Erschienen in:
11.11.2021 | Antidepressiva | Leitthema
Schnell wirksame Antidepressiva – neurobiologische Wirkprinzipien
verfasst von:
Peter Gass, Andrei N. Vasilescu, Dragos Inta
Erschienen in:
Der Nervenarzt
|
Ausgabe 3/2022
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Zusammenfassung
Schnell wirksame Antidepressiva widerlegen das Dogma, dass es mehrere Wochen dauert, bis Antidepressiva klinisch wirken. Ketamin, der Prototyp eines schnell wirksamen Antidepressivums, blockiert N‑Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptoren und führt bereits nach einer einmaligen i.v. Gabe zu raschen Veränderungen des glutamatergen Neurotransmittersystems. Dadurch kommt es zu einer bevorzugten Aktivierung von Glutamatrezeptoren vom AMPA(„α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid“)-Typ. Dies bedingt die Aktivierung des Neurotrophins BDNF („brain-derived neurotrophic factor“) und verursacht innerhalb von 24 h plastische Veränderungen. Im präfrontalen Kortex führt Ketamin zur Regeneration synaptischer Verbindungen, die zuvor durch chronischen Stress geschädigt wurden. Im Tiermodell korreliert dies mit der Verbesserung depressionsartiger Verhaltensweisen. Möglicherweise bewirken auch klassische, monoaminerge Antidepressiva solche Veränderungen, allerdings mit einer sehr viel größeren Latenz. Für den klinischen Einsatz wurde eine als Nasenspray applizierbare Form des Ketaminenantiomers Esketamin entwickelt, weil selbiges die höchste Affinität zu NMDA-Rezeptoren aufweist. Aber auch R‑Ketamin und bestimmte Ketaminmetabolite sind zumindest präklinisch antidepressiv wirksam und derzeit in der klinischen Erprobung. Außerdem sucht man nach spezifischen Substanzen, mit denen man das glutamaterge System entsprechend verändern kann, ohne die ketamintypischen Nebenwirkungen zu erzielen. Es gibt aber auch vielversprechende, potenziell schnell wirksame Antidepressiva, die nicht direkt über das Glutamatsystem wirken, beispielsweise den GABA(γ-Amino-Buttersäure)-Rezeptor-Modulator Brexanolon oder den Serotoninrezeptor-Agonisten Psilocybin.