieht ([3, 4]; Tab. 1).
Tab. 1
Lokalisation der wahrgenommenen „Defekte“ bei körperdysmorpher Störung. (Nach Phillips et al. [5])
Körperregion
Häufigkeit (%)
Haut
73
Haare
56
Nase
38
Augen
20
Beine, Knie
18
Kinn, Kiefer
13
Brust
12
Bauch, Hüften
11
Lippen
11
Penis
9
Zähne
7
Ohren
7
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Es besteht eine übermäßige Beschäftigung mit einem körperlichen Makel, der entweder objektiv nicht als solcher erkennbar oder so geringfügig ausgeprägt ist, dass die Beschäftigung damit deutlich übertrieben ist. Die Betroffenen befassen sich übermäßig mit dieser eingebildeten Entstellung der äußeren Erscheinung, haben dadurch einen klinisch relevanten Leidensdruck und sind in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen beeinträchtigt [6]. Die übermäßige Auseinandersetzung zeigt sich auf kognitiver Ebene; PatientInnen verbringen viel Zeit damit, sich Gedanken über den vermeintlichen Makel zu machen, oftmals mehrere Stunden pro Tag, wiederkehrend intrusiv und schwer zu kontrollieren.
Betroffene verspüren einen klinisch relevanten Leidensdruck
Ebenso zeigen sich ein ausgeprägtes Sicherheits- und ein kontrollierendes Verhalten (Kontrolle des Aussehens in Spiegeln oder anderen reflektierenden Gegenständen: „mirror-checking“). Gezieltes Fragen fordert bei anderen Rückbestätigung, und die Betroffenen vergleichen das eigene Aussehen mit dem ihrer Mitmenschen. Viele Stunden werden für die Camouflage des vermeintlichen Defekts sowie für Grooming (kämmen, rasieren) aufgewendet. Häufig erfolgen Berühren des Defekts und Zupfen an der Haut. Kennzeichnend ist ein starkes sozial beeinträchtigendes Vermeidungsverhalten; auch das Vermeiden von Spiegeln und reflektierenden Flächen kommt vor [7]. Die Beschwerden der Patientinnen konzentrieren sich v. a. auf das Aussehen der Haut (Falten, Flecken, Narben, Gefäßzeichnungen), der Haare (Haarausfall), Brüste und des Gesichts (Nase). Für Männer sind neben den genannten Beschwerden auch die subjektiv als zu wenig entwickelt empfundenen Muskeln und Genitalien bedeutsam [5].
Stellenwert der kosmetischen Therapie
Die KDS-Erkrankung wird häufiger bei PatientInnen, die den Wunsch nach kosmetischer Dermatologie bzw. ästhetischer Chirurgie [8] äußern gesehen. Sie ist aber eine rein psychiatrische Erkrankung und kann demzufolge nicht chirurgisch geheilt werden. Patienten suchen nur in den seltensten Fällen einen Psychiater/Psychotherapeuten auf; vielmehr wenden sie sich in erster Linie an plastische Chirurgen und Dermatologen, was das zugrunde liegende Problem i. Allg. nicht beheben kann. Im Gegenteil: Die Patienten setzen sich der Gefahr aus, in ihrem Irrglauben bestätigt zu werden, insbesondere dann, wenn auf ihre Wünsche nach einem Eingriff sofort und ohne Rückfragen eingegangen wird.
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Erwartungen bezüglich des therapeutisch Erreichbaren bestimmen den Erfolg kosmetischer Interventionen
Dieses Problem ist zum Glück auch operativ tätigen KollegInnen bewusst; Letztere wären in vielen Fällen froh, wenn ein Psychiater oder ein Psychologe ihnen helfen würde, die Erfolgsaussichten ihrer operativen Möglichkeiten konkreter abzuschätzen. Kosmetische Operationen im Rahmen der plastischen Chirurgie sind am ehesten dann erfolgreich, wenn die Betroffenen die Gründe für ihre Unzufriedenheit relativ deutlich beschreiben können und auch realistische Erwartungen hinsichtlich des therapeutisch Erreichbaren haben. Wenig aussichtsreich sind sie dann, wenn die Patienten nur diffuse oder wechselnde Beschwerden äußern, über Symptome in mehreren Bereichen des Körpers klagen, oder wenn ihre Krankengeschichte bereits gescheiterte Behandlungsversuche aufweist [9].
Entwicklung der Störung
In mehr als 80 % der Fälle tritt die KDS in der Pubertät erstmals auf, also in einer vulnerablen Entwicklungsphase, in der die Pubertierenden ihre Persönlichkeit entwickeln und grundsätzlich bereits eine hohe Selbstunsicherheit besteht. Sich um das eigene Aussehen zu kümmern, wird zur Lösungsstrategie gegen diese Unsicherheit. In schweren Fällen werden mehrere Stunden am Tag für Kontrollrituale aufgewendet, im Spiegel, in Fensterscheiben, im Handy-Display wird das eigene Aussehen überprüft, oder es werden permanent andere zum eigenen Aussehen befragt. Die tägliche Zeit, mit der sich PatientInnen mit dem eigenen Aussehen beschäftigen, kann als grobes Maß für die Schwere der Erkrankung verwendet werden.
Die Betroffenen ziehen sich zurück, treffen keine Freunde mehr, schaffen es nicht mehr in die Schule oder zur Arbeit, aus Angst, in einem sozialen Umfeld wegen ihrer vermeintlichen Schönheitsmakel aufzufallen. Die sich einstellende soziale Phobie ist hierbei nicht Ursache, sondern sekundäre suboptimale Lösung aus Angst, sich zu zeigen oder mit den vermeintlichen Makeln in der Öffentlichkeit konfrontiert zu sein.
Unmittelbare Auslöser für die KDS können Mobbing oder Hänseleien sein [1]. Auch in den Medien vermittelte Schönheitsideale spielen eine Rolle: Meist sind dort die Attraktiven auch die Erfolgreichen. Allerdings ist KDS kein Phänomen des Medienzeitalters.
Begriffsbestimmung und diagnostische Einordnung
Bereits 1886 wurde die Erkrankung unter dem Begriff „Entstellungsangst“ (Dysmorphophobie) vom italienischen Psychiater Morselli beschrieben [10]. Schon Homer beschrieb in seiner Sage über Troja den hässlichsten Krieger im griechischen Heer, „Thersites“, den Achill wegen seiner Hässlichkeit bloßstellt [11]. Der Begriff Dysmorphophobie leitet sich aus dem Altgriechischen (dys: schlecht, morphé: Gestalt, äußere Erscheinung, phóbos: Furcht, Angst) ab und bedeutet übersetzt so viel wie Missgestaltungsfurcht. Erst 100 Jahre später (1987) wurde die Dysmorphophobie als eigenständige psychiatrische Diagnose ins Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders aufgenommen (DSM-III-R, [12]).
Historisch und synonym verwendete Ausdrücke sind neben Dysmorphophobie, Hässlichkeitskummer, Schönheitshypochondrie, dermatologische Non-disease, Thersites-Komplex, Dorian-Gray-Syndrom. Die heute bevorzugte Bezeichnung lautet körperdysmorphe Störung.
Bis heute existieren unterschiedliche Auffassungen über die diagnostische Einordnung der KDS. In der aktuellen DSM 5 ist die KDS den Zwangsstörungen zugeordnet (Infobox 1; [13]).
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Infobox 1 DSM-5: Zwangsstörung und verwandte Störungen
A.
Übermäßige Beschäftigung mit einem oder mehreren vermeintlichen Mängeln oder Defekten im äußeren Erscheinungsbild, die für andere nicht erkennbar sind oder geringfügig erscheinen
B.
Neu: Im Verlauf der Störung hat die Person in Reaktion auf die Befürchtungen bezüglich des Aussehens sich wiederholende Verhaltensweisen – repetitiv – (z. B. Überprüfung im Spiegel, übermäßige Körperpflege, „skin picking“, Rückversicherungsverhalten) oder gedankliche Handlungen (z. B. Vergleich des Aussehens mit anderen) ausgeführt
C.
Die übermäßige Beschäftigung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
D.
Die übermäßige Beschäftigung mit dem äußeren Erscheinungsbild wird nicht besser durch die Diagnose einer Essstörung erklärt (z. B. bei Befürchtungen in Bezug auf Körperfett oder -gewicht)
Mit Muskeldysmorphophobie: Die Person ist übermäßig beschäftigt mit der Vorstellung, dass ihr Körper zu klein oder nichtausreichend muskulös gebaut ist. Dieses Bestimmungsmerkmal trifft auch zu, wenn die Person sich übermäßig mit anderen Körperbereichen beschäftigt, was sehr häufig der Fall ist
Gebe das Ausmaß der Einsicht in Bezug auf die Inhalte der körperdysmorphen Störung (z. B. „Ich sehe hässlich aus“ oder „Ich sehe entstellt aus“) an
Mit guter oder ausreichender Einsicht: Die Person erkennt, dass die Inhalte der KDS eindeutig oder wahrscheinlich nicht der Realität entsprechen
Mit wenig Einsicht: Die Person glaubt, dass die Inhalte der KDS wahrscheinlich der Realität entsprechen
Mit fehlender Einsicht/Wahn: Die Person ist vollkommen überzeugt, dass die Inhalte der KDS der Realität entsprechen
In der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) wird die Symptomatik der KDS allerdings unter der Bezeichnung „Dysmorphophobie“ der hypochondrischen Störung zugeordnet ([14]; Infobox 2). Die KDS ist oft von anderen psychischen Erkrankungen nicht eindeutig abgrenzbar, da sich ihre Symptome teilweise mit denen der Hypochondrie oder der Zwangsstörung überschneiden.
Vorherrschendes Kennzeichen ist eine beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten zu leiden. Die Patienten manifestieren anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit ihren körperlichen Phänomenen. Normale oder allgemeine Körperwahrnehmungen und Symptome werden von dem betreffenden Patienten oft als abnorm und belastend interpretiert und die Aufmerksamkeit meist auf nur ein oder zwei Organe oder Organsysteme des Körpers fokussiert. Depression und Angst finden sich häufig und können dann zusätzliche Diagnosen rechtfertigen.
Exkl.: Auf die körperlichen Funktionen oder die Körperform fixierte Wahnphänomene (F22.-) Wahnhafte Dysmorphophobie (F22.8) Zwangsstörung (ichdyston)
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Die Ursachen liegen oft in der Kindheit; ein übermäßig behütendes Elternhaus z. B. kann eine Rolle spielen, aber auch die Erfahrung, zurückgewiesen oder immer kritisiert zu werden. Oft fehlt es den Betroffenen an Selbstwertgefühl und an der Fähigkeit, Konflikte auszuhalten und zu lösen [1, 7].
Prädisponierende Faktoren
Verschiedene Theorien versuchen, die Entstehung einer KDS verstehbar zu machen. Die „Self-Discrepancy Theory (SDT)“ ist ein von Veale et al. [15] dargestellter Ansatz, der anhand einer Studie verifiziert werden konnte: Es wiesen 72 Patienten mit KDS v. a. im „Selbstideal“ und im „Selbstsein-Wollen“ Unterschiede im Vergleich zu Kontrollpersonen auf, während sie im „aktuellen Selbst“ und bei „Anderen-Ideal“ keine Unterschiede zeigten.
Neben diesen deskriptiv-psychiatrischen Ansätzen gibt es Berichte, die von einem Entzündungsprozess im frontotemporalen Bereich des Gehirns ausgehen [16]. Neuere Hirnstudien zeigen eine verändert Dicke im Kortex [17].
Neben individuellen psychischen und biologischen Dispositionen spielen soziale Faktoren eine Rolle
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Aus biologischer Sicht wird die Hypothese diskutiert, die KDS gehöre zu einem Spektrum von Zwangsstörungen, das u. a. Hypochondrie, Essstörungen, Impulskontrollstörungen und Trichotillomanie umfasst [18]. Als Argumente für diese Theorie werden phänomenologische Ähnlichkeiten in Struktur und Inhalt des Denkens sowie des Verhaltens, Parallelen im Verlauf, hohe Komorbidität untereinander und mit affektiven Störungen sowie das gehäufte Auftreten in Familien genannt. Die Ansprechbarkeit auf selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) und auf die kognitiv-behaviorale Therapie sind weitere Argumente [19].
Aufgrund der vorläufigen Hinweise auf die mögliche Effektivität von SSRI bei KDS [20‐23] wird auch eine Störung des Serotoningleichgewichts als gemeinsame neurobiologische Grundlage diskutiert [24].
Unbestritten ist, dass neben individuellen psychischen und biologischen Dispositionen auch soziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Hierzu zählen zum einen gesteigerten Standards bezüglich körperlicher Attraktivität und auch die größere Bedeutung von Schönheitsidealen im Alltag [25]. Modebedingte Lifestyle-Faktoren und Trends der westlichen Kultur spielen eine entscheidende Rolle. Bereits 1979 stellten Ohlsen et al. fest, dass 81 % der Patientinnen die Idee zur Brustvergrößerung durch Artikel in Wochenmagazinen bekamen [26]. Zum anderen könnten die rapide Weiterentwicklung und die Verbreitung von medizinischen, insbesondere plastisch-chirurgischen Behandlungsmethoden den Bedarf an Korrekturen gesteigert haben [27, 28].
Erklärungs- und Therapieansätze
Kognitiv-behavioral
Kognitiv-behaviorale Erklärungsansätze stellen fehlerhafte Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse aufgrund einer erhöhten Sensibilität für ästhetische Proportionen oder perfektionistische Standards bezüglich des eigenen Aussehens in den Vordergrund [29, 30]. Danach tragen selektive Aufmerksamkeit [31] und/oder fehlerhafte Wahrnehmungsprozesse [32] zu einer verzerrten Repräsentation des eigenen Aussehens bei. Grocholewski et al. [33] konnten bei 20 Patienten mit KDS im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen deutliche Unterschiede in der selektiven Wahrnehmung von körperlichen Veränderungen darstellen. Unklar bleibt, ob diese Veränderungen angeboren oder durch selektive Wahrnehmung habituiert sind. Kontrollrituale, Sicherheitsverhalten und soziale Vermeidung stabilisieren die Überzeugung, entstellt zu sein, indem sie korrigierende Informationen ausschließen [34]. Die begleitenden depressiven Symptome, sozialer Rückzug sowie Hoffnungslosigkeit und Suizidalität werden als Folgen des Verlusts der Kontrolle, das Aussehen nur begrenzt manipulieren zu können, gesehen.
Psychodynamisch
Psychoanalytische Theorien gehen unter Berufung auf Freuds Fallbericht „Der Wolfsmann“ [35] von einem ödipalen Grundkonflikt aus [36]. Neuere psychoanalytische Ansätze postulieren eine narzisstische Problematik, die in einer pathologischen Überbesetzung und -bewertung des eigenen Aussehens resultiert. Die Betroffenen weisen danach eine tiefgehende Störung der Ich-Identität und einen sensitiven Beziehungswahn auf, und die Störung habe die Funktion, vor einer psychotischen Dekompensation zu schützen [36].
Entwicklungspsychologisch können Abhängigkeits‑, Separations- und Autonomiekonflikte in der frühen Kindheit mögliche Ursachen für eine hypochondrische Entwicklung sein. Diese können bei unzureichender Lösung zu oral- oder anal-sadistischen und progressiv-perversen Abwehrstrukturen führen, die letztlich der Kompensation von desintegrativen Angstzuständen dienen. So wird eine Entwicklung des Betroffenen gefördert, sich in ein autistisches selbstentwertendes Ekelgefühl zu flüchten, um die abgewehrten (unbewussten) Konflikte nicht wieder aufleben zu lassen [37, 38].
Bindungstheoretische Aspekte werden zur Erklärung der KDS herangezogen
Weitere Erklärungsmodelle liefern die bindungstheoretischen Ansätze, in deren Rahmen inzwischen sehr klar gezeigt werden konnte, dass unsicher bzw. ängstlich gebundene Kinder die höchste Rate an hypochondrischen Gedanken und funktionellen Störungen haben [39]. Auch Studien zum Selbstbild in Abhängigkeit von einer depressiven Mutter weisen deutlich auf psychodynamische Verstehensansätze hin: In der Untersuchung einer norwegischen Arbeitsgruppe [40] fanden sich enge Zusammenhänge zwischen den Zufriedenheiten junger Erwachsener mit ihrem Aussehen und den gleichzeitig empfundenen Schönheitsproblemen ihrer Mütter.
Des Weiteren konnte eine Studie bei Kindern im Alter von 2 Monaten darstellen, dass die 57 untersuchten Kinder mit Problemen in der Mutter-Kind-Interaktion nach 2 Jahren Follow-up deutlich mehr gesundheitliche Probleme entwickelt hatten als die Kontrollgruppe von 63 Kindern [41].
Da das Selbstwertgefühl und die Frustrationstoleranz der Betroffenen gestärkt werden müssen, setzen Therapien oft darauf, solche Kompetenzen zu üben. Durch Exposition und andere Methoden bei kognitiver Verhaltenstherapie wird eine Änderung des Verhaltens angestrebt [42]. Manchen KDS-PatientInnen helfen Antidepressiva der SSRI-Klasse, insbesondere, wenn Schul- oder Arbeitsunfähigkeit eingetreten oder eine klinisch relevante Depression hinzugetreten ist. Zur Anwendung kommen Escitalopram (Cipralex®) [43], Citalopram (Seropram®) [44], Fluoxetin (Fluctine®) [45].
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch ist die KDS von der Zwangsstörung (Zwangsstörung: Ich-synton, nicht zu mir gehörig, aversiv erlebt vs. KDS: fluktuierend zwischen Ich-synton und Ich-dyston), der hypochondrischen Störung (Angst, Umwelt verliert an Bedeutung), einer Essstörung (umfassende Körperschemastörung) und der sozialen Phobie (Folgeerkrankung) abzugrenzen [46, 47].
Epidemiologie
Hinsichtlich der Prävalenz der KDS ermittelten repräsentative Fragebogenerhebungen Anteile von 1–2 % in der Allgemeinbevölkerung; bei PatientInnen, die in dermatologischen Ambulanzen vorstellig werden, beträgt Prävalenz bis zu 15 %. Es besteht ein leicht erhöhtes Verhältnis der Betroffenen von Frauen zu Männern ([5]; Tab. 2). Gieler et al. konnten in 2 repräsentativen Erhebungen in Deutschland mithilfe eines identischen Fragebogens zeigen, dass die Prävalenz der klinisch relevanten körperdysmorphen Störung von 2002 bis 2013 von 0,4 % auf 1 % zugenommen hat, die subklinische KDS sogar von 0,5 % auf 2,6 % [48].
Tab. 2
Soziodemografische Daten der Patienten mit körperdysmorpher Störung. (Nach Phillips et al. [5])
Variable
Häufigkeit
Prävalenz (%)
1–2
Durchschnittsalter (Jahre)
32,0
Krankheitsdauer (Jahre)
15,5
Alter bei Erstmanifestation (Jahre)
16,9
Weibliches Geschlecht (%)
68
Verheiratet (%)
24,5
Komorbidität (%)
– Depression
73,7
– Soziale Phobie
36,8
– Schädlicher Gebrauch psychotroper Substanzen
31,6
Screening und Diagnose
Da kosmetische und chirurgische Eingriffe bei PatientInnen mit KDS kaum zu einer Besserung der psychischen Symptomatik führen [49], sollte bei geringstem Verdacht auf das Vorliegen einer KDS im Rahmen eines Vorgesprächs versucht werden, die PatientInnen zu erkennen, um sie einer adäquateren Therapie zuführen zu können (Abb. 1).
×
In einem Erstgespräch sollen Motivation, persönliche Erwartungen und Körperbefunde erhoben werden. Ist die Problembeschreibung realistisch oder maßlos übertrieben? Ein Leidensdruck ohne Makel muss hellhörig machen. Wie viel Zeit wird täglich über den vermeintlichen Makel nachgedacht? Wie lange beschäftigt sich die Person überhaupt täglich mit dem eigenen Körperbild? Mit welchen Techniken wird der „Makel“ versteckt? Bestehen Schwierigkeiten beim Anknüpfen sozialer Kontakte? Und so weiter.
Mehrere Screeningfragebogen haben sich diesbezüglich in den letzten Jahren als Hilfsmittel etabliert (Infobox 3).
Infobox 3 Diagnostische Untersuchungsinstrumente zur Erfassung einer körperdysmorphen Störung
Body Dysmorphic Disorder Diagnostic Module (BDDDM): angelehnt an Phillips 1993, ins Deutsche von Stangier 1996 [51]
Body Dysmorphic Disorder Modification of Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (BDD-YBOCS): Phillips et al. 1997, deutsche Übersetzung (Stangier 2000) [52]
Unter den verfügbaren Fragebogen scheinen der BDDDM [51] sowie der Dysmorphic Concern Questionnaire (DCQ, [50]) die derzeit häufigsten verwendeten zu sein, und zwar sowohl zum Screening von Patienten, die für ästhetische Interventionen vorstellig werden, wie auch als Grundlageninstrument groß angelegter Studien. Beide Fragebogen weisen gute bis sehr gute psychometrische Güteeigenschaften, einschließlich differenzieller Validität und Veränderungssensitivität, auf. Durch den Einsatz der Skalen kann eine körperdysmorphe Symptomatik im präoperativen Setting bei Patienten mit kosmetischem Operationswunsch gescreent werden. Erreichen Patienten ohne oder mit nur minimaler Abweichung ihres Körpermerkmals von der Norm die Cut-Off-Werte, sollte zunächst von einer Intervention abgesehen werden; ferner sollte der Patient nach Möglichkeit einer fachärztlich psychiatrischen/psychologischen Beurteilung zugeführt werden.
Fazit für die Praxis
Warnhinweise für eine KDS sind: ungewöhnliches, forderndes Benehmen, starker Wunsch nach ästhetischen Eingriffen, Unzufriedenheit mit vorausgegangenen Eingriffen und Chirurgen, Erwartung, dass ein ästhetischer Eingriff alle Probleme lösen kann, übermäßige Beschäftigung mit eingebildeten Makeln, beeinträchtigtes Sozialleben aufgrund des Makels, Glaube, dass alle Umstehenden den Makel sehen, Suche nach Bestätigung des Makels, ausgefeilte Techniken zum Verstecken des Makels, fehlende oder ungenügende Einsicht.
Oberstes Ziel in der qualitativen Verbesserung der medizinischen Versorgung ist die frühzeitige Diagnosestellung. Dies betrifft besonders Dermatologen, Kollegen der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Heilkunde und plastische Chirurgen, an die sich die meisten KDS-Patienten primär wenden.
Darüber hinaus ist die enge Zusammenarbeit mit Psychiatern, Psychotherapeuten und Psychologen auf ambulanter und stationärer Ebene wichtig.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
T. Lahousen, D. Linder, T. Gieler und U. Gieler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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