Erschienen in:
01.03.2008 | Übersichten
ADHS-Diagnose bei Erwachsenen
Nach DSM-IV, ICD-10 und den UTAH-Kriterien
verfasst von:
Prof. Dr. M. Rösler, W. Retz, P. Retz-Junginger, R.D. Stieglitz, H. Kessler, F. Reimherr, P.H. Wender
Erschienen in:
Der Nervenarzt
|
Ausgabe 3/2008
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Es wird über eine vergleichende Untersuchung zur Diagnose der adulten ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) bei Erwachsenen berichtet, die zur Diagnostik in einer Spezialsprechstunde vorgestellt wurden. Die ADHS-Diagnose wurde nach DSM-IV, ICD-10 und nach den Utah-Kriterien gestellt. Dabei wurden die Wender Utah Rating Scale (WURS-k), die ADHS-Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB) und das Wender-Reimherr-Interview (WRI) verwendet. Die psychometrischen Eigenschaften der WURS-k und der ADHS-SB sind für deutsche Untersuchungspopulationen bekannt. Die Interraterreliabilität des WRI war gut. Auf der Diagnosenebene ergab sich ein Kappa von 1,0, bezüglich der WRI-Summenwerte wurde ein ICC von 0,98 festgestellt. Die Skalenhomogenität lag hoch (Cronbachs α 0,82). Die konvergente Validität mit der ADHS-SB betrug 0,65 (Spearman-Koeffizient). Das WRI erwies sich insgesamt als ein psychometrisch gut evaluiertes Interview.
Beim Vergleich der 3 diagnostischen Systeme ergab DSM-IV die meisten Diagnosen. 119 von 169 der zur Sicherung der Diagnose an unsere ADHS-Ambulanz überwiesenen Fälle wurden nach DSM-IV als ADHS bestimmt. Die Zahl der ADHS-Diagnosen nach ICD-10 lag um 32 Fälle niedriger. Alle Fälle nach ICD-10 wurden auch nach DSM-IV diagnostiziert. Insofern bot die ICD-10 gegenüber DSM-IV keine neuen Gesichtspunkte. Die Utah-Kriterien nach Wender [
31] sind nicht auf den Merkmalsbestand von DSM-IV bezogen und verfolgen eigene Perspektiven, was in der Berücksichtigung der Merkmalsbereiche Desorganisation, affektive Labilität, Stressüberempfindlichkeit und überschießendes Temperament ihren Ausdruck findet. Die diagnostische Schwelle nach den Utah-Kriterien liegt hoch. Im Vergleich zu DSM-IV erzeugten die Utah-Kriterien in unserer Inanspruchnahmepopulation ca. 20% weniger ADHS-Diagnosen. Aufgrund der eigenständigen psychopathologischen Definitionen wurden 7 von 126 Patienten nur nach den Utah-Kriterien diagnostisch erfasst. Insofern gehen die Utah-Kriterien in speziellen Aspekten über DSM-IV hinaus. 56% der Patienten wurden nach allen 3 Verfahren der Diagnose ADHS zugeordnet. Eine faktorenanalytische Untersuchung der ADHS-Psychopathologie mit den 10 Subskalen des WRI und der ADHS-SB führte zu 2 psychopathologischen Dimensionen, die 63% der Varianz aufklärten. Der Faktor 1 umfasste Hyperaktivität, überschießendes Temperament, affektive Labilität und Impulsivität, der Faktor 2 beinhaltete kognitive Störungen mit Unaufmerksamkeit, Desorganisation und Stressintoleranz.