Erschienen in:
01.10.2022 | Originalien
„Weder menschlich noch beruflich, noch wissenschaftlich würdige Lebensmöglichkeiten“: vertriebene Neurologen außerhalb der Zentren der deutschsprachigen Neurowissenschaft
verfasst von:
Michael Martin, Axel Karenberg, Prof. Dr. med. Heiner Fangerau
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Sonderheft 1/2022
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Zusammenfassung
Verfolgung und Vertreibung deutschsprachiger Neurologinnen und Neurologen waren nicht auf Forschungszentren wie Berlin, Wien, Frankfurt am Main und Hamburg beschränkt. Der Ausschluss von Wissenschaft, Lehre und klinischer Versorgung erfolgte auch an anderen (Hochschul‑)Orten. Am Beispiel von zehn neurowissenschaftlich tätigen Ärzten sollen hier unterschiedliche Aspekte und Ausformungen der Ausgrenzung dargestellt werden. Diese reichten vom Erzwingen einer inneren Emigration (Georg Stertz/Kiel) über rassistisch motivierte Amtsenthebungen (Max Isserlin und Karl Neubürger/beide München, Ernst Grünthal/Würzburg, Gabriel Steiner/Heidelberg, Rudolf Altschul und Francis Schiller/beide Prag) bis hin zu öffentlich inszenierten Denunziationen und Demütigungen (Otto Löwenstein/Bonn). Ferner reagierten einzelne Ärzte – ohne selbst direkt verfolgt zu sein – auf das vergiftete politische und akademische Klima, indem sie früher oder später ihr Heimatland verließen (Eduard Heinrich Krapf/Köln, Hartwig Kuhlenbeck/Jena). Die hier für Universitätskliniken und -institute zusammengestellten Ergebnisse und Schlussfolgerungen betreffen nur einen schmalen Ausschnitt der neurologischen Szene in den Jahren 1933 bis 1939. Sie verdeutlichen allerdings, wie dringlich eine Erweiterung der historischen Forschungsperspektive auf das Schicksal von Nervenärztinnen und -ärzten an kommunalen Krankenhäusern, in Praxen und anderen Berufsfeldern ist.