Drastischer Anstieg von Alkoholproblemen

In den USA trinken immer mehr Menschen zu viel Alkohol: Innerhalb einer Dekade hat der Anteil der Hochrisikotrinker um 30% und der Alkoholabhängigen um 50% zugenommen. Vor allem Frauen, Ältere und sozial Benachteiligte haben beim kritischen Alkoholkonsum zugelegt. Offenbar ist in den USA bei der Suchtprävention in den vergangenen Jahren einiges schief gelaufen. So werde zwar viel über einen Missbrauch von Cannabis und Opiaten diskutiert, nicht aber über zunehmende Alkoholprobleme in der Bevölkerung. Hier manifestierten sich jedoch weitaus größere Risiken für die öffentliche Gesundheit als durch den immer noch recht seltenen Gebrauch andere Suchtmittel, geben Forscher um Dr. Bridget Grant aus Rockville zu bedenken. Ein aktueller Survey der Experten vom „National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA)” lässt darauf schließen, dass der Alkoholkonsum im Allgemeinen und der kritische Konsum im Besonderen innerhalb einer Dekade deutlich zugenommen hat, und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten. Durch den vermehrten Alkoholkonsum sei der Gesellschaft ein weit größerer Schaden entstanden als durch veränderte Konsumgewohnheiten bei anderen Drogen. Die Suchtexperten gehen davon aus, dass der Alkoholmissbrauch in den USA mit all seinen Konsequenzen die Gesellschaft jährlich rund 250 Milliarden Dollar kostet. Rund 200 Fragen zum Thema Alkohol Den Alkoholkonsum zu ermitteln, ist jedoch nicht gerade einfach: Viele Menschen unterschätzen ihren Konsum bewusst oder unbewusst. So kam der 2014 veröffentlichte „Epidemiologische Suchtsurvey (ESA)“ zu dem Schluss, dass in Deutschland nur 12 g Alkohol pro Tag und Person konsumiert werden. Die in Deutschland verkauft Alkoholmenge liegt jedoch bei mehr als dem Doppelten. Für den Survey wurden repräsentativ ausgewählte Personen schriftlich, telefonisch oder über das Internet befragt. Nur rund die Hälfte antwortete überhaupt. Dies, sowie die unpersönliche Weise der Befragung, dürfte die ESA-Resultate weitgehend unbrauchbar gemacht haben. Das Team um Grant ist bei der Datenerhebung einen anderen Weg gegangen: Für den „National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions (NESARC)“ wurden in den Jahren 2001 und 2002 insgesamt 43.000 US-Bürger persönlich befragt, in den Jahren 2012 und 2013 waren es über 36.000. Die Teilnehmer beantworteten dabei rund 200 Fragen zum Alkoholkonsum. Eine Befragung war in 89% während der ersten und in 72% während der zweiten Befragung in den repräsentativ ausgewählten Haushalten und Unterkünften möglich. Jeweils 93 und 84% der angefragten Personen willigten in die Teilnahme ein, was auch dem Honorar von 90 Dollar zuzuschreiben war. Wie sich zeigte, ist der Anteil der Alkoholabstinenzler zwischen den beiden Befragungen deutlich zurückgegangen. Bei der ersten NESARC-Welle zu Beginn des Jahrhunderts hatten noch 35% angegeben, in den vergangenen zwölf Monaten keinen Tropfen angerührt zu haben, elf Jahre später waren es nur noch 27%. Besonders deutlich war der Anstieg der Alkoholkonsumenten bei den Frauen und ethnischen Minderheiten, am höchsten ist der Anteil der Alkoholfreunde jedoch noch immer bei weißen Männern. Eine deutliche Zunahme der Konsumentenzahlen fanden die Experten auch bei Personen mit geringer Bildung und geringem Einkommen. Allerdings trinken in den unteren Schichten nach wie vor nur rund 60% überhaupt Alkohol, in den oberen sind es rund 80%. Frauen legen beim kritischen Alkoholkonsum deutlich zu Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wird nach riskantem Alkoholgenuss oder einer Alkoholkrankheit geschaut. Als riskant gilt nach US-Ernährungsrichtlinien ein Konsum von täglich mehr als 56 Gramm reinem Alkohol bei Frauen und über 70 Gramm bei Männern. Das entspricht knapp drei bzw. dreieinhalb Flaschen Bier (je 0,5l/5% Alkohol). Für den Survey galt ein Konsum als kritisch, wenn diese Dosis mindestens an einem Tag pro Woche über das gesamte vergangene Jahr hinweg überschritten wurde. Nach dieser Definition haben in der ersten Befragung 9,7% einen kritischen Konsum angegeben, elf Jahre später schon 12,6% – eine relative Steigerung um 30%. Bei Männern liegt der Anteil mit 16,4% immer noch wesentlich höher als bei Frauen (9,0%), allerdings holen diese kräftig auf: Bei ihnen betrug der Anteil in der ersten Befragung noch 5,7% – eine Steigerung um 58%. Dagegen ist der Anteil der Männer mit kritischem Konsum nur moderat um 16% gestiegen – ausgehend von absolut 14,2% in den Jahren 2001/2002. Den höchsten Anteil mit kritischem Konsum weisen die Nachfahren der Ureinwohner (17,4%) sowie Afroafrikaner (15,1%) auf, gefolgt von Latinos (13,5%), Weißen (12,3%) und Asiaten (7,2%). Die höchsten Zuwachsraten beim kritischen Konsum von teilweise über 60% sind ebenfalls bei ethnischen Minderheiten zu beobachten, doch auch unter weißen US-Amerikanern hat der Anteil um 23% zugenommen. Die Wohlhabenden und Gebildeten trinken zwar am häufigsten Alkohol, aber am seltensten über die Maßen. Bei einem Familieneinkommen über 70.000 Dollar im Jahr beträgt die Prävalenz für einen kritischen Konsum aktuell 10,5%, in der untersten Einkommensschicht (unter 20.000 Dollar) hingegen 15,0%. Zwar hat der kritische Konsum zwischen den beiden Befragungen in allen Einkommensschichten zugenommen, der Zuwachs war mit relativen 35% in der untersten Schicht aber deutlich höher als mit 25% in der obersten Schicht. Eine andere Gruppe sticht ebenfalls hervor: Die der über 65-Jährigen. Bei ihnen hat der Anteil mit ungesundem Alkoholkonsum um 65% zugenommen, absolut ist er mit knapp 4% aber noch immer relativ gering. Schauten sich die Forscher um Grant die Zahlen für eine manifeste Alkoholerkrankung an, so waren sie fast deckungsgleich – die meisten Personen mit kritischem Alkoholkonsum erfüllten auch die Kriterien für eine Alkoholstörung nach DSM-IV. Relativ betrachtet zeigten sich jedoch einige Unterschiede: So war 2001/2002 immerhin noch ein gewisse Teil der Personen mit kritischem Konsum nicht abhängig, eine Dekade später gab es hingegen kaum noch Unterschiede zwischen dem Anteil mit kritischem Konsum und dem der Alkoholabhängigen. In absoluten Zahlen stieg der Anteil der Abhängigen von 8,5 auf 12,7%, relativ entspricht dies einem Anstieg von fast 50%. Auch hier zeigten sich die größten relativen Zuwächse bei ethnischen Minderheiten – vor allem Afroamerikanern, sowie bei Frauen, Senioren und sozial Schwachen. Liegt’s an der Finanzkrise? Auch schon zwischen 1990 und 2001 wurde aufgrund ähnlicher Befragungen eine Zunahme der Alkoholstörungen beobachtet: Der Anteil der Alkoholabhängigen nahm in diesem Zeitraum von 7,4% auf 8,5% zu, was einem moderaten relativen Anstieg von knapp 15% entspricht. Der nun erfolgte drastische Schub bei den Alkoholerkrankungen hinterlässt nach Auffassung von Grant und Mitarbeitern bereits seine Spuren im Gesundheitssystem: Zum ersten Mal seit den 1970er-Jahren ist die Zahl der alkoholbedingten Leberzirrhosen nach 2009 wieder deutlich gestiegen, auch bei den kardiovaskulären Erkrankungen kam es zu einer Trendwende, die möglicherweise durch den steigenden Alkoholkonsum mitbefeuert wurde. Die entscheidende Frage lautet natürlich: Was ist der Grund für diese Entwicklung? Einerseits dürften Frauen beim Alkoholkonsum aufholen, da sie inzwischen ähnlich wie Männer beruflichem Stress ausgesetzt sind, andererseits könnten die Folgen der Finanzkrise von 2008 noch immer nicht überwunden sein, spekulieren Grant und Mitarbeiter. Zwar brumme die US-Wirtschaft wieder, der Wohlstand komme aber nicht überall in der Gesellschaft an. „Die Ungleichheiten haben sich in den vergangenen Jahren wohl verschärft.“ Vor allem Personen mit niedrigen Einkommen und schlechtem sozialen Status würden weiter unter den Folgen der Krise leiden – und diese nicht selten mit Alkohol bekämpfen. Deutschland hat die Krise relativ gut überstanden, Verkaufszahlen deuten seit Jahren auf einen eher rückläufigen Alkoholkonsum. Ob jedoch auch der kritische Konsum zurückgeht, lässt sich kaum sagen – hier fehlen schlicht brauchbare Surveys.

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