Erschienen in:
01.03.2013 | Vortragsforum
Zwischen Tod und Urszene
verfasst von:
Dr. Michael Parsons
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
|
Ausgabe 1/2013
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Zusammenfassung
Gibt es psychoanalytische Ideen dazu, was erfüllte und kreative Lebendigkeit bedeutet? Das Nachdenken darüber ist von Winnicotts Darlegungen zum Leben in Anpassungsbereitschaft oder in kreativem Erfassen inspiriert. Dabei bildet die Fähigkeit zum Interesse an dem, was unsere üblichen Gedankengänge stört, einen notwendigen Aspekt unabhängiger, kreativer Lebendigkeit. Klinische Beispiele zeigen, wie sehr dies für Therapeuten in der klinischen Situation zutrifft, und es gilt auch für das Leben allgemein. Im vollen Sinn lebendig zu sein, beinhaltet eine besondere Weise des Gebrauchs unseres Gedächtnisses: sich aktiv zwischen vergangenen und gegenwärtigen Lebenserfahrungen hin- und herzubewegen und auch fähig zu sein, dies imaginativ in die Zukunft auszudehnen, unter Einbeziehung insbesondere der Erfahrung des eigenen Todes, des letztendlich und unausweichlich „Unheimlichen“. Solche Freiheit der inneren Bewegung ermöglicht, die Gegenwart als Begegnungsstätte von Vergangenheit und Zukunft anzusehen. Die Vergangenheit wird durch die Urszene, die Zukunft durch den Tod begrenzt; sie stellen Anfang und Ende von Zeit dar. Dadurch wird die Gegenwart auch zur Begegnungsstätte von Zeit und Zeitlosigkeit. Einen Traum in einer analytischen Sitzung zu erzählen, heißt, die Zeitlosigkeit des Unbewussten in einen zeitlich begrenzten Rahmen einzubringen. Ein klinisches Beispiel zeigt, wie der Sinn für diese Verschränkung von Zeit und Zeitlosigkeit einem Patienten half, sein Erleben im Traum zur Entwicklung eines Gefühls von größerer Lebendigkeit zu verwenden. Vermeers Bild „Die Küchenmagd“ wird im Hinblick auf die visuelle Repräsentation der Überschneidung von Zeit und Zeitlosigkeit analysiert.
Beschrieben wird auch eine Fallvorstellung in einem klinischen Seminar, die in der Gruppe der Teilnehmer ein verstörendes Gefühl von Zeitlosigkeit hervorrief. Der Seminarleiter musste dann die Diskussion unterstützen, damit die Balance am Schnittpunkt von Zeit und Zeitlosigkeit gehalten werden konnte.
In der Betrachtung des Orpheus-Mythos wird Orpheus’ Zwang, sich nach Eurydike umzusehen, als Scheitern von Lebendigkeit gesehen, weil er unfähig war, Eurydike am Schnittpunkt zwischen der Zeitlosigkeit der Unterwelt und der linearen Zeitlichkeit des täglichen Lebens zu träumen.