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Erschienen in: Die Onkologie 5/2020

22.03.2020 | Suizid | Leitthema

Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit – ethische Herausforderung aus Sicht der professionellen Pflege

verfasst von: K. Selge, M.A.S. (Pall. Care), PM.ME. (Medical-Ethic), M. Haas

Erschienen in: Die Onkologie | Ausgabe 5/2020

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Zusammenfassung

Hintergrund

Die Entscheidung eines irreversibel erkrankten Menschen, freiwillig auf Nahrung und Flüssigkeit zu verzichten (FVNF), um das eigene Sterben zu beschleunigen, kann zu einer ethischen Herausforderung für professionell Pflegende werden. Oft werden Befürchtungen geäußert, die Begleitung eines FVNF sei unvereinbar mit einem Pflegeverständnis, nach dem das Leben eines Pflegebedürftigen – auch unter den christlichen Werten von Dienen und Nächstenliebe – ungeachtet der Umstände mit allen gebotenen Pflegemaßnahmen zu erhalten sei.

Pflegeethische Analyse

Pflegeethik, wie Ethik als „praktischer“ Teil der Philosophie insgesamt, bleibt nicht unbeeinflusst vom gesellschaftlichen Wandel. Es kann aber aus der Literatur zur Ethik und zum Pflegeverständnis dargelegt werden, dass FVNF nicht im Widerspruch zur Tradition der Pflegeethik steht, die mit den Veränderungen einer demokratischen und säkularen Gesellschaft korreliert und damit Patientenautonomie befürwortet und sich mit der Care-Ethik verbindet. Dabei ist in diesem Kontext die Frage zu beantworten, ob FVNF bei fortgeschrittener nicht heilbarer Erkrankung als Variante eines Suizids zu verstehen ist. Mit Recht wird dies verneint.

Schlussfolgerung

Pflegeethik folgt der Einschätzung der palliativen Medizin, dass FVNF – zumindest im Fall fortgeschrittener Erkrankung – ein Handlungsmodus eigener Art ist und nicht gleichzusetzen mit einem Suizid. Die sorgende und professionelle Begleitung eines FVNF kann so zu den ethisch vertretbaren Formen der Sterbebegleitung gerechnet werden.
Literatur
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Zurück zum Zitat Riedel A (2019) Ernährung am Lebensende – Situationen moralischer Ungewissheit fordern ethisch reflektierte Entscheidungen. In: Coors M, Simon A, Alt-Epping B (Hrsg) Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, Bd. 75–93. Kohlhammer, Stuttgart, S 82–86 u. 76 Riedel A (2019) Ernährung am Lebensende – Situationen moralischer Ungewissheit fordern ethisch reflektierte Entscheidungen. In: Coors M, Simon A, Alt-Epping B (Hrsg) Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, Bd. 75–93. Kohlhammer, Stuttgart, S 82–86 u. 76
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Zurück zum Zitat Sahm S (2019) Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit und Medizin am Lebensende. ZfmE 65(215):218 Sahm S (2019) Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit und Medizin am Lebensende. ZfmE 65(215):218
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Zurück zum Zitat Scherer G (1979) Das Problem des Todes in der Philosophie Bd. 19. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Scherer G (1979) Das Problem des Todes in der Philosophie Bd. 19. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
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Zurück zum Zitat Woellert K, Schmiedebach H‑P (2008) Sterbehilfe Bd. 46. Reinhardt, München/Basel Woellert K, Schmiedebach H‑P (2008) Sterbehilfe Bd. 46. Reinhardt, München/Basel
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Zurück zum Zitat Wöhlke S, Wiesemann C (2016) Moral distress im Pflegealltag und seine Bedeutung für die Implementierung von Advance Care Planning. In: Pflegewissenschaft 5/6–2016, 18. Aufl. Upsmedia, Nidda, S 280–287: 284 u. 282 Wöhlke S, Wiesemann C (2016) Moral distress im Pflegealltag und seine Bedeutung für die Implementierung von Advance Care Planning. In: Pflegewissenschaft 5/6–2016, 18. Aufl. Upsmedia, Nidda, S 280–287: 284 u. 282
Metadaten
Titel
Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit – ethische Herausforderung aus Sicht der professionellen Pflege
verfasst von
K. Selge, M.A.S. (Pall. Care), PM.ME. (Medical-Ethic)
M. Haas
Publikationsdatum
22.03.2020
Verlag
Springer Medizin
Schlagwörter
Suizid
Pflege
Suizid
Erschienen in
Die Onkologie / Ausgabe 5/2020
Print ISSN: 2731-7226
Elektronische ISSN: 2731-7234
DOI
https://doi.org/10.1007/s00761-020-00746-1

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