Am 01.01.2022 trat das neue Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) in Österreich in Kraft. Nach einem Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs wird aus dem Recht auf freie Selbstbestimmung auch das „Recht auf ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Sterben“ abgeleitet. Entscheidungsfähige, volljährige Personen (18 Jahre), die österreichische Staatsangehörige sind oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und sich zu einem assistierten Suizid (AS) entschließen, können auf die straffreie Unterstützung (Beihilfe) Dritter zählen.
Der Gesetzgeber hat sich bemüht, Missbrauch vorzubeugen, und stellt auch die Ärzteschaft für die Beihilfe zum AS straffrei. Weiterhin strafbar bleiben die Verleitung zum Suizid und die Tötung auf Verlangen. Im Unterschied zum AS wird bei der Tötung auf Verlangen die letzte zum Tode führende Maßnahme/Handlung nicht durch die sterbewillige Person (SwP) selbst, sondern durch eine andere (= dritte) Person durchgeführt. Grundsätzlich ist jegliche Beihilfe zum AS, egal durch wen und in welcher Form, freiwillig. Es darf weder der helfenden Person noch einer Person, die die Beihilfe verweigert, ein Nachteil entstehen. Die aufklärenden und dokumentierenden Ärzt:innen dürfen nicht ident mit den hilfeleistenden Personen sein. Voraussetzung für die gesetzeskonforme Durchführung eines AS sind zwei ärztliche Aufklärungen im Sinne des StVfG sowie die Errichtung einer Sterbeverfügung (SV), um das Präparat beziehen zu können.
Für die Errichtung einer SV muss die SwP an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden. Der Leidenszustand darf nicht anders abwendbar sein und muss von einer:m der beiden aufklärenden Ärzt:innen bestätigt werden. Die SV ist höchstpersönlich und wird nach rechtlicher Aufklärung vor einer:m Notar:in oder Patientenanwält:in errichtet. Der entsprechende Gesetzestext ist im StVfG [
1,
2] und in der Präparateverordnung [
3] nachzulesen. Zitiert werden auch Inhalte aus dem Leitfaden für die Praxis des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz [
4]. In einem Kommentar von Halmich sind die wesentlichen Punkte rund um die neue Gesetzgebung zum AS nachzulesen [
5].
Mitarbeiter:innen von Gesundheitseinrichtungen aller Art sollten sich bestmöglich mit dem Thema des AS auseinandersetzen, um ihre persönliche Einstellung dazu zu finden. Weiters sollen sie die neue Gesetzeslage kennen und respektieren – unabhängig davon, ob sie bereit wären, Beihilfe zum AS zu leisten oder nicht. Sie sollten in ihrem Arbeitsbereich, unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung, mit dem Thema AS neutral umgehen, sich professionell verhalten und adäquat reagieren, wenn sie mit der Situation eines AS konfrontiert sind. Medical Professionals sollten unabhängig von ihrer persönlichen Meinung nicht bewerten, sondern sachlich bleiben und sich verständnisvoll verhalten.
Im Folgenden einige Gedanken, wie Krankenhauseinrichtungen und deren Mitarbeiter:innen mit diesem sensiblen Thema bestmöglich umgehen könnten. Damit sollen das durchaus hohe Konfliktpotenzial und die Scheu, mit diesem Thema konfrontiert zu sein und dann nicht zu wissen, was man tun darf und sollte, reduziert werden.
Die Träger medizinischer Einrichtungen sollten daher ihre Mitarbeiter:innen ausführlich über die Inhalte des neuen Gesetzes und den gewünschten Umgang im Haus aufklären und diese Überlegungen in Form einer schriftlichen Standard Operation Procedure (SOP) festhalten.
Jede Gesundheitseinrichtung sollte sich überlegen, ob Mitarbeiter:innen medizinische Aufklärung im Sinne des StVfG im Haus durchführen dürfen. Dazu gehört auch die Beantwortung der Frage, ob Mitarbeiter:innen über etwaige rechtliche Rahmenbedingungen, Nebenwirkungen oder medizinische Komplikationen im Zusammenhang mit einem AS aufklären oder ob sie Patient:innen, die dieses Thema ansprechen, an entsprechende Fachexpert:innen (Hausärzt:innen, Palliativmediziner:innen, Psychiater:innen usw.) verweisen sollen. Dabei ist zu bedenken, dass eine Institution eigentlich nicht dienstrechtlich untersagen kann, dass Mitarbeiter:innen sachlich über eine legale Maßnahme aufklären, auch wenn die Durchführung der Maßnahme selbst abgelehnt wird – ein Verbot der Aufklärung wäre ein Eingriff in die ärztliche Pflicht, Informationen für legale Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Ärztekammer gibt eine Liste mit Adressen und Telefonnummern von Ärzt:innen, die eine Aufklärung im Sinne des StVfG durchführen, an anfragende, niedergelassene Hausärzt:innen, in Wien auch direkt an Patient:innen weiter. Bei der Ärztekammer Salzburg gibt es eine Liste zum Download.
Mitarbeiter:innen von medizinischen Einrichtungen dürfen einerseits entscheidungsfähige Menschen nicht aktiv vom AS abhalten (Verletzung des Selbstbestimmungsrechts), andererseits dürfen sie aber auch nicht aktiv auf die Möglichkeit des AS hinweisen und dadurch den Suizidwunsch wecken (Straftatbestand der Verleitung zum Selbstmord). Fachliche und emotionale Unterstützung für Mitarbeiter:innen sollte in Form von geschulten Ärzt:innen, Psycholog:innen/Therapeut:innen, Supervisor:innen, Jurist:innen (Patient:innen-, und Pflegeombudsschaft) aktiv angeboten werden. Die private Meinung und Haltung von Mitarbeiter:innen zum Thema AS kann sich von der „Hausmeinung“ unterscheiden, aus der sich aber dienstrechtliche Verpflichtungen ableiten, die von Mitarbeiter:innen einzuhalten sind.
Aktivitäten der Fachgesellschaften
In einem Gemeinschaftsprojekt des Springer Verlags, der ARGE Ethik und der ARGE Palliativ der ÖGARI wurde im Mai 2022 ein Bericht mit dem Titel „Grauzonen machen mir Angst: Stimmen aus der Community“ veröffentlicht. Darin werden Mitarbeiter:innen aus unterschiedlichen Teilbereichen der Anästhesie/Palliativmedizin und aus verschiedenen Häusern in Österreich über ihren Wissensstand und einen evtl. gewünschten Unterstützungsbedarf im Umgang mit dem Thema AS anlässlich der neuen Gesetzgebung befragt – und auch danach, wie sehr das Thema ihre tägliche klinische Arbeit belastet [
6].
Die Arge Ethik der ÖGARI hat außerdem im Frühjahr 2022 eine Umfrage unter Anästhesist:innen, Intensiv- und Palliativmediziner:innen Österreichs zum Wissensstand und Problembewusstsein rund um das Thema AS gemacht und erste Ergebnisse am Jahreskongress der ÖGARI im September 2022 in Bregenz vorgestellt. Eine Publikation ist in Bearbeitung.
Von der österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) wurde die Plattform „ASCIRS“ („assisted suicide critical incident reporting system“;
www.ascirs.at) errichtet, die als Berichts- und Lernsystem dazu beitragen soll, „mehr über die Praxis der Suizidbeihilfe in Österreich zu erfahren und aus den Beobachtungen und Erfahrungen der Beteiligten zu lernen. Die mitgeteilten Erfahrungen können zur Entwicklung unterstützender Leitlinien und damit vielleicht auch zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Darüber hinaus könnten die eingereichten Berichte in Zukunft vielleicht Erkenntnisse und (anonymisierte) Daten für Forschung zum assistierten Suizid bieten“ [
7]. Die aktive Einreichung von Erfahrungsberichten rund um das Thema AS durch Mitarbeiter:innen unseres Gesundheitssystems wäre sehr wichtig, um in Zukunft mehr Sicherheit im Umgang mit dem für uns alle neuen Thema zu bekommen.
Ein Bericht aus Tirol über einen vollzogenen AS im Frühjahr 2022 wurde im ASCIRS gemeldet und auch in den ANÄSTHESIE NACHRICHTEN publiziert [
8].
Mitglieder der OPG befassen sich in einem aktuellen Buch mit Hintergründen, Spannungsfeldern und Entwicklungen rund um den AS im Rahmen der neuen Gesetzgebung in Österreich [
9].
Information, Aufklärung, Feststellung der Entscheidungsfähigkeit stellen aus rechtlicher Sicht keine Beihilfe zum AS dar. Die schriftliche Dokumentation der Aufklärungsgespräche im Rahmen der Errichtung einer SV inklusive Information über Präparat/Dosierung muss der SwP ausgefolgt werden.
Vor der Errichtung einer SV muss sich die SwP im Sinne einer Suizidprävention von zwei Ärzt:innen – eine:r davon mit einer Qualifikation in Palliativmedizin – beraten und aufklären lassen über die Alternativen zum AS wie Angebote der Palliativ‑, Schmerzmedizin und psychotherapeutische Beratung. Eine:r der beiden aufklärenden Ärzt:innen muss den oben definierten gesetzlich notwendigen Erkrankungsstatus bescheinigen. Gleichzeitig müssen beide Ärzt:innen unabhängig voneinander die Entscheidungsfähigkeit der SwP zweifelsfrei feststellen: Der Entschluss muss frei und selbstbestimmt sein, insbesondere muss die Entscheidung der SwP frei sein von Irrtum, List, Täuschung, physischem oder psychischem Zwang und ohne Beeinflussung durch Dritte getroffen werden. Die SwP muss sich über die Folgen und Konsequenzen ihres Entschlusses und Handelns im Klaren sein. Bei einem Hinweis auf eine krankheitswertige psychische Störung müssen die aufklärenden Ärzt:innen eine psychiatrische bzw. klinisch psychologische Abklärung und Beratung durch eine:n Fachärzt:in für Psychiatrie oder eine:n klinisch tätige:n Psycholog:in veranlassen.
Beihilfe zum AS bedeutet jegliche Form der Hilfe in der Vorbereitung auf den AS (z. B. Präparat aus der Apotheke holen, eine Magensonde legen, eine i.v.-Leitung legen und den Perfusor befüllen, den Kopf zum Trinken/Schlucken stützen etc.). Die SwP muss dann selbst die zum Tode führende Handlung ausführen (z. B. selbst das Präparat schlucken, selbst den Perfusor für die gelegte Magensonde/PEG-Sonde/i.v.-Leitung starten etc.). Beihilfe zum AS kann von jeder volljährigen und entscheidungsfähigen Person freiwillig geleistet werden, die einverstanden ist und von der SwP bestimmt wurde. Das kann auch ein:e Ärzt:in sein, allerdings nicht der:die aufklärende Ärzt:in. Die SwP kann eine oder mehrere hilfeleistende Personen in der SV benennen, die dann auch berechtigt sind, die Präparate aus der Apotheke abzuholen.
Präparat und Dosierung
Die Dosierung von 15 g Reinsubstanz Natrium-Pentobarbital ist lt. StVf-Präp‑V für jede Einnahmeform bindend festgelegt. Die Vorschreibung des Präparats im Rahmen der ärztlichen Aufklärung stellt aus rechtlicher Sicht keine Beihilfe dar.
Natrium-Pentobarbital ist das gesetzlich, im „off label use“ für die Durchführung eines AS in der SV vorzuschreibende Präparat und war bis 1994 in Österreich als Schlafmittel zugelassen. Natrium-Pentobarbital ist ein Pulver, das in Wasser aufgelöst werden muss. Es schmeckt sehr bitter und kann Übelkeit und Erbrechen hervorrufen. Zur besseren Verträglichkeit ist eine Begleitmedikation mit Metoclopramid in der SV vorzuschreiben. Laut Präparateverordnung sollten insgesamt 30 mg Metoclopramid i.v. oder p.o. verschrieben werden. Empfehlung für die Einnahme/Verabreichung sind 3 × 10 mg Metoclopramid, am besten beginnend 24 h (alle 8 h) vor der geplanten Einnahme des Natrium-Pentobarbital.
Die Ausstellung eines Rezepts für die Abgabe des Präparats und der Begleitmedikation ist nicht vorgesehen. Mit Verordnung vom 17.01.2022 hat das Bundesministerium 15 g Natrium-Pentobarbital (p.o. oder i.v.) als verlässlich letal angegeben [
3].
Fristen
Ab der ersten ärztlichen Aufklärung beginnt eine Wartefrist von 12 Wochen, um die Nachhaltigkeit des Sterbewunsches festzustellen. Bei einer klinisch „terminalen“ Situation (im StVfG definiert als das Stadium, in dem die Krankheit voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten zum Tod führen wird) kann die Frist auf zwei Wochen verkürzt werden. Mit der ärztlichen Gesprächsdokumentation kann die SwP eine:n Notar:in oder Patientenanwält:in aufsuchen, die:der eine rechtliche Beratung durchführen und die Entscheidungsfähigkeit auch aus rechtlicher Sicht feststellen muss. Die SV muss höchstpersönlich errichtet werden. Die rechtliche Beratung muss inhaltlich die rechtlichen Aspekte (z. B. zusätzlich notwendige Patient:innenverfügung – PV, in der eine Reanimation und andere lebenserhaltende Maßnahmen abgelehnt werden) und die strafrechtlichen Grenzen der Hilfeleistung umfassen. Nach Errichtung geht das Original der SV an die SwP, eine Abschrift der SV muss von ausstellendem:r Notar:in oder Patientenanwält:in an das Sterbeverfügungsregister gemeldet werden. Die SwP selbst oder eine andere in der SV benannte Hilfsperson kann dann innerhalb eines Jahres das Präparat von der Apotheke holen. Die abholende Person ist für die gesicherte Verwahrung des Präparates verantwortlich. Die SV verliert nach einem Jahr ihre Wirksamkeit.
Verortung der Suizidhandlung
Der Gesetzgeber sieht von einer Institutionalisierung der Suizidassistenz in Form von staatlichen Einrichtungen oder „Suizidstationen“ ebenso ab wie von der Schaffung eines neuen Berufsbilds wie des:der professionellen Suizidassistent:in oder einer staatlich geförderten Suizidorganisation. Auch sollte die Betreuung suizidaler Personen nicht explizit der Ärzteschaft übertragen werden. Daher ist der primär vorgesehene Ort für die Durchführung eines AS lt. Gesetzgeber der „private Rahmen“, der im Gesetz nicht näher definiert ist.
Umgang mit AS in Krankenhäusern
Grundsätzlich kann jede Institution – gleich wie jede Einzelperson – egal ob privat oder öffentlich, die geregelte Mitwirkung am AS verweigern. Die meisten öffentlichen Träger, Hospiz-, und Palliativgesellschaften lehnen bisher eine institutionalisierte Durchführung des AS in ihren Räumlichkeiten ab. Dennoch sollten öffentliche/private Krankenhäuser/Altersheime/Hospize/Palliativstationen und Pflegeeinrichtungen darauf vorbereitet sein, dass Menschen mit einer gültigen SV in ihren Bereichen einen selbstorganisierten AS durchführen – unter Umständen ohne jemanden aus dem Betreuer:innen-Team (Ärzt:innen/Pflegepersonen) darüber vorher zu informieren. Jedes Haus sollte daher seine Mitarbeiter:innen über den Umgang mit dem Thema AS im Haus schulen und im Rahmen einer SOP definieren, wie sich Mitarbeiter:innen im Falle eines AS/Suizidwunsches verhalten sollen: Ist z. B. Aufklärung/Errichtung einer SV entsprechend den Vorgaben durch das StVfG im Haus erlaubt oder nicht? Wie geht man mit einem geäußerten Suizidwunsch von Patient:in um? Was ist im Falle von Komplikationen bei der Durchführung eines AS zu tun (von Reanimation bis Comfort terminal Care – CTC, entsprechend den Umständen, die klar zu definieren sind)? Was ist zu tun, wenn Patient:in im Haus einen AS verübt oder wenn Patient:in mit einem komplikationsreichen Verlauf durch Notärzt:in ins Haus gebracht wird und dann versorgt werden muss? Auch die fürsorgliche Betreuung der Angehörigen sollte aus menschlichen Gründen Teil der SOP sein.
Unabhängig von der Einstellung des jeweiligen Hauses zum Thema AS empfehlen wir, dass Mitarbeiter:innen, die zu einem vermutlich stattgefundenen AS gerufen werden, immer folgende Informationen einholen: Gibt es eine gültige SV? Gibt es dazu auch eine Patient:innenverfügung oder aktuelle Willensäußerung, in der eine kardiopulmonale Reanimation („cardiopulmonary rescucitation“, CPR) und/oder andere lebenserhaltende Maßnahmen abgelehnt werden?
Für den Fall eines nicht unmittelbar zum Tod führenden AS und einer daraus resultierenden schwerwiegenden Leidenssituation des:der Betroffenen sind unter Beachtung des Patient:innenwillens (SV, bereits gesetzte Handlung zum Suizid) ausschließlich symptomorientierte palliative Maßnahmen zulässig.
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine zumindest nichtverbindliche Patient:innenverfügung (PV) zu errichten und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen. Falls unter den oben genannten Kriterien eine Reanimation mit Wiedereinsetzen eines Spontankreislaufs („return of spontaneous circulation“, ROSC) erfolgt ist, muss das weitere Procedere ehebaldigst geklärt werden, gegebenenfalls unter Beiziehung einer ethischen Beratung. Bei rechtlichen Fragestellungen soll ein:e juristische:r Berater:in hinzugezogen werden.
Totenbeschau nach AS
Mit dem Ableben des:der Patient:in muss eine Todesfeststellung – im Krankhaus durch die zuständigen Fachärzt:innen, in anderen Einrichtungen durch Amtsärzt:innen – durchgeführt und eine Meldung des:der Totenbeschauärzt:in ans Sterbeverfügungsregister geschickt werden, dass Patient:in verstorben ist.
Umgang mit Komplikationen
Im Rahmen der Durchführung eines AS kommt es, wie vielfach in der Literatur – allerdings eher anekdotisch und mit unterschiedlichen Substanzen und in unterschiedlichen Dosierungen – berichtet, immer wieder durch Komplikationen zu belastenden Situationen, sowohl für die SwP als auch für die begleitenden Menschen.
In Ländern, in denen eine Tötung auf Verlangen erlaubt ist, wird bei verzögertem Sterbeprozess ab einem bestimmten Zeitpunkt von Nachinjektion einer zum Tode führenden Substanz(-mischung) berichtet. In Ländern, in denen Tötung auf Verlangen verboten ist – so auch in Österreich –, sollten die Krankenhäuser ihre Mitarbeiter:innen im Umgang mit einem verzögerten Todeseintritt und anderen Komplikationen beim AS theoretisch schulen: Wenn Patient:innen mit einem protrahierten Sterbeverlauf eine gültige SV und eine PV haben, die eine Reanimation ausschließt, ist die SwP im Sinne einer CTC mit dem Ziel guter Symptomkontrolle (Atemnot, Stress, Unruhe, Schmerzen) in ihrem Sterbeprozess auf der Normalstation zu begleiten.
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine PV zu erstellen und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen. Falls unter den oben genannten Kriterien eine Reanimation mit ROSC erfolgt ist, muss das weitere Procedere ehebaldigst geklärt werden, gegebenenfalls unter Beiziehung einer ethischen Beratung. Bei rechtlichen Fragestellungen sollen juristische Berater:innen hinzugezogen werden.
Die Betreuung der Angehörigen sollte als Aufgabe im Team wahrgenommen werden.
Generell wird beobachtet, dass sich nach zusätzlicher Straffreistellung der Tötung auf Verlangen das Gleichgewicht zwischen AS und Tötung auf Verlangen stark in Richtung Tötung auf Verlangen verschiebt. Wird ein AS durchgeführt, werden durchaus regelmäßig Komplikationen berichtet, die im Rahmen des Sterbeprozesses bei der Durchführung eines AS auftreten. In den Niederlanden traten in 7 % der Fälle Probleme beim AS auf. Zu den häufigsten Komplikationen zählen ein prolongierter Eintritt des Todes, Schwierigkeiten bei der Induktion des Komas, Wiedererwachen der Patient:innen nach Induktion des Komas und unerwünschte/belastende Komplikationen wie Spasmen, Myoklonien, Übelkeit und Erbrechen. Die Zeit nach Einnahme des Präparates bis zum Eintreten des Todes war sehr unterschiedlich (0,5 min bis 7 Tage), wobei sowohl das sehr schnelle Sterben als auch eine sehr lange Sterbezeit als besonders belastend empfunden wurde. In 18 % der Fälle entschieden Ärzt:innen in den Niederlanden, bei einem verzögertem Sterbeprozess eine Medikation nachzugeben, um den Tod herbeizuführen, was rechtlich einer in Österreich verbotenen Tötung auf Verlangen entspricht [
10]. Auch Zworth und Kolleg:innen berichten vielfältige Komplikationen, unter anderem auch bei der intravenösen Administration des Präparats (Legen, Erhalt der Leitung), zu langsames oder gar nicht Sterben, zu schnelles Sterben, technische Probleme mit der großen Spritze, Schmerzen bei der Injektion, Notwendigkeit für ein „Backup kit“, sowie die Verabreichung „falscher“ Medikamente. Auch bei oraler Administration gab es Schwierigkeiten, wie die zu lange Dauer des Sterbeprozesses, Erbrechen (schlechter/bitterer Geschmack des Cocktails), Myoklonien, Schlaganfälle, und ebenfalls die Notwendigkeit für ein i.v.-Backup. Ein Problem bei der Verabreichung des tödlichen Präparat via Inhalation war eine schlechtsitzende Maske [
11]. Ähnliche Probleme mit dem Todesfortschritt berichten auch Kolleg:innen rund um das Team von Christopher Harty aus Kanada in 16 % der Fälle [
12]. Es wird von einer deutlich verlängerten Zeit bis zum Eintritt des Todes berichtet. Ursachen waren die Schwierigkeit, Koma zu induzieren, bzw. das Erwachen der Patient:innen aus dem Koma. Auch in Kanada ist die Tötung auf Verlangen erlaubt. Wenn der Tod nach Verabreichung oraler Medikation nicht innerhalb einer „akzeptablen Zeit“ eintrat (60–90 min), wird auch hier von einer Nachinjektion berichtet: Von 10 Fällen sind drei Patient:innen innerhalb von 60 min und zwei Patient:innen zwischen 60 und 90 min gestorben. Fünf SwP benötigten zusätzlich i.v.-Medikamente (hier Propofol/Rocuronium), wenn der Sterbeprozess länger als 90 min dauerte.
Aufgrund des relativ häufig berichteten verzögerten Sterbeprozesses machen sich die Autor:innen Gedanken, eine orale Verabreichung der tödlichen Substanz bei vorbestehender Übelkeit und Erbrechen oder gestörter Absorption im Darm (entzündliche Darmerkrankungen, Dünndarmresektionen, Gastroparese), Schluckstörungen etc. zu vermeiden.
Da auch in Österreich die orale Verabreichung der primär vorgesehene Weg für die Durchführung eines AS ist, alle anderen Verabreichungsrouten aber durchaus erlaubt sind, sollten im vorbereitenden Aufklärungsgespräch die Modalitäten der oralen oder intravenösen Verabreichung ausführlich bedacht und besprochen werden.
Wenn Notärzt:innen zum AS gerufen werden
Auch in den Notarztsystemen Österreichs wäre eine umfassende verpflichtende Schulung und Erarbeitung einer entsprechenden SOP zum Umgang mit dem Thema AS bei einem Notfalleinsatz sehr hilfreich, da auch dort mangels Praxis unter den Kolleg:innen große Unsicherheit besteht.
Gesetzliche Lage in Österreich: Patient:innen, die eine gültige SV errichtet haben, sollten im Rahmen der rechtlichen Aufklärung darauf hingewiesen worden sein, dass sie eine Reanimation im Falle einer eintretenden Komplikation am sichersten wirksam verhindern können, wenn sie gleichzeitig auch eine PV errichten, in der unter anderem eine Reanimation abgelehnt wird. Das Ärztegesetz § 48 besagt, dass Ärzt:innen im Falle drohender Lebensgefahr Erste Hilfe nicht verweigern dürfen. Das Ärztegesetz § 49 verpflichtet Ärzt:innen aber
nicht zwingend zum „Heilen“ oder dazu, „Leben zu erhalten“, sondern fordert sie lediglich auf, „nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren“. „Zum Wohle der Kranken“ heißt auch ärztlich und pflegerisch am Lebensende „gut zu begleiten“ und ein „Sterben in Würde“ zuzulassen. Ärzt:innen sind demnach
nicht verpflichtet, immer
alles technisch Machbare zu tun, wenn dies nicht zum Nutzen/Wohle des:der Patient:in ist. Das heißt, Ärzt:innen dürfen durchaus auf eine Reanimation verzichten, wenn es keine Indikation und kein Therapieziel für Patient:innen gibt oder die Reanimation dem geäußerten bzw. mutmaßlichen Willen der Patient:innen widerspricht. Im § 49a ist u. a. festgehalten, dass Ärzt:innen „Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde“ beizustehen haben. Dies kann im Sinne des Wohltuns auch „nur“ die Durchführung einer CTC sein, wenn Patient:in z. B. eine Reanimation abgelehnt hat oder diese aufgrund der Gesamtsituation nicht sinnvoll erscheint (keine Indikation, nicht vorhandenes Therapieziel). Es ist
„bei Sterbenden insbesondere auch zulässig, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt“. Dieser ergänzende Text entlastet die palliativmedizinische Situation insofern, als hier schriftlich festgehalten ist, dass bei Sterbenden eine schrittweise und gut dokumentierte Steigerung der Medikamente, die zur Symptomkontrolle notwendig sind (in der Sterbephase im Wesentlichen Opioide und Benzodiazepine), explizit erlaubt ist, auch wenn dadurch Reflexe (Husten, Schlucken, etc..) abgeschwächt werden und der Tod unter Umständen früher eintritt. Das war grundsätzlich inhaltlich in Österreich immer schon so, ist aber jetzt seit der letzten Gesetzesnovelle 2019 im Ärztegesetz auch schriftlich fixiert [
13].
Ist die Situation etwa durch Symptome oder für Angehörige belastend, und das Ende des Sterbeprozesses nicht absehbar, kann Patient:in zur weiteren Durchführung einer CTC im Rahmen der Sterbebegleitung ins Krankenhaus gebracht werden. Dabei ist darauf zu achten, den zurückbleibenden Anwesenden zu versichern, dass alles unternommen wird, was dem Wohlbefinden des:der Betroffenen in dieser Situation dient, und dass weitere Entscheidungen nach dem Einholen zusätzlicher Informationen dann im Krankenhaus getroffen werden.
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine zumindest nichtverbindliche PV zu erstellen und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen. Falls unter den oben genannten Kriterien eine Reanimation mit ROSC erfolgt ist, muss das weitere Procedere ehebaldigst geklärt werden, gegebenenfalls unter Beiziehung einer ethischen Beratung. Bei rechtlichen Fragestellungen soll ein:e juristische:r Berater:in hinzugezogen werden.
Auf ein klares Schnittstellenmanagement seitens der Notärzt:innen ist größter Wert zu legen: Schriftliche Dokumentation des protrahiert verlaufenden AS und zusätzliche vorherige telefonische Information/Ankündigung im Schockraum mit dem Hinweis auf eine zum Tode führende Situation (erwünschte Symptomkontrolle und Sterbebegleitung im Rahmen einer CTC!).
Notärzt:innen dürfen prinzipiell eine Todesfeststellung durchführen. Für die Totenbeschau gibt es diverse organisatorische Verpflichtungen, u. a. auch, den Ort und Datum des Todes zu dokumentieren. Vor allem, wenn vorliegende Dokumente zweifelhaft/unvollständig sind oder der Verdacht auf eine unnatürliche Todesart besteht, ist die Polizei zu verständigen und der Amtsarzt zu bemühen.
Werden ein Präparat oder Reste desselben gefunden, so hat der Finder die Verpflichtung, eine Anzeige an die Bezirksverwaltungsbehörde zu machen, die dann die zur Vernichtung erforderlichen Anordnungen trifft.
FAQs zu den wichtigsten Situationen
Der zweite Teil dieser DFP-Fortbildung versucht, die besonders praktisch relevanten Fragen zum Thema AS, die sich aus der klinischen Arbeit ergeben, in Form von FAQs so klar wie möglich zu beantworten. Es wird jedoch explizit darauf hingewiesen, dass die ARGE Ethik der ÖGARI bei einigen Fragen zwar Lösungen vorschlägt/empfiehlt, was die Krankenhaus‑/Einrichtungsträger jedoch nicht aus der Pflicht nimmt, diese Fragen für die Mitarbeiter:innen jeweils entsprechend der Philosophie des Hauses aufzubereiten und entsprechend zu kommunizieren. Dies würde die derzeit deutlich wahrnehmbaren Unsicherheiten im Umgang und die Berührungsängste rund um das Thema AS verbessern.
Die im Folgenden gemachten Aussagen und Handlungsvorschläge sind daher immer vor dem Hintergrund der jeweiligen organisations-, und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Krankenanstalt/Gesundheitseinrichtung zu verstehen.
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine zumindest nichtverbindliche PV zu erstellen und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen. Falls unter den oben genannten Kriterien eine Reanimation mit ROSC erfolgt ist, muss das weitere Procedere ehebaldigst geklärt werden, gegebenenfalls unter Beiziehung einer ethischen Beratung. Bei rechtlichen Fragestellungen soll ein:e juristische:r Berater:in hinzugezogen werden.
Auf eine zeitnahe Dokumentation (wir empfehlen mindestens innerhalb von 24 h) des Entscheidungsprozesses und der getroffenen Maßnahmen ist zu achten.
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine zumindest nichtverbindliche PV zu erstellen und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen. Falls unter den oben genannten Kriterien eine Reanimation mit ROSC erfolgt ist, muss das weitere Procedere ehebaldigst geklärt werden, gegebenenfalls unter Beiziehung einer ethischen Beratung. Bei rechtlichen Fragestellungen soll ein:e juristische:r Berater:in hinzugezogen werden.
Eine Betreuung der Angehörigen sollte aus menschlichen Gründen angeboten werden. Eine schriftliche SOP über das Prozedere inklusive Mitarbeiter:innenaufklärung wird empfohlen!
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine zumindest nichtverbindliche PV zu erstellen und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen. Falls unter den oben genannten Kriterien eine Reanimation mit ROSC erfolgt ist, muss das weitere Procedere ehebaldigst geklärt werden, gegebenenfalls unter Beiziehung einer ethischen Beratung. Bei rechtlichen Fragestellungen sollen juristische Berater:innen hinzugezogen werden.
Um Situationen vorzubeugen, die entgegen dem in der SV geäußerten Willen zu einer medizinischen Intervention führen können, wird dringend empfohlen, bei der Errichtung einer SV auch eine zumindest nichtverbindliche PV zu erstellen und/oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen AS eine aktuelle schriftliche Willensäußerung dahingehend, im Fall des Scheiterns des Suizids nicht reanimiert werden zu wollen, zu hinterlegen.
Dies gilt gleichermaßen auch bei ausgeschlossenen kurativen Maßnahmen (gültige Therapiezieländerung, oder fehlende kurative Therapieindikation), wo Maßnahmen im Sinne einer CTC mit dem Ziel der besten Symptomkontrolle einzuleiten sind.
Im Falle von Unklarheiten/Unstimmigkeit im Team oder bereits begonnener kurativer Therapie ist empfohlen, ehebaldigst ein Ethikkonsil durchzuführen. Eine Handlungsempfehlung durch das klinische Ethikkomitee kann das betreuende Team in der schwierigen Situation entlasten und durch einen Handlungsvorschlag zu einer Entscheidung im Sinne des:der Patient:in beitragen.
CAVE: Ein in der Literatur aus den Niederlanden und Kanada häufig berichtetes „Nachspritzen“ von Substanzen mit dem Ziel, den protrahierten Sterbeprozess zu beschleunigen, um den von Patient:in gewünschten Tod herbeizuführen, ist in Österreich und in allen anderen Ländern, in denen die Tötung auf Verlangen strafbar ist, verboten, selbst wenn dies ausdrücklicher Wunsch des:der Patient:in wäre!
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