Menschen, die aufgrund einer Geschlechtsinkongruenz geschlechtsangleichende Hormone einnehmen, scheinen einem erhöhten kardiovaskulären Risiko ausgesetzt, legen neue Daten nahe. Experten fordern deshalb mehr Aufklärung.
Eine geschlechtsangleichende Hormontherapie bei transsexuellen Menschen könnte aus kardiovaskulärer Sicht gewisse Risiken bergen. Darauf deutet jedenfalls eine retrospektive Kohortenstudie mit über 20.000 Teilnehmenden den USA hin. Die Daten werden beim diesjährigen ACC-Kongress in New Orleans vorgestellt. Vorab sind sie schon in einer Pressemitteilung und in Form eines Abstracts verkündet worden.
Sechsfach erhöhtes Infarktrisiko unter Hormontherapie
In dieser Untersuchung hatten Menschen mit Geschlechtsinkongruenz, die eine Hormonersatztherapie einnahmen, ein mehr als siebenfach erhöhtes Risiko für ischämische Schlaganfälle (Odds Ratio, OR: 7,15; p ˂ 0,001), ein fast sechsfach erhöhtes Risiko für STEMI-Infarkte (OR: 5,90; p ˂ 0,05) und ein etwa fünffach erhöhtes Lungenembolie-Risiko (OR: 4,92; p ˂ 0,001) im Vergleich zu Personen mit Geschlechtsinkongruenz, die in ihrem Leben bisher keine solche Behandlung erhalten haben. Keine entsprechende Assoziation zeigte sich für das Auftreten von Diabetes, Vorhofflimmern, Bluthochdruck, hämorrhagischen Schlaganfällen und Herzinsuffizienz. Auch die Sterblichkeit war unter Transgendern mit begonnener Hormontherapie nicht erhöht (0,60% vs. 0,48%; p=0,246).
Vor Therapiebeginn die Risiken im Blick haben
„Der Blick auf die medizinische und familiäre Vorgeschichte einer Person sollte definitiv Teil des Screeningprotokolls sein, ehe eine Hormonersatztherapie jemals begonnen wird“, rät Studienautor Dr. Ibrahim Ahmed, Mercy Catholic Medical Center in Darby, angesichts dieser Ergebnisse. „Es ist ebenso wichtig, dass Menschen, die über eine solche Therapie nachdenken, sich all der Risiken bewusst machen“, wird er in der Pressemitteilung weiter zitiert. Ahmed spricht sich deshalb keinesfalls gegen eine solche Behandlung aus: Es sei alles eine Risiko-Nutzen-Abwägung, betont er, eine Transition zu beginnen sei ein großer Schritt für das Leben der Menschen, und es helfe ihnen, mehr sich selbst zu sein. „Eine Hormonersatztherapie hat aber auch viele Nebenwirkungen – es ist kein risikofreies Unterfangen“, machte er nochmals deutlich.
Retrospektive Studie mit über 21.000 Teilnehmenden
Für die Studie haben Ahmed und sein Team aus einer nationalen Datenbank mit Krankenhausakten die Befunde von 21.335 Menschen mit Geschlechtsinkongruenz ausgewertet. 1.675 von ihnen hatten eine geschlechtsangleichende Hormontherapie eingenommen; typischerweise nahmen biologisch weibliche Personen, die eine Geschlechtsumwandlung zum Mann anstrebten, Testosteron ein und biologische Männer wurden in der Regel mit Östrogen behandelt, wenn sie eine Transition zur Frau begannen.
Obwohl in der Analyse auf demografische Variablen adjustiert wurden, bringt das retrospektive Design die bekannten Limitationen mit sich (auf eine Kausalität kann nicht geschlossen werden). Interessant wäre zudem zu wissen, ob der Zeitpunkt des Hormontherapie-Beginns – also in welchem Alter – sowie die Dauer und die Art der Behandlung das kardiovaskuläre Risiko beeinflussen. Diese Faktoren sind in der aktuellen Studie nicht berücksichtigt worden.