In Deutschland hat rund jeder dritte Operierte vor dem Eingriff eine Anämie. Dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Mehr als halbiert hat sich hingegen die Häufigkeit von Bluttransfusionen bei Operationen.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Eine Anämie vor einer Operation ist prognostisch recht ungünstig: Die 30-Tage-Mortalität ist Studien zufolge bereits bei einer leichten Anämie in etwa vervierfacht, bei einer ausgeprägten mehr als verzehnfacht. Eine Anämie erhöht zudem das Risiko beträchtlich, dass perioperativ Bluttransfusionen nötig werden, die ebenfalls nicht ohne Risiken sind.
Transfusionen wurden bislang in Deutschland besonders häufig bei chirurgischen Eingriffen verabreicht, was die Frage aufwirft, ob die präoperative Anämierate in Deutschland auch besonders hoch ist. Dies ist offensichtlich nicht der Fall: Hierzulande ist nach einer Analyse von Forschenden der Universität Frankfurt rund ein Drittel der Erwachsenen vor einer Op. anämisch, international liegt der Wert bei 35% und ist damit ähnlich hoch. Immerhin ist die Häufigkeit von Bluttransfusionen in Deutschland seit 2007 erheblich gesunken.
Zu diesem Schluss kommt ein Team um Leonie Judd von der Klinik für Anästhesiologie in Frankfurt nach der Auswertung von Angaben zu knapp 24.000 Operierten aus acht deutschen Zentren.
Für die retrospektive Analyse konzentrierten sich die Forschenden auf sämtliche Operierte im Monat März in den Jahren 2007, 2012, 2015, 2017 und 2019. Die Betroffenen waren im Schnitt rund 55 Jahre alt, am häufigsten waren orthopädische (19%), viszerale (18%) und kardiale Operationen (15%). Rund 5% aller Eingriffe erfolgten bei Minderjährigen.
Nach den gängigen WHO-Kriterien (Hb-Werte unter 12 g/dl für Frauen und unter 13 g/dl für Männer) hatten im März 2007 insgesamt 37% der erwachsenen Operierten eine Anämie. Der Anteil ist bis 2015 auf rund 30% gesunken und lag 2019 bei knapp 33%. Die Reduktion war zwar statistisch signifikant, das Team um Judd hält sie jedoch nicht für klinisch relevant.
Unter den Minderjährigen stieg der Anteil jedoch von knapp 19% im Jahr 2007 auf über 26% im Jahr 2019. Diese Zunahme betraf vor allem Kinder im Alter von weniger als fünf Jahren – hier stieg der Anteil über die Jahre von 9% auf 33%.
Immerhin sank insgesamt der Transfusionsbedarf. Wurden 2007 noch 671 Transfusionen mit roten Blutkörperchen pro 1000 Operierte benötigt, waren es 2019 noch 289, der Anteil der Transfusionspatienten reduzierte sich in diesem Zeitraum von 17% auf 8%. Auch unter den präoperativ Anämischen sank der Anteil mit Transfusionen, und zwar von 34% auf 19%, bei nicht Anämischen von etwa 8% auf 3%.
Verdoppelte Klinikmortalität bei Anämie
Die Klinikmortalität blieb über die Jahre hinweg weitgehend konstant. 2007 starben 2,9% der Operierten noch im Krankenhaus, 2019 waren es 2,5%. Die Schere zwischen präopertiv anämischen und nicht anämischen Operierten schloss sich jedoch etwas: 2007 starben 0,8% der Betroffenen ohne Anämie, 2019 waren es 1,1%. Von denen mit Anämie starben 2007 insgesamt 6,6%, 2019 waren es noch 5,3%. Im Mittel war die Kliniksterberate bei einer präoperativen Anämie 5,3-fach erhöht, unter Operierten mit Bluttransfusion lag sie rund 15-fach höher als bei solchen ohne. Berücksichtigte das Team um Judd sämtliche bekannten Begleitfaktoren, war die Kliniksterberate bei einer präoperativen Anämie verdoppelt, bei Transfusionsbedarf noch vervierfacht.
Aus der Analyse lässt sich vor allem ableiten, dass Ärzte bei einer Anämie heute seltener und weniger Blut transfundieren als noch vor einigen Jahren. Diese Entwicklung, so Judd und Mitarbeiter, werde nach dem Motto der kanadischen Transfusionsgesellschaft „Why give two when one will do“ bezogen auf Tranfusionseinheiten mittlerweile in vielen Leitlinien berücksichtigt und komme langsam auch in der Praxis an. Besser sei zudem, die Anämie möglichst vor dem Eingriff anzugehen, etwa über eine Eisentherapie bei Eisenmangel, dem noch immer häufigsten Grund für eine Anämie.
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Wie häufig ist eine Anämie vor einer Operation in Deutschland? Wie oft werden perioperativ Transfusionen benötigt? Antwort: Nach einer retrospektiven Analyse unter Beteiligung von acht Kliniken in Deutschland hat etwa ein Drittel der Operierten vor dem Eingriff eine Anämie. Dieser Anteil ist seit 2007 leicht gesunken, zugleich ist der Anteil von Operierten mit Bluttransfusionen von 17% auf 8% zurückgegangen. Bedeutung: In Deutschland wird bei einer Anämie mittlerweile seltener und weniger Blut übertragen. Einschränkung: Am Anfang des Untersuchungszeitraums waren nur wenige Kliniken beteiligt, dies könnte die Resultate verzerrt haben. |